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Letzte Aktualisierung: 19.03.2024

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Kunsthaus Zürich veranstaltet «Action!» – eine Ausstellung zur Aktionskunst mit zahlreichen Live-Performances

von Bernd Bauschmann

(23.06.2017) Vom 23. Juni bis 30. Juli 2017 verwandelt sich das Kunsthaus Zürich in einen Aktionsraum. Neben Live-Aktionen und Performances werden Arbeiten gezeigt, die die Besucher selber zu Akteuren machen. Besucher werden direkt in die Entstehung neuer Kunstwerke miteinbezogen, historische Performances wieder aufgeführt oder reinszeniert. 30 Künstlerinnen und Künstler sind mit dabei, darunter Yoko Ono und Rimini-Protokoll. Action! inspiriert sich an Allan Kaprow (1927–2006) und stellt drängende Fragen unserer Zeit zur Diskussion.

Protest Bike, 2016, Bonanzarad, Megafone, Ton, Fahnen, gemischte Medien
Foto: Marinella Senatore, Kunsthaus Zürich
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Performancekunst ist in den letzten Jahren wieder zu einem bedeutenden Teil zeitgenössischer Kunstproduktion geworden. Eine junge Künstlergeneration knüpft an die Hochzeit von Performances, Happenings und Kunstaktionen in den 1960er- und 1970er-Jahren an. Weshalb liegen ephemere und prozessorientierte Kunstformen wieder im Trend? Dieser Frage geht die Ausstellung «Action!» nach und rückt den Begriff der «Aktion» sowohl im formalen wie im politischen Sinn in den Fokus.

«Agency for Action»
Unsere heutige Zeit ist geprägt von einem politischen Paradigmenwechsel. Themen wie die Flüchtlingskrise, der Aufschwung von rechtspopulistischen Parteien und die Infragestellung von grundlegenden demokratischen Werten verlangen nach einer (Re)Aktion. Die von Allan Kaprow bereits 1967 formulierte Forderung, dass das moderne Museum eine «agency for action» werden solle, ist daher aktueller denn je. Kaprow, Mitnamensgeber der Ausstellung, darf bei «Action!» natürlich nicht fehlen. San Keller reinterpretiert Kaprows Arbeit «Yard» aus dem Jahre 1961. Daneben werden historische Werke von Yoko Ono oder Adrian Piper neu aufgelegt und historische Performances von Trisha Brown und Lucinda Childs wieder aufgeführt. Junge zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler treten in einen Dialog mit diesen historischen Positionen und stellen aktuelle gesellschaftspolitische Fragen zur Diskussion.

Genderfragen und bedingungsloses Grundeinkommen
Die berühmt gewordene plakative Aussage der Guerrilla Girls, dass nur 5% der ausgestellten Kunstwerke von Frauen stammen, aber die Aktmodelle auf Gemälden zu 85% weiblichen Geschlechts sind, trat in den 1980er-Jahren eine Debatte los. Es lohnt sich, angesichts fortbestehender Ungleichbehandlung von Männern und Frauen, diese weiter zu führen. Während Valie Export und Adrian Piper als historische Zeitzeuginnen auftreten, führen Sharon Hayes und die Guerrilla Girls diese Diskussion heute weiter. Ahmet Ögut regt zum Nachdenken über das bedingungslose Grundeinkommen an und Boris Charmatz / Musée de la danse zeigt eine Arbeit, die der seit den Attentaten in Paris völlig veränderten Befindlichkeit der Menschen im öffentlichen Raum nachspürt.

Öffentlicher Raum und Social Media
Der öffentliche Raum tritt in der Ausstellung aber nicht nur klassisch als Strassenraum in Erscheinung, sondern dehnt sich ins Internet und in die sozialen Medien aus. Alexandra Pirici setzt sich mit dem durch Algorithmen und Filter Bubbles gesteuerten Informationsfluss auseinander. Die !Mediengruppe Bitnik stellt die Frage, wer für eine (politische) Aktion verantwortlich ist, wenn ein Roboter plötzlich Dinge unternimmt, für die er eigentlich nicht vorgesehen ist. Cally Spooner lässt Skandale wiederaufleben, die für heftige Reaktionen in Internetforen gesorgt hatten. Gehässige Kommentare laufen über eine LED-Schriftbox. Regelmässig, allerdings zu vorher nicht angekündigten Zeiten, werden diese Kommentare live von einer Opernsängerin vorgetragen. Im Medium der Stimme erhalten die schnell getippten, technisch transportierten Inhalte eine emotionale und persönliche Botschaft.

Begrenzung/Entgrenzung: Architektur prägt Choreographie
In viele Werke werden die Besucher direkt einbezogen. Sie verwandeln sich von passiven Betrachtern zu aktiven Teilnehmern. Gleich zu Beginn der Ausstellung lädt die libanesisch-syrische Künstlerin Mounira Al Solh die Besucher dazu ein, ihre Schuhe auszuziehen und sich stattdessen ein Paar traditionelle syrische Holzpantoffeln, wie sie auch heute noch von syrischen Flüchtlingen sehr oft getragen werden, überzuziehen und damit die Ausstellung anzuschauen. Nicht weit davon entfernt zeigt der berühmte Tänzer und Choreograf William Forsythe eines seiner choreografischen Objekte. Der im Raum schwebende Kubus holt das Publikum aus seiner Komfortzone. Nur auf allen vieren, kriechend oder sich verbiegend, kann man sich dem Objekt nähern. Die Installation ist ein Kommentar auf den sich durch die politischen Entwicklungen heute ständig verkleinernden Radius an Aktionsmöglichkeiten.

Mit dem "Protest-Bike" durch Zürich. Publikum liefert Sound
«Action!» bietet ein breites Spektrum an Beteiligungsmöglichkeiten: Dabei ist Marinella Senatores «Protest-Bike» (2016), ein mit Lautsprechern und Hupen erweitertes Fahrrad, das sich Besucherinnen und Besucher ausleihen und damit durch die Stadt fahren können, sicher eine der sportlichsten. Eine neue Arbeit der in Italien geborenen Künstlerin entstand extra für «Action». Aus Audiodateien von unterschiedlichen Geräuschen in der Stadt Zürich, die von jedermann bis Mitte Juni aufgenommen und hochgeladen werden konnten, komponierte Senatore einen Soundtrack zur Ausstellung, der zu einer Parade abgespielt wird, an der wiederum viele Laien und Statisten teilnehmen können.

Auf der Website action.kunsthaus.ch findet man neben der umfangreichen Veranstaltungsagenda Kurzbiografien und Werkbeschreibungen der 30 Kunst-schaffenden, die von Kuratorin Mirjam Varadinis für die nur fünf Wochen dauernde Ausstellung ausgewählt wurden.

Aktuelle Informationen auf der Ausstellungswebsite.