Das Online-Gesellschaftsmagazin aus Frankfurt am Main

Letzte Aktualisierung: 26.04.2024

Werbung
Werbung

In Frankfurt existiert seit 50 Jahren ein innovatives gemeindepsychiatrisches Netzwerk

von Ilse Romahn

(25.06.2018) In diesen Tagen lässt ein Besuch an der Hauptwache viele Passantinnen und Passanten ratlos und verstört zurück. An dieser prominenten Stelle unserer Frankfurter Innenstadt findet aktuell eine „antipsychiatrische“ Ausstellung der KVPM Deutschland, gegründet von Mitgliedern der Scientology Kirche in München, statt.

Seitdem erreichen das Gesundheitsdezernat und das Gesundheitsamt der Stadt Frankfurt zahlreiche Briefe und Anrufe von Betroffenen und professionellen im psychiatrischen Umfeld Tätigen zu diesem Thema.

Gesundheitsdezernent Stefan Majer stellt klar: „Hier wird Meinungsfreiheit zur Hetze missbraucht. Wir können in der Bundesrepublik nach der erfolgreich umgesetzten Psychiatrie-Enquete auf 40 Jahre gemeindenahe, hochdifferenzierte, am Menschen orientierte psychiatrische Versorgung zurückblicken. Insbesondere in Frankfurt am Main hat sich schon in den letzten 50 Jahren ein innovatives, weil sich ständig weiterentwickelndes gemeindepsychiatrisches Netzwerk etabliert.“

Auch der Amtsleiter des Gesundheitsamtes, Prof. René Gottschalk, und die Abteilungsleiterin der Abteilung Psychiatrie am Gesundheitsamt, Alexandra Dippel, melden sich zu Wort „Unsere Aufgabe in der sozialpsychiatrischen Arbeit ist die niedrigschwellige, auch aufsuchende Arbeit mit den betroffenen Menschen und deren Familien, ganz am einzelnen Menschen und dessen Willen orientiert. Die Ausstellung vermittelt in Form von Verschwörungstheorien gemeinsame Machenschaften zwischen Pharmaindustrie, Psychiatern und „der Psychiatrie“. Die Realität der gemeindepsychiatrischen kleinteiligen Versorgungsstruktur der Stadt Frankfurt wird in keiner Weise abgebildet.“

Die Chefärzte der vier Frankfurter Versorgungskliniken nehmen wie folgt Stellung: PD Christoph Fehr, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Agaplesion Markus Krankenhaus: „Psychische Krankheiten zählen heute zu gut behandelbaren Erkrankungen. Die Art und Weise, wie hier das Fachgebiet der seelischen Erkrankungen und deren Behandlung in der Ausstellung: ,Tod statt Hilfe‘ dargestellt wird, ist falsch und irreführend. Moderne psychiatrische Therapie kann Leben retten und Lebensqualität der Betroffenen erhalten.“

Prof. Andreas Reif, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie an der Universitätsklinik Frankfurt: „Es ist klar belegt, dass Psychiatrie eine therapeutische Disziplin ist, die unzähligen Menschen aus Krankheit und Notlagen hilft. Die Behauptungen, die in dieser sogenannten Ausstellung präsentiert werden, sind fernab aller Fakten und bestenfalls als Propaganda zu bezeichnen, die Patienten und deren Angehörigen massiv schadet.“

Prof. Markus Steffens, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinik Hohe Mark: „Psychische Erkrankungen können ausnahmslos jeden treffen. Die gute Botschaft ist: Sie können inzwischen gut behandelt werden. Moderne Kliniken, Tageskliniken, Ambulanzen und Praxen für Psychiatrie und Psychotherapie tragen tagtäglich dazu bei. Um das Leiden nicht unnötig zu vermehren, sollten weder die betroffenen Menschen mit psychischen Erkrankungen, noch die engagiert an der Therapie beteiligten Institutionen stigmatisiert werden.“

Dr. med. Hildegard Weigand-Tomiuk, Leitende Oberärztin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie – Psychosomatik am Klinikum Frankfurt Höchst, betont: „Die Fakten in der Behandlung psychischer Erkrankungen sprechen eine klare Sprache. Sie sind nach Muskel- und Skeletterkrankungen die zweithäufigste Ursache für Fehltage, bei denen wir einen dramatischen Anstieg sehen. Für Frühverrentungen sind sie sogar der häufigste Grund. Die ärztliche Psychotherapie hat eine lange Tradition, sie ist seit 1957 Teil der Versorgung. Psychiatrie rettet Leben und hilft, die Lebensqualität der Betroffenen zu erhalten. Das ist nicht nur medizinisch für den Betroffenen selbst, sondern auch gesamtgesellschaftlich relevant.“