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Letzte Aktualisierung: 25.04.2024

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Bei den Einbeinfischern und Lotusweberinnen auf dem Inle-See

von Von Karin Willen

(28.04.2016)  Mit den ersten Sonnenstrahlen, die über die Shan-Berge kommen, geht es los. Jeweils vier Touristen hintereinander knattern in Nyaung Shwe in Myanmar (früher Birma oder Burma) im Langschwanzboot durch den Frühnebel hinaus auf den See. Eine Decke schützt vor Fahrtwindkälte, ein Regenschirm vor Wasserspritzern.

Die Boote der Gruppe sind nicht allein unterwegs. Fast alle kennen im Kanal nur eine Richtung, hin zum See. Als gäbe es imaginäre Leitplanken und Mittelstreifen wie auf einer Autobahn bleibt eine Seite des Wassers nahezu frei. Nach 20 Minuten nach öffnet sich die von Stelzenhäusern und grünen Landstreifen eingerahmte Wasserstraße zum See, der noch halb im Nebel liegt, und die Disziplin ist aufgegeben. Jeder Fahrer fährt, wie er will.


Weltweit bekannt für ihre originelle Rudertechnik: Fischer am Inle-See in Myanmar
Foto: Karin Willen
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Da stehen sie schon, die legendären Inle-See-Fischer mit ihren Langschwanzbooten und Bambus-Reusen. Nur – dass diese nach Touristengeld für die Vorführung ihrer Zunftkünste fischen und nicht nach Graskarpfen oder den 20 anderen Fischarten. Die wirklichen Fischer staksen mit ihrem Ruder woanders und sind auch nicht so hübsch traditionell gekleidet.

Inle-See – das ist ganz weit weg von der Hauptstadt Yangun, der Tempelstadt Bagan oder Mandalay an der Biegung des Irawadi-Flusses. Der See ist das kulturelle Herz des Shan-Staates. Während sich das Leben der meisten Shan-Völker, deren Gebiet sich bis an die thailändische und laotische Grenze Myanmars erstreckt, in kleinen Dorfgemeinschaften um Reisterrassen abspielt, ist der Alltag auf dem 22 Kilometer langen und bis zu elf Kilometer breiten See allein vom Wasser geprägt: Wohnen, Freizeit und Verkehr, auch die Arbeit als Fischer und Bauern.

Über Generationen haben die Intha, die "Leute vom See", eine Rudertechnik entwickelt, die einzigartig ist auf der Welt: Ihren traditionellen Wickelrock, den Longyi, über die Knie gerafft, stehen die Fischer mit einem Bein am Heck, während sie das andere um ein Ruder schlingen. Mit kräftigen Paddelstößen bewegen sie das Boot mit dem Ruder-Bein und werfen mit den Händen die Netze aus oder holen sei ein. Wenn sich die Ruder an den vielen flachen Stellen in Wasserhyazinthen, Algen und Lotusblumen verfangen, machen die Fischer einen kurzen Ruck, und es geht weiter.


Harte Arbeit, die die Familie kaum ernähren kann: Fischer am Inle-See
Foto: Karin Willen
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Noch beherrscht so gut wie jeder Junge am See die Technik, obwohl der Beruf des Einbeinfischers die Familien nicht zuverlässig ernährt. Längst müssen die Frauen ran, um mit Lohnarbeit den Lebensunterhalt zu bestreiten. Manche sind Weberinnen. Andere Zigarrendreherinnen.


Für Intha-Jungen kinderleicht: Einbeinrudern von der Schule nach Hause
Foto: Karin Willen
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Das Webstuhlgeklapper ist aus den geöffneten Fenstern des Pfahldorfes zu hören. Es ist eines von 37 Seedörfern, die alles von properen Teakholzhäusern und kunstvollen Pagoden bis zu windschiefen Bambusmattenverschlägen beherbergen. Die Weberdörfer produzieren kostbare Stoffe aus Lotus, der Blume Buddhas. Lotus, dessen Blüte sich im Sonnenlicht öffnet und zur Nacht wieder schließt, wird überall in Asien als heilig verehrt. Früher waren Gewänder aus Lotusseide buddhistischen Mönchen vorbehalten. Sie sind sehr leicht, atmungsaktiv, wasserabweisend und sollen bei Hitze kühlen und bei Kälte wärmen.

