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Letzte Aktualisierung: 26.04.2024

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Hunger, Rauchen, Ungeziefer

Geschichte von unten/Kurzweilig und detailreich erzählt von Manfred Vasold

von Norbert Dörholt

Die Geschichtswissenschaft hat den Dingen des Alltags lange Zeit wenig Beachtung geschenkt. Historiker widmen sich vornehmlich der Großen Politik, untersuchen Anlässe und Ursachen von Kriegen, analysieren Verträge und erörtern diplomatische Schachzüge. Wie das Leben der Zeitgenossen indes konkret aussah, bleibt oft außen vor. Nicht so bei Manfred Vasold: In seiner sorgfältig recherchierten Sozialgeschichte des Alltags in der Neuzeit widmet sich der studierte Biologe und Historiker in seinem Buch „Hunger, Rauchen, Ungeziefer“ den konkreten Lebensumständen der Menschen der damaligen Zeit. 



Hunger, Rauchen, Ungeziefer – kein Wunder, dass die beiden Gestalten auf dem Titelbild nicht besonders gesund aussehen.
***


Anschaulich, lebendig und doch wissenschaftlich präzise betrachtet der Autor die kleinen und großen Probleme des Alltags, erzählt, was die Menschen in einer Zeit bewegte, in der Hunger noch allgegenwärtig war, Arbeit häufig krank machte und Säuglinge oft kein Jahr alt wurden. Detail- und kenntnisreich zeigt Manfred Vasold auf, wie kleine Veränderungen der Lebensumstände fundamentale Auswirkungen hatten: Der Leser erfährt vom allgegenwärtigen Hunger, von den Auswirkungen der Witterung auf die Ernährung und vom Einfluss der Ernährung auf Wachstum, Fruchtbarkeit und Lebenszeit. So war Mangelernährung bei den kleinen Leuten neben Krankheiten und unzureichender Hygiene die Hauptursache für die hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit, da viele Frauen infolge körperlicher Auszehrung nicht stillen konnten. Diese Faktoren seien laut Vasold auch der Grund gewesen, warum zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Deutschen um neun Prozent kleiner waren als heute. Der bayerische Durchschnittsrekrut maß lediglich 1,64 Meter. Die Oberschicht, so der Autor, sei aber viel besser ernährt und somit deutlich größer gewesen.

Die Geschichtswissenschaft hat den Dingen des Alltags lange Zeit wenig Beachtung geschenkt. Historiker widmen sich vornehmlich der Großen Politik, untersuchen Anlässe und Ursachen von Kriegen, analysieren Verträge und erörtern diplomatische Schachzüge. Wie das Leben der Zeitgenossen indes konkret aussah, bleibt oft außen vor. Nicht so bei Manfred Vasold: In seiner sorgfältig recherchierten Sozialgeschichte des Alltags in der Neuzeit widmet sich der studierte Biologe und Historiker in seinem Buch „Hunger, Rauchen, Ungeziefer“ den konkreten Lebensumständen der Menschen der damaligen Zeit. 


Hunger, Rauchen, Ungeziefer – kein Wunder, dass die beiden Gestalten auf dem Titelbild nicht besonders gesund aussehen.
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Anschaulich, lebendig und doch wissenschaftlich präzise betrachtet der Autor die kleinen und großen Probleme des Alltags, erzählt, was die Menschen in einer Zeit bewegte, in der Hunger noch allgegenwärtig war, Arbeit häufig krank machte und Säuglinge oft kein Jahr alt wurden. Detail- und kenntnisreich zeigt Manfred Vasold auf, wie kleine Veränderungen der Lebensumstände fundamentale Auswirkungen hatten: Der Leser erfährt vom allgegenwärtigen Hunger, von den Auswirkungen der Witterung auf die Ernährung und vom Einfluss der Ernährung auf Wachstum, Fruchtbarkeit und Lebenszeit. So war Mangelernährung bei den kleinen Leuten neben Krankheiten und unzureichender Hygiene die Hauptursache für die hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit, da viele Frauen infolge körperlicher Auszehrung nicht stillen konnten. Diese Faktoren seien laut Vasold auch der Grund gewesen, warum zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Deutschen um neun Prozent kleiner waren als heute. Der bayerische Durchschnittsrekrut maß lediglich 1,64 Meter. Die Oberschicht, so der Autor, sei aber viel besser ernährt und somit deutlich größer gewesen.

In „Hunger, Rauchen, Ungeziefer“ greift der Autor in elf Kapiteln einzelne Themenbereiche heraus, die Einblicke in die kleinen und großen Alltagsprobleme der Menschen vom 17. bis ins 20. Jahrhundert geben. Er beschäftigt sich mit den demografischen Verlusten des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) und deren Folgen für die Bevölkerung, schildert den Ausbruch des Mount Tambora als Ursache der Hungersnot 1816 und erörtert die Auswirkungen der Spanischen Grippe 1918/19, die innerhalb weniger Monate weltweit mehr Menschen in den Tod riss als der Erste Weltkrieg in mehr als vier Jahren. Neben einer kurzen Geschichte des Rauchens beleuchtet Vasold ferner sehr sachkundig die gesellschaftliche Bedeutung des Ungeziefers Floh, Laus und Wanze, die nicht nur lästige Plagegeister, sondern auch Überträger von todbringenden Krankheiten wie Fleckfieber oder Beulenpest waren.

Einiges in Vasolds Buch wird dem Leser von heute fremd vorkommen, einiges aber auch überraschend vertraut. Etwa der Suizid als soziale Massenerscheinung einer durch Urbanisierung und Industrialisierung geprägten Zivilisation oder die Ausbreitung der Unterhose, mit der sich der Autor einem Forschungsgegenstand widmet, der für einen Historiker gemeinhin schwer zugänglich ist.

Manfred Vasold hat mit seiner Sozialgeschichte des Alltags in der Neuzeit ein informatives und gut lesbares Buch geschrieben, das kuriose Details ans Tageslicht bringt, die man ansonsten in keinem Geschichtsbuch findet. Eine lohnenswerte Lektüre für jeden, der sich für Geschichte interessiert und mehr als nur Daten von Schlachten und besonderen Ereignissen wissen möchte. (Manfred Vasold: „Hunger, Rauchen, Ungeziefer. Eine Sozialgeschichte des Alltags in der Neuzeit“, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2016, 423 S, 29,00 €.)

Theodor Kissel, Sörgenloch