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Letzte Aktualisierung: 19.03.2024

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Verbot religiöser Zeichen im Betrieb nur in Ausnahmefällen

von Helmut Poppe

(26.02.2021) Darf ein Unternehmen es verbieten, während der Arbeit sichtbare religiöse Zeichen zu tragen? Diese Abwägungsfrage zwischen unternehmerischer Betätigungsfreiheit und individueller Religionsfreiheit muss der Europäische Gerichtshof entscheiden. Dessen Generalanwalt sprach sich am 25.2.2021 zugunsten der deutschen Religionsfreiheit aus. Arbeitsrechtler Prof. Dr. Michael Fuhlrott, Professor an der Hochschule Fresenius in Hamburg, gibt dazu eine Einschätzung.

Mit dem Bundesarbeitsgericht (BAG, Beschl. v. 30.1.2019 - 10 AZR 299/18 A) und dem Arbeitsgericht Hamburg (ArbG Hamburg, Beschl. v. 21.11.2018 - 8 Ca 123/18) haben gleich zwei deutsche Arbeitsgerichte den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Entscheidung angerufen, ob das in der Grundrechtecharta verbriefte Recht auf unternehmerische Betätigungsfreiheit die Religionsfreiheit des einzelnen Arbeitnehmers überwiegt. Konkret geht es um die Frage, ob und wann Unternehmen Mitarbeitern das Tragen von Kopftüchern und anderen sichtbaren religiösen Zeichen verbieten dürfen. "Es geht dabei um die schwierige Abwägungsfrage zwischen zwei geschützten Rechtspositionen: Religionsfreiheit des Einzelnen auf der einen Seite versus unternehmerischer Betätigungsfreiheit auf der anderen Seite", so Prof. Dr. Michael Fuhlrott.

Bundesverfassungsgericht: Verbot nur bei konkreten Störungen

Das Grundgesetz schützt in Art. 4 die Religionsfreiheit und deren Ausübung. Ihr kommt eine besonders große Bedeutung zu. So hat das Bundesverfassungsgericht etwa 2015 ein generelles Verbot von Kopftüchern für Lehrerinnen als verfassungswidrig angesehen (Beschl. v. 27.1.2015 - 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10). Die Verfassungsrichter verlangen vielmehr eine konkrete Störung des Schulfriedens, um ein Kopftuchverbot zu rechtfertigen. Ähnlich urteilen deutsche Arbeitsgerichte: "Ein betriebliches Kopftuchverbot ist danach nur gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber konkrete Störungen darlegen kann. Allein der Wunsch des Arbeitgebers nach betrieblicher Neutralität ist rechtlich nicht ausreichend", erklärt Arbeitsrechtler Fuhlrott. So habe das BAG bereits im Jahr 2002 (Urt. v. 10.10.2002 - 2 AZR 472/01) zu Gunsten einer kopftuchtragenden Verkäuferin entschieden.

Europäisches Recht: Größeres Gewicht der Unternehmerinteressen

Die Sichtweise des EuGH war in der Vergangenheit hingegen unternehmensfreundlicher: So stellte dieser in einer Entscheidung aus dem Jahr 2017 (Urt. v. 14.3.2017 - C-157/15) fest, dass die Anforderung eines neutralen Auftretens ohne sichtbare religiöse Zeichen bei einer Mitarbeiterin im Empfangsbereich durchaus gerechtfertigt sein kann und keine religiöse Diskriminierung darstellt.

Hiervon nahm nunmehr der Generalanwalt in seinen heutigen Schlussanträgen wieder Abstand (C-804/18 und C-341/19). Er führt aus, dass die Besonderheiten des nationalen Verfassungsrechts zu beachten seien. Dies erfordere die Vielfalt der in den Mitgliedsstaaten jeweils unterschiedlich anerkannten Religionsfreiheit. Ein Arbeitgeber dürfe zwar große sichtbare religiöse Zeichen aus Gründen der Neutralität verbieten. Kleinere und unauffälligere Zeichen seien hingegen erlaubt. Wenn die nationale Verfassung der Religionsfreiheit ein großes Gewicht einräume und ein Verbot nur bei konkreten Beeinträchtigungen vorsehe, sei dies europarechtlich nicht zu beanstanden. "Die Frage, was unauffällig und klein ist, bleibt den Mitgliedsstaaten überlassen. Ein Kopftuch ist kein kleines religiöses Zeichen. Ob dies erlaubt bleibt, müssten danach weiterhin die nationalen Gerichte entscheiden", so Fuhlrott.

Schlussantrag noch keine verbindliche Entscheidung

Der Schlussantrag ist noch keine verbindliche Entscheidung. Der Generalanwalt am EuGH hat aber - übertragen in das deutsche Recht - eine Rolle, die mit einem Richter als Berichterstatter am ehesten vergleichbar ist, der eine Rechtssache vorbereitet und eine Entscheidungsempfehlung abgibt. "Daher folgt der EuGH in seinen späteren Entscheidungen auch regelmäßig den Schlussanträgen seiner Generalanwälte", erklärt Prof. Dr. Fuhlrott. "Mit dem abschließenden Urteil ist in wenigen Monaten zu rechnen."

Folgen für deutsches Arbeits- und Verfassungsrecht

"Wenn das Urteil so kommt, bedeutet dies für Arbeitnehmer eine Stärkung der Religionsfreiheit. Ein Verbot sichtbarer religiöser Zeichen zur Wahrung von betrieblicher Neutralität wird damit weiterhin eine unzulässige Diskriminierung darstellen", meint Fuhlrott. "Die Entscheidung liegt damit auf der Linie des deutschen Bundesverfassungsgerichts. Wäre die Entscheidung anders ausgefallen, hätte dies zudem die grundlegende Frage des Verhältnisses zwischen deutschem Verfassungsrecht und europarechtlichen Vorgaben aufgeworfen. Bislang erkennt das Verfassungsgericht den Vorrang europäischen Rechts vor deutschem Recht an. Dies gilt aber nur solange, wie das Europäische Recht einen gleichwertigen Grundrechtsschutz gewährleistet. Bei der Religionsfreiheit drohte dieser Schutz künftig nicht mehr gegeben zu sein. Diese Gefahr ist nun vorerst gebannt, da Unionsrecht und Verfassungsrecht hier übereinstimmen", so Fuhlrott.

Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius in Hamburg sowie Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei FHM Rechtsanwälte.(ots)