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Letzte Aktualisierung: 26.04.2024

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,In dieser Aufbruchsstimmung hat Journalismus besonders viel Spaß gemacht‘

,1968 in den Redaktionen: Was geschah in den Köpfen?‘ gibt Einblicke in die journalistische Arbeit im Jahr der Revolte

von Jan Hassenpflug

(22.11.2018) „68 ist ein Mythos geworden und wie das bei einem Mythos so ist, verschwimmen die Grenzen der Realität. Um so wichtiger ist es noch einmal daran zu erinnern, was damals tatsächlich geschehen ist“, eröffnet Claus-Jürgen Göpfert, Autor des Buches „Das Jahr der Revolte - Frankfurt 1968“ und Redakteur der Frankfurter Rundschau, am Dienstagabend, 20. November, einen Rückblick aus journalistischer Sicht.

Podiumsdiskussion '1968 - In den Redaktionen': Thomas Kirn, Michael H. Spreng, Stefan Jäger, Bianca Riemann, Wolf Gunter Brügmann
Foto: Stadt Frankfurt / Rainer Rüffer
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Die Diskussion zur Veranstaltungsreihe „18 trifft 68“ unternimmt „eine kleine Zeitreise“ zurück ins Jahr 1968, wie Moderator Stefan Jäger ankündigt, Leiter der Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Frankfurt. Nicht zuletzt durch die „Frankfurter Schule“ um Max Horkheimer und Theodor W. Adorno war Frankfurt neben Berlin das Zentrum im Jahr der Revolte, in dem gesellschaftliche und politische Strukturen im großen Stil angeprangert wurden.

Gespannt richten die rund 60 Besucher ihre Blicke auf die Bühne, auf der vier ehemalige Journalisten Platz genommen haben. Sie alle standen vor exakt 50 Jahren am Anfang ihrer Karriere. Ihre Erzählungen und Positionen machen schnell deutlich, wie unterschiedlich die Studentenbewegung, Protestaktionen und öffentlichen Demonstrationen wahrgenommen wurden.

Für ein Volontariat landete Bianca Riemann damals völlig unvoreingenommen beim Hessischen Rundfunk (HR). „Na, geh doch mal da hin!“, habe man ihr aufgetragen als es darum ging über die Bewegung auf den Straßen zu berichten. Als Politik-Studentin sei das alles natürlich spannend und reizvoll gewesen.

Michael Spreng, seinerzeit Volontär bei der Frankfurter Neuen Presse (FNP), später Chefredakteur der Bild am Sonntag, war bereits vertraut mit der revolutionären Perspektive. Zeitgleich zu seinem Start bei der FNP schloss er sich in der Schülervertretung den „positiven Nihilisten“ an, die mit dem linken Mainstream an den Unis allerdings wenig gemein hatten und genoss den „spielerischen Charakter“ des Protests. „Es herrschte eine Aufbruchsstimmung, in der Journalismus natürlich auch besonders viel Spaß machte, wenngleich es nicht immer ungefährlich war“, bezieht sich Spreng auf Reportereinsätze bei Demonstrationen.

Ganz anders ging es Thomas Kirn. Als Germanistik- und Kunststudent war er genervt von den ständigen Aufständen in den Hörsälen. In Ruhe studieren war kaum möglich. Sein Vater leitete die Lokalredaktion der FNP, wodurch er unter anderem die Blockade der Societätsdruckerei live miterlebte. Später volontierte er beim Darmstädter Echo und berichtete für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ).

„Eigentlich war Frankfurt nie mein Ziel“, blickt Wolf Gunter Brügmann zurück. Aus Kiel war er für eine freie Mitarbeit zum Höchster Kreisblatt gekommen. Kurz vor Ende seines Engagements fand er sich inmitten einer Demonstration in der Frankfurter Innenstadt wieder und war so fasziniert, dass er doch blieb. In Diensten der Frankfurter Rundschau tastete er sich immer mehr an die für ihn wirklich interessanten Geschichten heran, knüpfte Kontakte für Bier und Burger und konnte schließlich direkt aus dem Geschehen heraus berichten.

Journalismus nach Vorschrift? Das – da sind sich alle vier einig – habe es zu dieser Zeit nicht gegeben. Ganz im Gegenteil, von einem „liberalen Arbeitsklima“ ist vielfach die Rede. „Wir haben Journalismus so gemacht, wie wir es für richtig hielten“ erinnert sich Kirn. „Leitbilder wurden lediglich entwickelt, um festzulegen: Was geht und was geht nicht?“, stellt Brügmann klar. Die NS-Zeit sei allerdings nicht spurlos an den Chefredakteuren vorübergegangen wirft Riemann ein: „In meiner gesamten journalistischen Laufbahn habe ich das Wort ,durchführen‘ nie verwendet.“

Je nach Zeitung und deren politischer Ausrichtung im Spannungsverhältnis zwischen linker oder rechter Gesinnung sei man den Aktivisten natürlich nicht gleichermaßen wohlgesonnen gewesen. „Für uns war der HR mit Bianca Riemann wichtiger als jede Zeitung, weil die Berichterstattung einfach aufgeklärter war“, schaltet sich eine Zeitzeugin aus dem Publikum ein.

Ein weiterer Zuhörer fragt, ob ein Medium wie Twitter die damalige Berichterstattung verändert hätte. Spreng entgegnet: „Dabei geht es darum, sofort etwas rauszuhauen. Journalistische Berichterstattung bedarf einer reflektierten Einordnung. Das ist auf die Schnelle gar nicht möglich.“ Dem stimmte Brügmann zu: „Ich würde mich heute überfordert fühlen, Geschichten so zur Entfaltung zu bringen.“

Die vier 68er-Akteure sehen die Pressefreiheit inzwischen aufgrund des Existenzdrucks, gerade in den Print-Medien, bedroht. „Früher war nicht alles besser“, meldet sich Arnd Festerling, Chefredakteur der Frankfurter Rundschau und im Vorstand des Mitveranstalters, des Frankfurter Presseclubs, zu Wort. Er bricht eine Lanze für den Journalismus in der heutigen Zeit und warnt vor verklärter Nostalgie. Am Ende der Veranstaltung ziehen die vier Teilnehmer persönlich Bilanz: Für Brügmann ist der „Mythos 68“ „gesättigte Lebenserfahrung“; für Riemann ist er „nicht mehr vorhanden“. Spreng bezeichnet ihn als „bedeutungslos“ und für Kirn ist er „nicht mehr wiederzuerkennen“. (ffm)