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Letzte Aktualisierung: 26.04.2024

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Aussteiger werden Winzer

Weine mit hohem Anspruch

von Karl-Heinz Stier

(25.11.2020) Das kleine Bergdorf liegt etwas außerhalb der traditionellen Rheingauer Verkehrswege. Es ist ein Ortsteil von Oestrich-Winkel, liegt hundert Meter über dem Rhein und heißt Hallgarten. Die Gemeinde ist reich an Erzählungen, Geschichten und prominenten Bewohnern.

Bildergalerie
Die Aussteiger als Winzer Markus Bonsels und Monika Eichner
Foto: Weingut Bibo
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Handlese als Philosophie
Foto: Weingut Bibo
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Die Top 2018: DEBÜTANT, PROVOKATEUR(Sekt), REVOLUZZER
Foto: Karl-Heinz Stier
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Ausbau in Holzfässern – bis zu 2 Jahren
Foto: Karl-Heinz Stier
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Das Revoluzzer-Gartenhaus – Mittelpunkt kleiner Straußwirtschafts-Wochenenden
Foto: Weingut Bibo
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Hier soll der Teufel, dessen Pferd ein Hufeisen verlor, den Hufschmied mit einer Zange bezahlt haben, die alles zu Gold machte, was man damit berührte. Hier bereitete im „Hallgartener Kreis“, eine Keimzelle der Deutschen Nationalversammlung von 1848 in der Frankfurter Paulskirche, konspirative Treffen vor. Voran der wohlhabende Mitbürger Adam von Itzstein und seine Gäste, der Deutschlandlied-Verfasser Hoffmann von Fallersleben, Schriftsteller wie Ferdinand Freiligrath und Rudolf von Gottschall. Von Itzstein starb 1855 als gebrochener Mann in Hallgarten und ist dort beerdigt. Der erste Freiheitsbaum im Rheingau als Zeichen des Protestes gegen die sozialen und ökonomischen Missstände wurde Anfang des 19.Jahrhunderts in Hallgarten aufgestellt.

Und aus der kleinen Rheingau-Gemeinde kommt auch der BIBO Runge-Wein, der sich besonders dadurch auszeichnet, dass beim Weinlesen und dem Weinausbau die Prinzipien des historischen Weinmachens auch in der Neuzeit hochgehalten und verwirklicht werden, eine Besonderheit, die es heutzutage nur noch selten gibt. Monika Eichner und Markus Bonsels erzeugen einen Wein, der einen aroma-intensiven Geschmack besitzt. „Wir produzieren Weine, die sich selbst entwickeln“, betonen die beiden Winzer.

Bei jedem Jahrgang stellen sie sich die Frage, wie viel Natur in einem guten Wein steckt. Ihre Philosophie: „Guter Wein braucht Zeit“. Dazu gehört unabdingbar die Hand-Lese, „damit nur die besten Trauben in unsere Weine gelangen“. Ihr weiteres Prinzip: aus einer sehr langen Maischezeit holen sie alles aus den Trauben heraus und pressen die Maische anschließend sanft und schonend in der Korbpresse bzw. Champagnerpresse. „Jeden unserer Weine vergären wir mit natürlichen Hefen, um sie möglichst mindestens 10 Monate naturbelassen im Holz auszubauen. Das ergibt selbstbewusste vegane Weine“.

Markus Bonsels und seine Frau Monika sind von Hause aus keine Winzer. Der Niederrheiner studierte Biotechnologie und arbeitete für einige der größten Konzerne der Welt. Nach 25 Jahren hat er seinen Job gekündigt und einen neuen Weg eingeschlagen: er wandte sich dem Weinbau zu und studierte Weinbau und Önologie in Montpellier, Bordeaux und Geisenheim, schloss eine Masterarbeit ab und absolvierte Praktika bei Spitzenwinzern in Deutschland und Frankreich.

Seine Frau Monika hat sich nach 20 Jahren als Personalleiterin in internationalen Unternehmen dafür entschieden, den Traum ihres Ehemanns mit zu verwirklichen. Um sich darauf vorzubereiten, arbeitete sie drei Jahre im Weinanbau an der Mosel und ein Jahr in Frankreich, unternahm Weinreisen nach Spanien, Italien und Kalifornien sowie durch sämtliche deutsche Weingegenden. Beide sind ihrer Weinleidenschaft erst im Alter von Mitte 40 gefolgt.

Was beide noch umtrieb, war die Suche nach einem Weingut. Die war dann 2017 erfolgreich, als man sich mit Walter Bibo traf, der zehn Jahre Direktor des Weingutes Schloss Reinhartshausen in Eltville war und 2013 das Weingut BIBO Runge in Hallgarten gründete. Seit September hat er sein Wissen und seine Erfahrungen an Markus Bonsels und Monika Eichner weitergegeben und wirkt seit Juli im Hintergrund als önologischer Berater.

Besonders stolz sind die beiden leidenschaftlichen Winzer auf die Resonanz ihres 18er Jahrgangs. „Dreieinhalb Sterne vom Weinguide Eichelmann nur fünf Jahre nach Gründung sind sicher ein Highlight, das hat vermutlich noch keiner so schnell geschafft“, sagen beide stolz. Auch die Newcomer-Weine wurde gefeiert. DEBÜTANT erhielt mit 88 Punkten einen Top-Preis im VINUM, der REVOLUZZER Pinot Noir 2017 auf Anhieb 90 Punkte im Gault&Millau. Und Frau Eichner ergänzt: „Unser REVOLUZZER Riesling ist der beste Wein, den wir jemals gemacht haben“.

Auch mit ihren Sekterfolgen können sie sich sehen lassen. Sie haben mit ihrem Riesling-Sekt den Tender in Schweden gegen die gesamte deutsche Sektelite gewonnen - und das in einer Blindverkostung. Auch der Rosa Riesling Sekt PROVOKATEUR wurde mit 90 Punkten zum Verkaufsschlager. Was die Wertung für den 19er Jahrgang angeht, so liegt er auf gleichem Niveau wie im Vorjahr. Die vorwiegenden Geschmacksrichtungen sind trocken und halbtrocken.

Zur Statistik: das Winzerpaar besitzt eine Weinanbaufläche von 5 Hektar, 80 Prozent davon entfallen auf den Riesling, 15 Prozent auf Spätburgunder und 5 Prozent auf Weißburgunder. Die Weinberglagen sind Hallgartner Jungfer, Würzgarten, Hendelberg und Schönhell. Durchschnittlich werden im Jahr 40 000 Flaschen abgefüllt. Die Preise für trockenen Weißwein liegen zwischen 9.50 bis 26 Euro, beim Roten  17 bis 45 Euro, Sekte zwischen 14.50 und 17.50 Euro. Die Nachfrage hier wächst schneller als beim Riesling-Wein.

Was die Zukunft angeht, so werden 2021 zwei neue Sekte CREMANT ALLEMAND der Rebe Pinot Noir, Anfang nächsten Jahres mit DESSERTEUR und ein alkoholfreier Wein präsentiert, und am REVOLUZZER Gartenhaus wieder Weinproben rund um die Geschichten des Weins und Diskussionen – wie früher  vor rund 200 Jahren - zu Freiheit und Demokratie abgehalten nach dem Motto „nach vorne denken und den Mund aufmachen“.

Die Anlaufadressen: Weingut BIBO Runge, Eberbacherstraße 5, 65375 Oestrich-Winkel, Tel: (06723)9986900, info@bibo-runge-wein.de/ www. bibo-runge-wein.de