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Letzte Aktualisierung: 26.04.2024

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Panoptikum des Lasters

von Ilse Romahn

(02.01.2016)  Von dem Wiener Kaffeehausliteraten und Lebenskünstler Peter Altenberg stammt der Spruch, das Wien des Fin de Siècle sei ein einziges Bordell gewesen. Tatsächlich galt die k.u.k.-Metropole jahrhundertelang als Hochburg der Prostitution, die dem Schriftsteller Felix Salden den literarischen Stoff für seinen pornographischen Roman »Josephine Mutzenbacher. Die Geschichte einer Wienerischen Dirne. Von ihr selbst erzählt« bot.


Was viele Zeitgenossen bis zum Erscheinen der erotischen Autobiographie anno 1906 nicht wussten: Hinter der Fassade von Wiens bürgerlicher Sittsamkeit, geschützt durch Konvention und Tabu, blühte eine freizügige Sexualmoral. Diese bildet den Untersuchungsgegenstand von Barbara Wolflingseder. In "Lust & Laster im Alten Wien" zeichnet die Autorin, als Fremdenführerin mit der Topographie des Lasters vor Ort bestens vertraut, ein illustres Sittengemälde der Donaumetropole.

Bei ihrem Streifzug durch die erotische Geschichte der Stadt erzählt Wolflingseder von den römischen Bordellen rund um das Legionslager Vindobona, schildert das wilde Treiben in den Badehäusern des Mittelalters; heftet sich an die Fersen namhafter Sextouristen, wie den notorischen Schwerenöter Casanova, der während seines turbulenten Aufenthaltes in Wien von den „Wiener Genüssen“ ebenso entzückt wie über die Sittenwächter Maria Theresias empört war, oder beleuchtet die geheimen Liebschaften Kaiser Napoleons mit der Mätresse Emilie Kraus, die sich als sein Page "Felix" verkleidete.

Wolflingseders chronique scandaleuse beschreibt die erotischen Etablissements des »leichtsinnigen Genießertums« und die obszönen Begierden der männlichen Kundschaft. Die Autorin führt den Leser in das Wien vom ›anderen Ufer‹, skizziert am Beispiel des Aussteigers Karl Wilhelm Diefenbach die erste Hippiekommune der Stadt und begibt sich ins homoerotische Milieu der k.u.k. Armee.

Das Spektrum der dabei geschilderten Ausschweifungen reicht vom Sex im Fiaker bei sogenannten »Porzellanfahrten« (der Kutscher wurde angehalten, möglichst vorsichtig zu fahren, um den besonderen Kick in dem Transportmittel ungestört ausleben zu können), über cross-gender-Neigungen im Hause Habsburg in Person von Erzherzog Ludwig Viktor, genannt „Luzivuzi“, der nicht davor zurückschreckte, sich in Frauenkleidern ablichten zu lassen, bis hin zu Sado-Maso-Praktiken der gestrengen „Frau Lehrerin“ Edith Cadivec, die dem ›starken Geschlecht‹ mit ihrer Dominanz Erfüllung verschaffte .

Barbara Wolflingseder gelingt es in ihrem Sittengemälde des Alten Wien, dem Leser eine schlüpfrige Materie kenntnisreich und anschaulich vor Augen zu führen. Dazu trägt mitunter auch das einschlägige Bildmaterial bei, welches das rundum gelungene Buch optisch abrundet.

Dr. Theodor Kissel, Sörgenloch

Barbara Wolflingseder: Lust & Laster im Alten Wien.
Pichler Verlag, Wien, Graz, Klagenfurt 2015,
208 Seiten
ISBN: 3854317085
Preis: 26,90 €.
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