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Letzte Aktualisierung: 26.04.2024

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Der Mensch ist für den Menschen da

„Alte Werte in neuer Zeit“ – ein nachdenkenswertes Buch von MdB Prof. Dr. Matthias Zimmer

von Norbert Dörholt

(03.05.2021) Bei der Lektüre des neuen Buches „Alte Werte in neuer Zeit – Christliche Verantwortung und praktische Politik“ des dreimal in Folge direkt gewählten Frankfurter CDU-Bundestagsabgeordneten Prof. Dr. Matthias Zimmer drängt sich immer wieder ein und derselbe Gedanke in den Vordergrund: Wer dieses Buch nicht liest, ist selber schuld! – Es geht um nichts Geringeres als um die Wiederbelebung der Idee des Gemeinwohls.

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Dr. Matthias Zimmer aus Frankfurt am Main ist Hochschullehrer, CDU-Bundestagsabgeordneter und Autor zahlreicher Bücher.
Foto: Privat
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Das neue Buch von Prof. Dr. Matthias Zimmer „Alte Werte in Neuer Zeit“ ist im Frankfurter Nomen-Verlag erschienen und kostet 15 Euro.
Foto: Nomen Verlag Frankfurt
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Das mag ein wenig akademisch klingen, zu lesen jedoch sind Zimmers Analysen und Lösungsvorschläge an die Politik im Sinne einer christlichen Botschaft spannend und unterhaltsam wie ein Krimi. Matthias Zimmer ist es gelungen, bisweilen recht zähe und trockene Themen wie Steuern, Rente, Harz IV, Solidarität, die Würde des Menschen oder die christliche Soziallehre so geschickt miteinander zu verknüpfen, dass sein Buch trotz aller Lern- und Orientierungseffekte auch unterhaltsam zu lesen ist. Humor, manchmal ein wenig schwarz, zeigt er auch, beispielsweise wenn er auf Seite 131 zu den unterschiedlichen Einkommensverhältnissen ebenso scharfsinnig wie bissig schreibt: „Wenn ich verhungere, tröstet mich wenig, dass es meinem Nachbarn genauso schlecht geht.“

Über allen Aussagen des Autors schwebt der Geist des schönen Satzes aus Kapitel 6,2 des Briefes an die Galater: „Der eine trage des anderen Last.“ Und da nimmt Zimmer als passionierter Politiker seine Kollegen gleich welcher Couleur in die Pflicht. Schon in der Einleitung redet er Klartext: „Die biblische Botschaft ist eine der Nächstenliebe, der Solidarität, des Mitgefühls; in ihr steht der Mensch als Geschöpf Gottes im Mittelpunkt. Der Anspruch an die Politik ist daraus abgeleitet: Der Mensch ist Ausgangspunkt und Ziel allen politischen Tuns. Der Mensch steht im Mittelpunkt. Nicht die Rasse, die Klasse, der Markt oder der Staat. Politische Ordnungen legitimieren sich dadurch, dass in ihnen die Liebe und Gerechtigkeit Gottes wiederhallt.“ Und irgendwo im Buch steht auch der Satz: „Christen in der Politik sind dem Gemeinwohl verpflichtet, nicht den Lobbyinteressen. Dafür lohnt es sich zu kämpfen!“ Hier könnte man mit der Buchbesprechung schon wieder aufhören, denn dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Denkt man. Stimmt aber nicht. Und natürlich ist man neugierig, wie es weitergeht.

Da gibt es verschiedene Betrachtungsweisen, sich mit den Gedanken Zimmers auseinanderzusetzen. Der Nomen Verlag in Frankfurt, der das Buch herausgebracht hat, sieht in ihm „einen der wichtigsten Beiträge zur Programmdebatte der CDU in den letzten Jahren“ und nimmt aktuellen Bezug auf die in diesem Jahr anstehende Bundestagswahl. Er beschreibt das Buch so:

„Dieses angesichts der Bundestagswahl im Herbst 2021 hochaktuelle Buch ist ein Plädoyer für einen Richtungswechsel der CDU und ein Appell an Politik und Wirtschaft, die Coronakrise als eine Chance für die Zukunft zu begreifen. Wirtschaftskompetenz heißt nicht, der Wirtschaft freie Bahn zu lassen; vielmehr hat Wirtschaftskompetenz etwas mit Moral zu tun. Das wird leider immer wieder vergessen. In einer Partei, die sich dem Christlichen verpflichtet sieht, sollte es am Ende um das Gemeinwohl gehen, das heißt um das Wohlergehen aller, nicht nur das eigene. Politik ist dazu da, den Schwachen zu helfen; die Starken helfen sich schon alleine. Und Politik ist dazu da, die Schwachen zu schützen vor den Starken. Das ist der Kern der christlichen Botschaft für die Politik, wie Matthias Zimmer sie versteht. Für den Autor gehört zu Politik auch immer dazu, Auskunft darüber zu geben, wie man sich die Ordnung und die Zukunft der Gesellschaft vorstellt. Darüber gibt dieses Buch Auskunft: Leidenschaftlich, kämpferisch und parteiisch für das »C« in der Politik, ganz in der Tradition von Norbert Blüm und Heiner Geißler.“

Ein anderer Ansatzpunkt wäre das eingangs schon erwähnte Thema Solidarität. Als grundlegender Konstruktionsmechanismus des Sozialen zieht sie sich wie ein roter Faden durch das Buch als Konstruktionselement des Sozialen. Hören wir, was Matthias Zimmer hierzu (auf Seite 19) schreibt:

