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Letzte Aktualisierung: 25.04.2024

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Wie Kunst in provinzielle Gunst kam

Das dänische Holstebro hat sich für Einwohner und Besucher attraktiv gemacht

von von Karin Willen

(03.05.2015)  560er Jahre, Landflucht und kulturelle Ausdünnung. Das war der Trend so gut wie überall in Europa. Doch Bürgermeister Kaj Nielsen wollte in Holstebro nicht einfach kampflos aufgeben. Seine Vision: mit Kultur die jütländische Provinz für die jungen Leute attraktiv machen. Kunst kauft man am besten in Paris, dachte er sich. Auch wenn das von Dänemarks Nordwesten ein weiter Weg war, Nielsen nahm ihn auf sich − und kam mit einer Statue von Alberto Giacometti zurück, der „Frau auf dem Karren“.


Früher in Holstebro bespöttelt, heute beliebt: „Frau auf dem Karren“ von Alberto Giacometti
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Eine Ahnung, dass sein Kunstkauf wohl nicht jedem zusagte, hielt ihn davon ab, die Skulptur sofort aufzustellen. Er versteckte das Kunstwerk in einem Zivilschutzraum und brachte erst einmal die Kommunalwahlen erfolgreich hinter sich. Doch nachdem die Statue am 10. März 1966 vor der Stadtkirche aufgestellt wurde, waren Unverständnis und Hohn der Bevölkerung groß. Diese 155 Zentimeter Magermodell hatte 210000 Kronen (über 28000 Euro) gekostet?

Man zerriss sich das Maul und legte dem abgemagert und abgerissen wirkenden Mädchen Butterbrote zu Füßen. Nielsen ließ sich jedoch nicht beirren und arbeitet weiter an seiner Vision, die Provinz durch Kultur lebenswerter zu machen. Er richtete eine Musikschule ein, dann wollte er ein Theater. Als er hörte, dass die Avantgarde Theatergruppe eines italienischen Regisseurs gerade ihre Räume in Oslo verloren hatte, bot er ihnen eine leere Scheune an und Geld, um über die Runden zu kommen. Die Künstler kamen. Heute, nach fünfzig Jahren, ist das Odin Teatret weltbekannt. Und die 34.000 Einwohner sind mit Avantgarde-Performances auf den Straßen und im Theater vertraut. Auch moderne Skulpturen im öffentlichen Raum schockieren hier heute keinen.


Kunst im öffentlichen Raum: Auch der Kölner Künstler Ulrich Rückriem hat in Holstebro einen seiner Steinblöcke beigesteuert
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Und die „Frau auf dem Karren“? Seit 2010 wird sie heiß geliebt und wie ein Schatz bewacht. Denn damals erlöste eine ähnliche Giacometti-Skulptur bei einer Londoner Auktion 65 Millionen Pfund (über 230 Millionen Euro). Da „Maren“, wie sie liebevoll genannt wird, auch schon zweimal in wüsten Nacht-und Nebelaktionen beschädigt worden war, musste die wertvolle Kleine nun beschützt werden. Nur wie? Drinnen verstecken? Hinter Panzerglas?


Maren, die Wertvolle: Gern lassen sich die Holstebroer mit ihrem teuersten Kunstwerk fotografieren
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Wieder gab es eine unkonventionelle Problemlösung in der Stadt unweit des Ortes, in dem Designer auch die Unterhaltungselektronik von Bang und Olufsen berühmt gemacht haben. Maren kam auf einen Lift vors alte Bürgermeisteramt. Jetzt schaut sie auf das Hotel Schaumburg, das erste Haus am Platze. Pünktlich, abends um Neun, fährt sie automatisch zur Nachtruhe in den Untergrund. Zur Sicherheit. Dort harrt sie zwischen Damen- und Herrentoilette aus, bis sie am Morgen wieder ans Tageslicht fährt.

Informationen: Holstebro ist heute nicht nur für seine lebendige Kulturszene und zahlreiche Kunstwerke in der Fußgängerzone bekannt, sondern auch als regionales Shoppingzentrum für Designerwaren. www.visitdenmark.de/de/daenemark/holstebro-urlaub-daenische-nordsee

Fotos: Karin Willen