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Letzte Aktualisierung: 03.12.2024

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"Keine Alleingänge im Diabetesmanagement!"

VDBD: Technologien sind nur so gut wie ihre Anwendung

von Michaela Richter

(15.06.2022) Immer mehr Menschen mit Diabetes mellitus nutzen neue Technologien, um sich in ihrem Diabetes-Alltag zu entlasten. Insbesondere junge Patienten mit Diabetes Typ 1 verwenden automatisierte Systeme, die die Blutzuckermessung und Insulinabgabe automatisch regulieren und somit die Funktion der Bauchspeicheldrüse nachahmen. So nutzen inzwischen rund zwölf Prozent aller Kinder und Jugendlichen mit Diabetes so genannte AID-Systeme (automatische Insulindosierung) – Tendenz steigend.

Der Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e. V. (VDBD) weist darauf hin, dass durch die neuen Technologien der Schulungsaufwand künftig steige. Er rät dringend dazu, mit geschultem Personal eine individuelle Kosten-Nutzen-Abwägung vorzunehmen und sich vor und während der Nutzung dieser Technologie ausführlich beraten und schulen zu lassen.

Eine moderne Diabetestherapie ist ohne Technologie heute undenkbar. „Neben jeder Euphorie über die neuesten Entwicklungen im Diabetesmanagement dürfen wir aber nicht vergessen: Die Technik ist nicht unfehlbar – sie kann ausfallen oder fehlerbehaftet sein“, erklärt Theresia Schoppe, neu gewähltes VDBD-Vorstandsmitglied. Die Diabetes- und Ernährungsberaterin aus Münster weist darauf hin, dass aus diesem Grund eine intensive Begleitung und Beratung im Vorfeld sowie regelmäßige Nachschulungen dringend notwendig seien, um Betroffene in ihrer Kompetenz im Umgang zu stärken.

Einen besonderen Mehrwert bieten AID-Systeme, eine Kombination aus Insulinpumpe, kontinuierlicher Glukosemessung (CGM) und einem die Insulinzufuhr steuernden Algorithmus. Indem es dem Körper, abhängig von der jeweils gemessenen Glukose, Insulin zuführt, ahmt es die natürliche Funktion der Bauchspeicheldrüse nach. Das ermöglicht, täglich länger im Blutzucker-Zielbereich zu sein und gefährliche Hyper- und Hypoglykämien zu vermindern – insbesondere nachts. „Dieses System ist ein Meilenstein in der Diabetestherapie. Wir schätzen, dass in den nächsten zehn Jahren etwa die Hälfte aller Menschen mit Typ-1-Diabetes ein AID-System nutzt oder nutzen wird. In rund 15 Jahren werden es sicher 90 Prozent sein“, prognostiziert Schoppe.

Je mehr Technologie in die Diabetestherapie Einzug hält und je komplexer deren Anwendung wird, desto größer ist auch die Eigenverantwortung der Patienten und desto höher ist der Schulungsbedarf. „Es ist für die Betroffenen nicht nur wichtig, die Technik zu verstehen, die Grenzen des eigenen AID-Systems zu kennen und ein Verständnis für den jeweiligen Algorithmus des AID-Systems zu haben“, führt Schoppe aus. „Sie müssen auch kompetent in der Kohlenhydrat-Einschätzung sein, um sich im Falle eines technischen Ausfalls selbst zu helfen zu wissen.“ All diese Anforderungen machen Diabetesschulungen in Zukunft immer wichtiger. Anwender müsse zudem klar sein, dass sich zwar oft wenig in der Hardware der Technik verändert, die Weiterentwicklung der integrierten Software jedoch rasant fortschreitet und auch dies eine regelmäßige Unterweisung notwendig mache.

Wie wichtig eine begleitende Beratung während der Anwendung solcher Systeme ist, zeigt eine Studie aus den USA1: Darin wurde deutlich, dass sich trotz Zunahme der Techniknutzung, beispielsweise mit CGM und Algorithmus-gesteuerter Insulinpumpe, die angestrebten Stoffwechselziele sogar verschlechterten. „Das Ergebnis lässt sich durch eine fehlende therapeutische Patientenschulung in den USA erklären“, interpretiert VDBD-Vorsitzende Dr. rer. medic. Nicola Haller. „Die Technologie ist eben nur so gut wie ihre Anwendung.“ Aber nicht nur für Patienten ändern sich die Anforderungen. Auch in Diabetespraxen müssen strukturierte Fortbildungen des Fachpersonals integriert und unabhängige Fortbildungsmöglichkeiten regelmäßig angeboten werden, um Technikanwender ausreichend zu befähigen.

Der VDBD weist zudem darauf hin, dass AID-fähige Insulinpumpen mit kompatiblen CGM-Systemen von Krankenkassen noch nicht problemlos finanziell unterstützt werden. „Aufgrund der Regularien kann es passieren, dass eine AID-fähige Insulinpumpe keine Kostenzusage für das dazugehörige CGM-System erhält. Somit kann die Algorithmussteuerung nicht genutzt werden“, erklärt Haller. Aktuell sind vier offiziell zugelassene Produkte im Hilfsmittelverzeichnis des GKV-Spitzenverbandes gelistet und somit einzeln erstattungsfähig. Auch hier sollten sich die Patienten bei ihrem Diabetesteam informieren.