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Letzte Aktualisierung: 26.04.2024

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100 Jahre lebhafte Debattenkultur

Gesellschaft für Handel, Industrie und Wissenschaft mit Jubiläumschronik

von Karl-Heinz Stier

(20.02.2020) Die Frankfurter Gesellschaft für Handel, Industrie und Wissenschaft hat in ihren 100 Jahren eine recht wechselvolle Geschichte erlebt.

Bildergalerie
Prof. Dr. Ralf Roth
Foto: Societäts-Verlag
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Roths zweibändiges Werk
Foto: Societäts-Verlag
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In den Wirren nach dem Ersten Weltkrieg und den Anfängen der Weimarer Republik gegründet, sollte sie dieser auf lokaler Ebene Stabilität verleihen. In der NS-Zeit entfernte sich die Gesellschaft jedoch von ihren Prinzipien und ließ sich vom Weltbild des neuen Regimes beeinflussen, was zu einem Ausschluss ihrer jüdischen Mitglieder führte.

In der Nachkriegszeit wurde sie schnell wieder zu einem Treffpunkt für bedeutende Persönlichkeiten und Eliten, wie Ludwig Erhard, Theodor W. Adorno oder Max Horkheimer. Prof. Dr. Ralf Roth, der das Archiv der Gesellschaft vor mehr als 25 Jahren aufgebaut hat und seitdem betreut, hatte die Aufgabe diese 100 Jahre in die allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge einzubetten. So ist ein einzigartiges Panorama des 20. Jahrhunderts mit allen seinen Höhen und Tiefen entstanden, dessen Ausschläge sich in der Frankfurter Gesellschaft wie in einem Prisma bündeln.

Gegründet als ein Zusammenschluss jenseits der Partei-, Konfessions- und Einkommensgrenzen stand die Debattenkultur der Gesellschaft zutiefst in einer liberalen wie jüdisch-christlichen Tradition. Das soziale Spektrum reichte von Repräsentanten der Arbeiter über gestandene Kaufleute, Bankiers und Kapitäne der Industrie bis hin zu mittelständischen Vertretern und Radikalkonservativen, denen die Anerkennung der Weimarer Republik schwerfiel. Anfang der 1930er kam es jedoch zum Bruch. Ralf Roth schildert minutiös, was dies für die vom Nationalsozialismus für „nichtarisch“ erklärten Mitglieder bedeutete und verfolgt ihr persönliches Schicksal über die ganze Welt und oftmals bis in den Tod. So zogen sich einige Wenige einfach ins Private zurück, die meisten mussten dagegen emigrieren, wurden verfolgt, in KZs gebracht und ermordet oder fanden den Weg in den Widerstand wie Friedrich Dessauer oder Franz Böhm.

Wie die von Ralf Roth ausgewerteten Archive zeigen, legten viele andere ihre Mitgliedschaft aus Protest gegen den ideologischen Wahn des Nationalsozialismus in persönlichen Schreiben nieder. Der zweite Band dokumentiert den Rückweg der Gesellschaft in die bestehende Bundesrepublik mit ihrer nun wieder demokratischen Verfassung.

Zentrale Persönlichkeiten, die den Grundkonsens der werdenden Bundesrepublik mit entwickelten, haben auch in der Frankfurter Gesellschaft eine außerordentliche Rolle gespielt, wie etwa Ludwig Erhard oder Walter Hallstein. Roth strukturiert seine umfangreichen Ausführungen zu den Hintergründen mit zahllosen Biographien einer Elite, die schon vor 100 Jahren verinnerlicht hatte, was heute wieder in aller Munde ist: „think global act local“.

„100 Jahre Frankfurter Gesellschaft für Handel, Industrie und Wissenschaft“ erscheint im zweibändigen Leinen-Hardcover und kostet 38,00 €. Erschienen im Societäts-Verlag, 910 Seiten, Hardcover  ISBN: 978-3-95542- 362-9.

Zum Autor:
Ralf Roth (geboren 1957) absolvierte ein Studium der Mittleren und Neueren Geschichte, Germanistik und Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt. 1996 hat er mit dem Thema „Stadt und Bürgertum in Frankfurt am Main 1760 - 1914.  Ein besonderer Weg von der ständischen zur modernen Bürgergesellschaft“ bei Lothar Gall promoviert. 2003 erfolgte die Habilitation am Fachbereich Philosophie und Geschichte. Seit 2009 ist er außerplanmäßiger Professor am Historischen Seminar der Goethe-Universität. Societäts-Verlag