„Solidarität ist das horizontale Gestaltungsmerkmal einer Gesellschaft. Sie ist Ausfluss der Sozialität des Menschen, also der wesensmäßigen Bindung des Menschen an andere Menschen. Solidarität bedeutet hier nichts mehr als: Der Mensch ist für den Menschen da. Er hilft ihm in der Not. Solidarität ist also neben dem Gestaltungsmerkmal eine Tugend. Sie macht deutlich: Es ist mir nicht egal, wie es meinem Nächsten geht.“

Diesen Gedanken hat er logisch begründet dargelegt. Er kann aber auch zornig werden, beispielsweise zum Thema Eigentumsrecht. Mit Verweis auf den englischen Arzt, Philosophen und Vordenker der Aufklärung John Locke (1632-1704), der schon damals eine Einschränkung des Eigentums postuliert hatte – „das Eigentumsrecht gilt nicht absolut“ – fordert Zimmer: „Es muss, nachdem sich ein Mensch Eigentum geschaffen hat, immer noch genügend und ebenso Gutes für die anderen verbleiben. Der Erwerb des Eigentums der einen darf also nicht zu Lasten der Lebenschancen der anderen gehen.“

Eigentum ist Zimmer zufolge ein Mittel zum Zweck, kein Zweck in sich. „Not kennt kein Gebot“ lautet ein altes Sprichwort. In der Not ist alles gemeinsam, und deswegen verwendet, so Zimmer, Thomas von Aquin auch einigen Scharfsinn darauf nachzuweisen, dass jemand, der aus Not stiehlt, keinen Diebstahl begeht. Zimmer: „Man würde sich wünschen, dass deutsche Gerichte sich dieses Grundsatzes entsinnen würden. Wer aber die Entwendung weggeworfener Lebensmittel (das so genannte ´Containern´) als rechtswidrig ansieht, hat sich von der christlichen Auffassung des Eigentums weit entfernt.“

Mit dem deutschen Rechtssystem hadert er auch an anderer Stelle. So ist seiner Meinung nachdie Anzahl der Gesetzestexte zum Schutz von Arbeitnehmern unübersichtlich. Seit Jahren werde ein einheitliches Arbeitsgesetzbuch gefordert. Warum sollte das nicht möglich sein, meint er, nachdem man auch in Sozialgesetzgebung einheitlich geordnet habe, in mittlerweile 14 Büchern. Es würde vor allem den Arbeitnehmern helfen. Sie müssten dann nicht ihre Rechte aus den unterschiedlichsten Gesetzen zusammensuchen, sondern könnte ein einheitliches Gesetzbuch zur Hand nehmen. Man spreche von bis zu dreißig unterschiedlichen Rechtsquellen, die das Arbeitsrecht regeln. Das sei unübersichtlich und verschleiere Rechte von Arbeitnehmern. Zimmer: „Insofern muss die CDU sich zu einem einheitlichen Arbeitsgesetzbuch bekennen und diese Forderung auch im nächten Koalitionsvertrag verankern. Das schafft Klarheit.“

Das waren jetzt nur einige Beispiele aus dem Themenfeld des Autors. Doch sind auch die vielen anderen interessant und regen durch die Sichtweise von Prof. Zimmer zu tieferem Nachdenken an. Sie können im Rahmen einer solchen Buchbesprechung natürlich nicht alle genannt werden, da müsste man schon das ganze Buch abdrucken. Aber wer an dem Thema interessiert ist, kann es sich ja kaufen. Letztlich zielen alle Analysen, Thesen und Lösungsvorschläge von Zimmer aber auf einen Focus, christliche Verantwortung und praktische Politik.

Das Resümee dieses gesellschaftlich, sozial und politisch wichtigen Buches, das Dinge klar macht und zum Nachdenken anregt, könnte heißen: Politik ist nicht die Kunst des Wünschbaren, sondern des Machbaren – das ist richtig und falsch zugleich. Richtig ist: In einem demokratischen Prozess braucht man Mehrheiten, muss also auf das Machbare schauen. Richtig ist aber auch: Ohne das Wünschbare wäre die Politik beliebig, wäre in ihrem Wollen nur auf das beschränkt, was gerade erreichbar ist. Für Matthias Zimmer ist das, gerade für eine Politik, die sich auf das christliche Menschenbild beruft, zu wenig. Deswegen gehört für ihn zu Politik auch immer dazu, Auskunft darüber zu geben, wie man sich die Ordnung der Gesellschaft und die Zukunft dieser Gesellschaft vorstellt. Darüber gibt diese Schrift Auskunft: Leidenschaftlich, kämpferisch und parteiisch für das „C“ in Politik.

(„Alte Werte in neuer Zeit“, Matthias Zimmer, www.nomen-verlag.de, 15 Euro, ISBN 978-3-939816-76-8)

Über Matthias Zimmer

Matthias Zimmer wurde 1961 in Marburg an der Lahn geboren. Er lebt seit mehr als zwanzig Jahren in Frankfurt am Main und ist seit 2009 Abgeordneter für die CDU im Deutschen Bundestag. Dort hat er sich besonders mit Fragen der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, der Nachhaltigkeit und der Menschenrechte beschäftigt. Neben seiner Tätigkeit im Deutschen Bundestag lehrt er seit vielen Jahren an der Universität zu Köln. Er ist Autor zahlreicher Bücher und Aufsätze zu wissenschaftlichen Themen und zu Fragen der Zeit.