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Letzte Aktualisierung: 26.04.2024

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Gute Gentechnik, böse Gentechnik?

Wissenschaftler kritisieren Urteil des Europäischen Gerichtshofs

von Norbert Dörholt

(02.10.2018) An der Gentechnik scheiden sich die Geister: In der Pflanzenzucht stößt der Einsatz gentechnischer Verfahren auf eine große Ablehnung. In der Humanmedizin ist die Gesellschaft denselben Methoden gegenüber deutlich positiver eingestellt. Woher kommt diese Entwicklung? Welche Argumente gibt es für oder gegen den Einsatz gentechnischer Verfahren? Gibt es einen Unterschied zwischen dem Einsatz bei Pflanzen und in der Humanmedizin?

Diesen Fragen geht eine Konferenz an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) nach, die am 10. und 11. Oktober am Universitätsplatz stattfindet. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat vor wenigen Wochen ein vielbeachtetes Urteil zu modernen gentechnischen Verfahren gefällt: Pflanzen, deren Erbgut zum Beispiel mit der Gen-Schere CRISPR/Cas9 verändert wurde, fallen auch dann unter das Gentechnikrecht, wenn dadurch lediglich sogenannte Punktmutationen in das Erbgut eingefügt werden. Dabei handelt es sich um gezielte Veränderungen einzelner Abschnitte im Erbgut eines Organismus.

Die Erzeugung und Nutzung dieser Mutationen in Organismen waren bislang vom Gentechnikrecht ausgenommen. Außerdem müssen sie als genetisch veränderte Organismen (GVO) ausgewiesen werden. Für Pflanzen, deren Erbgut durch radioaktive Strahlung oder den Einsatz von Chemikalien verändert wurde, gelten diese Bestimmungen aber seit vielen Jahren nicht. „Das Urteil des EuGH ist sowohl aus naturwissenschaftlicher als auch aus rechtswissenschaftlicher Sicht kritikwürdig", sagt Tagungsorganisator Dr. Timo Faltus, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der MLU.

Punktmutationen seien Veränderungen, die in Pflanzen auch auf natürlichem Wege, etwa durch die UV-Strahlung der Sonne, durch radioaktive Strahlen oder chemische Substanzen verursacht werden könnten, so der Jurist und Biologe Faltus. „Am Erbgut einer Pflanze lässt sich später nicht mehr nachvollziehen, woher die Veränderung rührt. Das Produkt ist das gleiche." Auch der Einsatz von Gen-Scheren in der Humanmedizin, etwa bei der Gentherapie, werde aktuell wieder stark diskutiert.

Die Konferenz nimmt sowohl das aktuelle EuGH-Urteil auf, orientiert sich aber auch an den bereits seit langer Zeit geführten öffentlichen Debatten über den Einsatz von gentechnischen Verfahren bei Pflanzen und in der Medizin. Ziel ist es, die Argumente und Diskussionen nachzuzeichnen, die zu dem in Teilen widersprüchlichen Bild von Gentechnik in der Bevölkerung führten. Thematisiert werden auch aktuelle Fragen, etwa zur klinischen Prüfung von Gentherapieansätzen. Auf dem Programm stehen Vorträge, Workshops und Posterpräsentationen, die gemeinsam von Natur- und Kommunikationswissenschaftlern, Juristen und Ethikern veranstaltet werden. Die Veranstaltung richtet sich an Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft und der Zivilgesellschaft, die miteinander ins Gespräch kommen sollen.

Die Konferenz findet im Rahmen des Verbundprojekts „GenomELECTION" statt, das von der MLU gemeinsam mit dem Museum für Naturkunde Berlin koordiniert und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Darin untersuchen Juristen, Philosophen und Kommunikationswissenschaftler die ethischen und rechtlichen Grenzen der regenerativen Medizin und entwickeln neue Strategien, wie sich dieser komplexe Themenbereich der Bevölkerung angemessen vermitteln lässt.