Heute kann sie jeder Tourist am Inle-See kaufen und vorher sehen, wie kompliziert der Herstellungsprozess ist. Lotus wird an keinem anderen Ort zu Stoff verwoben. Das wird auch wohl so bleiben: Die Fasern müssen spätestens 24 Stunden nach der Ernte zu Garn gesponnen werden, sonst trocknen sie und brechen. Außerdem bringen die Mühe, Geduld und Erfahrung und auch das Feingefühl nur die Inthas auf.
Lotusseide hat natürlich ihren Preis. Deshalb wird das Angebot von der klassischen Seide, von Bambus, Baumwolle und Mischgewebe ergänzt. Es sollen ja alle, auch die Backpacker, mit einem Souvenir nach Hause gehen. Phantasiemuster sind darunter, aber auch die traditionellen komplizierten und farbenfrohen Designs, an denen sich die verschiedenen Stämme gegenseitig schon von weitem erkennen.


Typische Frauenarbeit am Inle-See: Zigarrendrehen
Foto: Karin Willen
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Bei den Zigarrendreherinnen geht es leiser und einfacher zu. Die grünen Zigarren sind schnell gedreht und finden im Land selber reißenden Absatz. Passionierte Zigarrenraucher verschmähen das Kraut jedoch eher. Doch die Zigarrendreherinnen haben etwas, das bei Touristen ankommt. Gegen ein Trinkgeld rudern ein paar von ihnen die Gäste in ihren Langschwanzbooten durch ihr Stelzendorf.

Schon das Einsteigen ist eine Kunst. Doch helfende Hände sind schnell zur Stelle. Man muss ruhig in der Mitte sitzen, um das Boot nicht zum Kentern zu bringen. Lebhafte Unterhaltung ist nicht angesagt. Dafür wird man mit Einblicken in den Alltag belohnt, die es lange wahrscheinlich nicht mehr geben wird. Immerhin, Strommasten und Parabolantennen gibt es schon. Auch das eigene Handy ist nicht außerhalb des Horizonts.


Einblick in eine fremde Welt auf dem Wasser: Rundfahrt durchs Stelzendorf am Inle-See
Foto: Karin Willen
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Wo der See gleichzeitig Dorfgasse, Marktplatz, Waschküche und Badezimmer ist, sieht man Fischer bedächtig ihre Netze flicken. Manche Frauen waschen das Geschirr im See, während sich jemand ganz ungeniert ein paar Meter weiter selber wäscht und seine Kleidung gleich mit. Die Toiletten, Plumpsklo-Anbauten mit Öffnung nach unten in den See, sind auch nicht weit entfernt.

Auf schmalen Grasstreifen, die wie die Gemüsefelder weiter außerhalb auf schwimmenden Schlammmatten wachsen, die mit Bambusstangen im nur rund drei Meter tiefen See befestigt sind, watscheln Enten. Mütter holen die Kleinen mit dem Boot von der Schule ab, die Größeren rudern selber. Jungs, die etwas auf sich halten, natürlich stehend. Die bewundernden Blicke der Touristen finden sie gut.

Für die Touristen geht es bald mit dem motorisierten Langschwanzboot wieder weiter. Zum Markt und seinem bunten Treiben, zur Phaung Daw U Padoge und später zum Inthar Heritage House mit den Burma-Katzen. Dort leben die fast schon ausgestorbenen Katzen mit dem braunen, seidigen Fell wir im Himmel auf Erden. So viel Fürsorge würde man manchem Menschen in Myanmar gönnen.


Buntes Treiben: Markt bei der Phaung Daw U Padoge am Inle-See
Foto: Karin Willen
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Informationen
Der Besuch des Inle-Sees gehört zum Reiseverlauf von Gebeco-Rundreisen in Myanmar. Preisbeispiel „Myanmar auf einen Blick“, 11-Tag-Erlebnisreise ab 2.195 Euro. www.gebeco.de/reisen/2560016