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Letzte Aktualisierung: 25.04.2024

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Weniger Behandlungsfälle trotz Pandemie

TU Berlin: Auch die Bettenauslastung war geringer

von Stefanie Terp

(15.03.2021)  Im Jahr 2020 sind in deutschen Krankenhäusern 13 Prozent weniger abgerechnete Behandlungsfälle registriert worden als im Jahr 2019. Vom 9. März bis 24. Mai 2020, das ist die Zeit des ersten Lockdowns, sanken die Fallzahlen sogar um 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das ist das Ergebnis einer Analyse von Krankenhausdaten, die Prof. Dr. Reinhard Busse und Dr. Ulrike Nimptsch von der TU Berlin vorgenommen haben.

Prof. Reinhard Busse leitet an der TU Berlin das Fachgebiet Management im Gesundheitswesen. Dr. Ulrike Nimptsch ist am Fachgebiet wissenschaftliche Mitarbeiterin. Die Auswertung wurde für den Beirat zur Überprüfung der Auswirkungen der Regelungen des COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetzes vorgenommen, dessen Mitglied Prof. Dr. Reinhard Busse ist. Das Gesetz war im März 2020 verabschiedet worden, um die im Zusammenhang mit der Pandemie befürchtete Kapazitätenknappheit in deutschen Krankenhäusern abzuwenden.

Historisches Tief

Der Rückgang der Behandlungsfälle führte trotz einer kleinen Zunahme der Verweildauer pro Patient auch zu einem Rückgang der Verweildauertage um zwölf Prozent. Dadurch sank die Bettenauslastung der Krankenhäuser: „Lag die Bettenauslastung 2019 noch bei 75,1 Prozent, erreichte sie 2020 ein historisches Allzeittief von 67,3 Prozent“, sagt Prof. Dr. Reinhard Busse. Besonders niedrig war sie mit 62,1 Prozent bei den kleineren Krankenhäusern mit bis zu 299 Betten.

Die Zahl der gemeldeten Intensivbetten erhöhte sich im vergangenen Jahr um 206 Betten von 26.581 im Jahr 2019 auf 26787 im Jahr 2020. Dabei konstatieren Prof. Busse und Dr. Nimptsch jedoch Unterschiede hinsichtlich der Größe der Krankenhäuser. Sank die Anzahl der Intensivbetten in den kleinen Krankenhäusern (bis zu 299 Betten) um sieben Prozent, stieg sie in den großen Krankenhäusern (ab 600 Betten) um fünf Prozent. Dass kleine Krankenhäuser in der Pandemie Intensivbetten abbauten, war ein überraschender Befund, ist jedoch ein weiterer Beleg für die Leistungskonzentration bei den größeren Häusern.

172.248 Behandlungsfälle, bei denen das Coronavirus SARS-CoV-2 nachgewiesen worden war, wurden 2020 in deutschen Krankenhäusern gezählt und an das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus übermittelt. „Dabei ist es wichtig zu beachten, dass es sich um Fälle handelt und nicht um Personen. Wenn also eine Person von einem Krankenhaus in ein anderes verlegt wurde, sind das zwei Fälle“, erklärt Dr. Ulrike Nimptsch. Von den 172.248 Fällen wurden 36.305 Fälle, also über ein Fünftel, intensivmedizinisch behandelt. „Die durchschnittliche Verweildauer dieser Patienten auf Intensivstation betrug 9,1 Tage, eine im Vergleich mit anderen Diagnosen sehr lange Zeit“, so Dr. Nimptsch.

60 Prozent der intensivmedizinisch versorgten Covid-19-Patienten wurden in den 330 größten (ab 400 Betten) der insgesamt über 1400 Krankenhäuser versorgt. Laut Robert-Koch-Institut starben 2020 etwa 40.000 Menschen an oder mit Covid-19. Die Analysen der TU-Wissenschaftler zeigen, dass 75 Prozent davon, also 30.307 Patienten, im Krankenhaus starben.

Weniger Hüfte, weniger Knie

Besonderes Augenmerk lag auf der Absage beziehungsweise Verschiebung von elektiven, also planbaren Operationen. „Bei den eingesetzten künstlichen Hüftgelenken verringerten sich die Fallzahlen um neun Prozent im Vergleich zu 2019 und bei den künstlichen Kniegelenken um elf Prozent“, sagt Prof. Busse. Deutlich stärker waren allerdings die Rückgänge von Krankenhausfällen mit den Hauptdiagnosen Diabetes, Bluthochdruck, Herzinsuffizienz, Chronisch-Obstruktive Lungenerkrankung (COPD) und Asthma, die die OECD als potenziell vermeidbare Krankenhausfälle einstuft.

Bei der Hauptdiagnose Asthma gingen die Krankenhausfälle um 29 Prozent zurück, bei COPD um 26 Prozent, bei Bluthochdruck um 18 Prozent, bei Diabetes um 17 Prozent und bei Herzinsuffizienz um zwölf Prozent im Vergleich zu 2019. „Das verdeutlicht, dass das Inanspruchnahme-Verhalten der Patienten eine deutlich größere Rolle als die Absage von elektiven Operationen durch die Krankenhäuser gespielt hat. Dass sich diese Entwicklung verstetigt, ist somit zumindest nicht unwahrscheinlich“, resümieren die beiden Wissenschaftler.