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Letzte Aktualisierung: 25.04.2024

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Wenn sich die Experten streiten

Aufruf zur verantwortungsbewussten Kommunikation in der Corona-Pandemie

von Andreas Mehdorn

(07.01.2021) Die Corona-Pandemie hat in Deutschland – wie in vielen anderen Ländern – die Meinung und den Rat von medizinischen Experten und Forschern in das Zentrum öffentlicher Debatten gestellt. Täglich werden Ärzte oder medizinische Wissenschaftler in den Medien zu ihrer Meinung befragt. Diese Situation erfordert von den befragten Experten ein hohes Maß an Fachkenntnissen, aber auch an Verantwortung und nicht zuletzt an ethischer und politischer Reflexion. Dieser Verantwortung werden Ärzte und Wissenschaftler leider nicht immer gerecht.

Das meinen zumindest die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM), der internistischen Schwerpunktgesellschaften und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF), die deshalb einen Aufruf zur verantwortungsbewussten Kommunikation von Ärzten und Wissenschaftlern in der Corona-Pandemie formuliert haben. Darin heißt es:

Einer der wesentlichen Gründe dafür ist, dass viele Expertenäußerungen nicht auf Evidenz basieren, nicht abgestimmt werden und daher in ihrer Gesamtheit den Eindruck erwecken, dass es unter den Experten keine einheitliche Auffassung zur Pandemie-Bekämpfung gibt. In besonderer Weise können Mitteilungen kontraproduktiv wirken, die gezielt zum Zeitpunkt der Bekanntgabe von Maßnahmen der politischen Entscheidungsträger lanciert werden und davon abweichende Maßnahmen empfehlen.

Sie unterhöhlen das Vertrauen der Bürger in die politischen Empfehlungen in dieser extrem schwierigen Lage und werden von Verschwörungstheoretikern argumentativ genutzt. Durch den Nachdruck, mit dem sie vorgetragen werden, erzeugen sie bisweilen ein großes mediales Echo und überdecken damit die ausgewogenen, konsentierten Empfehlungen beispielsweise der Leopoldina oder der wissenschaftlichen Fachgesellschaften.

Die DGIM und die AWMF bekennen sich klar zum Recht auf freie Meinungsäußerung und zum wissenschaftlichen Diskurs. Aber gerade Ärzte und Wissenschaftler hätten in diesen Zeiten auch eine besonders hohe gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Es sei unverantwortlich, durch häufige und in der Gesamtheit widersprüchliche Meinungsäußerungen den Eindruck zu erwecken, die politischen Empfehlungen seien insgesamt sinnlos. Letztlich schade diese Vorgehensweise der Medizin selbst und verringere das Vertrauen der Bürger in den ärztlichen Rat. Dieses Vertrauen sei aber nötig, wenn es um das verantwortungsbewusste Verhalten oder die Impfbereitschaft der Bevölkerung in der Pandemie gehe.

Die Unterzeichner dieser Erklärung fordern daher eine Reflexion der medialen Kommunikationsweise von medizinischen und wissenschaftlichen Experten in Deutschland in dieser Krisensituation: „In der extrem schwierigen medizinischen Situation der Corona-Pandemie erscheint es geboten, vor öffentlichen Empfehlungen die unterschiedlichen Ansichten, Erfahrungen und Erkenntnisse in ernsthaften und von Wissen geprägten Kontroversen auszutauschen und dann in konsentierten Empfehlungen von wissenschaftlichen Fachgesellschaften oder Akademien zu bündeln. Solche Empfehlungen sind den Bürgern und der Politik in Laien-verständlichen Worten mitzuteilen. Dies entspricht der bewährten Vorgehensweise unseres Berufsstandes, wie sie bei der Erstellung von Leitlinien, Konsensus-Stellungnahmen oder auch im Alltag für die Optimierung der Therapie einzelner Patienten sehr erfolgreich eingesetzt wird. Die Corona-Pandemie stellt hier keine Ausnahme dar.“