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Letzte Aktualisierung: 26.04.2024

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Desinfektionsmittel in hessischen Böden

Forscher weisen Wirkstoffe in 97 Prozent der Proben nach

von Lisa Dittrich

(05.12.2022) In Pandemiezeiten waren und sind sie unentbehrlich und allgegenwärtig: Desinfektionsmittel. Doch wie wirkt sich der massenhafte Gebrauch auf unsere Umwelt aus? Dieser Frage ist nun ein gemeinsames Forscherteam der Justus-Liebig-Universität (JLU) Gießen und des Hessischen Landesamtes für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) auf den Grund gegangen. Das Ergebnis: In 97 Prozent der 65 untersuchten Bodenproben konnten QAAV nachgewiesen werden.

Bildergalerie
Beprobter Boden an einer hessischen Bodendauerbeobachtungsfäch
Foto: HLNUG
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Probennahme Bodenauflagehorizont
Foto: HLNUG
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Dabei zeigte sich, dass sowohl Acker-, als auch Grünland-, Wald- und Weinbaustandorte mit dem Fremdstoff belastet waren. Das Gehalt der Desinfektionsmittel überschritt teilweise Werte von 1 mg kg-1 – und liegt damit zwei bis drei Größenordnungen oberhalb von Gehalten, wie sie für Arzneimittel und Antibiotika in Böden nachgewiesen wurden.

Problematisch an QAAV und ihrem Vorkommen in der Umwelt ist, dass sie Antibiotika-resistenzen verursachen können. Eine Verbreitung dieser Desinfektionsmittelgruppe in Böden ist deshalb kritisch zu sehen und könnte – wie der missbräuchliche Einsatz von Antibiotika – das Problem der Antibiotikaresistenzen zusätzlich verschärfen. Aktuelle Vorhersagen gehen davon aus, dass bereits im Jahr 2050 jährlich zehn Millionen Menschen weltweit durch antibiotikaresistente Keime sterben werden.

Da die Stoffgruppe der QAAV analytisch nur schwer zugänglich ist, steht die Forschung zu deren Verbreitung und Effekten in Böden noch ganz am Anfang. In einer an der JLU betreuten Doktorarbeit konnte gezeigt werden, dass vor allem Böden, die regelmäßig durch Hochwasser von Rhein und Main überschwemmt werden, stark mit QAAV kontaminiert sind. Überraschend war hierbei, dass QAAV selbst in Waldböden nachgewiesen werden konnten, obwohl ein unmittelbarer Eintrag durch Überschwemmungen oder beispielsweise über Gülle-, Klärschlamm- oder Pestizidausbringung wie auf land-wirtschaftlichen Flächen in Wäldern allgemein nicht gegeben ist.

Die Untersuchungsstandorte liegen unter anderem in den Landkreisen Marburg-Biedenkopf, Gießen, der Wetterau, dem Vogelsberg, Kassel und dem Raum Frankfurt. Die Mehrheit der Bodenproben wurde durch das HLNUG zur Verfügung gestellt und ist Teil des umfangreichen Probenarchivs der hessischen Bodendauerbeobachtung. Finanziert wurde das Projekt durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft.

Ob und in welcher Weise die teils sehr hohen QAAV-Gehalte in hessischen Böden zu Resistenzen in Mikroorganismen und Pathogenen beitragen, ist noch nicht bekannt. Alle Ergebnisse sind im Fachmagazin „Science of the Total Environment“ publiziert und können unter https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2022.159228 eingesehen werden (dort auch eine Karte von Hessen mit alle beprobten Standorten und gemessenen Gehalten). - idw