Das Online-Gesellschaftsmagazin aus Frankfurt am Main

Letzte Aktualisierung: 25.04.2024

Werbung
Werbung

Gekauft. Gesammelt. Geraubt?

Nazi-Beute an jüdischen Mitbürgern

von Karl-Heinz Stier

(17.05.2018) Seit 16 Jahren tourt sie durch Hessen - die Wanderausstellung „Legalisierter Raub – Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen von 1933 bis 1945“ des Fritz Bauer Instituts und des Hessischen Rundfunks.

Bildergalerie
Zollbeamtenzeitschrift 1939
Foto: Karl-Heinz Stier
***
Versteigerung von jüdischem Hab und Gut in Hanau 1942
Foto: Karl-Heinz Stier
***
Faschingsumzug in Marburg 1936
Foto: Karl-Heinz Stier
***
Podiumsteilnehmer der Pressekonferenz im Historischen Museum: Dr. Jan Gerchow, Direktor Historisches Museum; Gottfried Kößler, Fritz Bauer Institut; Dr. Angela Janelli, Direktorin Jüdisches Museum; Matthias Wagner K, Direktor Museum Angewandte Kunst; Dr. Eva Ch. Raabe, Direktorin Weltkulturen Museum
Foto: Karl-Heinz Stier
***

Sie informiert darüber, wie die jüdische Bevölkerung systematisch ausgeraubt wurde, wie das „Deutsche Reich“ durch die Reichsfluchtsteuer, zahlreiche Sonderausgaben und schließlich  durch den vollständigen Vermögenseinzug am Holocaust verdiente, an den Menschen, die in die Emigration getrieben wurden und an denen, die blieben, weil ihnen das Geld für die Auswanderung fehlte oder weil sie ihre Heimat trotz allem nicht verlassen wollten. Nach den Deportationen kam es überall zu öffentlich angekündigten Auktionen aus jüdischem Besitz: Tischwäsche, Möbel, Kinderspielzeug, Lebensmittel wechselten (in kleineren Gemeinden) in Öffentlichen Versteigerungen oder in Auktionshäusern (Mittel- und Großstädten) ihre Besitzer.

Die Entstehung der Ausstellung, die nun im Historischen Museum in Frankfurt seit heute ihren Abschluss findet und bis zum 14.10.18 dauert, geht auf die Freigabe der Unterlagen der NS-Finanzverwaltung durch den Hessischen Finanzminister Karl Starzacher 1998 zurück.  „Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Instituts sichteten die Akten im Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden. Sie dokumentierten das Wirken einer mitleidlosen, ideologischen prädisponierten Bürokratie und zeigen eindrücklich die Beraubung der jüdischen Bevölkerung Hessens“, so Prof. Dr. Steinbacher,  Direktorin des Fritz Bauer Instituts.

Für jeden der bisher 29 Standorte, darunter in Fulda, Marburg, Gießen, Darmstadt, Kassel, Friedberg, Wetzlar, Offenbach, Groß-Gerau, Wiesbaden, Feldberg, Limburg und Berlin, wurde jeweils ein neuer regionaler Schwerpunkt erarbeitet. Waren es bei der Erstpräsentation 15 Geschichten ausgeplünderter jüdischer Familien, die die Ausstellung erzählt, so sind es heute 140. „Viele Menschen, insbesondere Schüler und Schülerinnen, haben sich mit der Geschichte und der Verfolgung von jüdischen Familien in ihren Heimatorten auseinandergesetzt. Sie haben eine andere Erinnerungskultur entwickelt, Vertuschungen und Beteiligungen an offiziell geraubten Aktionen verblassen. Neugier trifft oft an die Stelle von Scham früherer Generationen“, betont   Dr. Angela Jannelli, Kuratorin der Ausstellung im Historischen Museum.  So werden die Erwerbspraxis im Nationalsozialismus vorgestellt,  Wiedergutmachungsverfahren in der Nachkriegszeit nachgezeichnet und unter dem Titel „Schwierige Dinge“ zeigen Privatleute Objekte, von denen sie vermuten, dass sie aus „legalisiertem Raub“ stammen können.

Den Abschluss der Wanderausstellung „Legalisierter Raub“ nehmen auch vier andere Frankfurter Museen zum Anlass, nach den Spuren des „Legalisierten Raubs“ in ihren Sammlungen zu suchen. Parallel  dazu zeigt das Museum Judengasse  die Präsentation  „Geraubt. Zerstört. Verstreut. Zur Geschichte von jüdischen Dingen in Frankfurt“. Nach Mitteilung von Dr. Mirjam Wenzel, Direktorin des Jüdischen Museums, geht man dem Weg von Gegenständen nach, die sich einst in der 1938 zerstörten Börneplatz-Synagoge befanden und fragt nach der Herkunft von Objekten, die im Zusammenhang mit frühneuzeitlichen Pogromen geraubt und von christlichen Buchbindern weiterverwendet wurden.

Das Museum Angewandte Kunst  hat seiner Ausstellung vom 1. Juni bis 14. Oktober den Titel „Geraubt. Gesammelt. Getäuscht“ gegeben und präsentiert kunsthandwerkliche Silberobjekte aus der Sammlung des jüdischen Textilfabrikanten Joseph Pinkus.  Nach Mitteilung von Direktor Matthias Wagner K. wurden im Nationalsozialismus  die Erbstücke seiner Tochter Hedwig Ehrlich (Witwe des Nobelpreisträgers Paul Ehrlich) aus Frankfurt aufgrund der Zwangsabgabe von Edelmetallen für Juden entzogen. 2017  im Zuge der Provenienzforschung identifizierte man 10 Stücke aus dieser Sammlung im Museumsbestand. Die Ausstellung skizziert die Geschichte der Sammlung Pinkus/Ehrlich, thematisiert den NS-verfolgungsbedingten Verlust der Silbergegenstände, ihre Besitznahme durch das Museum und offenbart den Verbleib der wiederentdeckten Objekte bis heute.

Schließlich geht das Weltkulturen Museum vom 16. August bis 27. Januar 2019  Fallbeispielen aus kolonialem und nationalsozialistischem Kontext  unter dem Titel „Gesammelt. Gekauft. Geraubt.“ nach. Handelt es sich bei einem Waffengurt aus Südafrika um Kriegsbeute? Weshalb konnte das Museum Anfang der 40er Jahre in Paris und Amsterdam „günstige Ankäufe“ machen? Das sind einige der Fragen, die bei der Auseinandersetzung mit der Sammlung des Weltkulturen Museums aufkommen. Ausgewählte Beispiele machen deutlich, wie wichtig eine langfristige Auseinandersetzung mit der eigenen Sammlungsgeschichte ist, erläutert Direktorin Dr. Eva Ch. Raabe.

Die Ausstellung „Legalisierter Raub“ steht unter der Schirmherrschaft des Hessischen Finanzministers Dr. Thomas Schäfer, die Ausstellungen der beteiligten Frankfurter Museen werden vom Kulturamt der Stadt Frankfurt gefördert. Dezernentin Dr. Ina Hartwig: „Es ist notwendig und wichtig, dass sich die Museen der Herkunft ihrer Exponate annehmen. Ich begrüße das Häuser übergreifende Engagement unserer Museen sehr. Sich kritisch und öffentlich mit der eigenen Institutions– und Sammlungsgeschichte auseinanderzusetzen heißt auch, die jüngste Vergangenheit zu erhellen“.