Das Online-Gesellschaftsmagazin aus Frankfurt am Main

Letzte Aktualisierung: 25.04.2024

Werbung
Werbung

Frankfurt zum Lesen – der Bücherzettel zur Weihnachtszeit, Teil 2

von Anja Prechel / Thomas Scheben

(08.12.2017) An nass-kalten Winterabenden mit einem Buch im Sessel: In und aus Frankfurt gibt immer wieder etwas Neues. Bücher mit Bezug zur Mainmetropole vermitteln jungen, alten und jung gebliebenen Frankfurtern und allen, die es werden wollen, Wissenswertes, Skurriles, Amüsantes, Abseitiges und Spannendes aus vergangenen Zeiten bis hin in die Gegenwart Frankfurts.

Dies ist der zweite Teil der Buchempfehlungen des Amts für Kommunikation- und Stadtmarketing Frankfurt – zum Verschenken oder Behalten.

Wer hat dem Rektor die Kette geklaut?
Rechtzeitig zur 50. Wiederkehr der 68er Studentenunruhen haben Claus-Jürgen Göpfert, als Lokalredakteur langjähriger Beobachter der Frankfurter Politik, und Bernd Messinger, als Post-68er einer der ersten grünen Landtagsabgeordneten, ein Buch zur Geschichte des – wie Peter Härtling es beschrieb – „verrückten Jahres“ vorgelegt.

Gleich zu Anfang stellen sie darin klar, dass nicht nur Berlin, sondern mindestens im gleichen Maße Frankfurt Anspruch erheben kann, als eines der Zentren der Revolte fungiert zu haben. Dies vor allem deshalb, weil Professoren der hiesigen Universität wie Max Horkheimer und Theodor W. Adorno mit der Kritischen Theorie der Bewegung die intellektuelle Basis gelegt hatten. Darüber hinaus hatte die starke Präsenz der US-Streitkräfte zum einen den Protesten gegen den Vietnamkrieg einen Kristallisationspunkt zu bieten, andererseits aber auch Berührungspunkte zur amerikanischen Hippie-Bewegung als Alternative zur abgelehnten Lebensform der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft geschaffen.

Angereichert durch Äußerungen zahlreicher Zeitzeugen und illustriert durch Abbildungen zeichnet das unterhaltsam geschriebene Buch das Jahr vom Ausbruch der Proteste im Gefolge des Attentates auf Studentenführer Rudi Dutschke bis zum Eingeständnis des Scheiterns der Revolte als politischer Bewegung und des beginnenden Zerfalls der Studentenbewegungen ziemlich genau ein Jahr später nach. Wie die Bewegung dann stattdessen als eine eher kulturelle Strömung die Gesellschaft durchdrungen und in vieler Hinsicht transformiert hat, wird im Anschluss durch den Blick auf die Lebensläufe verschiedener Frankfurter Akteure angedeutet – ganz vorn natürlich Stars der Revolte wie Daniel Cohn-Bendit. Besonderes Augenmerk gilt dabei einer Anzahl von Juristen, die zunächst als Anwälte, später aber auch als Politiker und beamtete Juristen das Rechtssystem der Bundesrepublik im Sinne ihres Gedankengutes verändert haben.


Das Geheimnis allerdings, wer eigentlich bei der Erstürmung des Rektorats die Amtskette des Hochschulpräsidenten hat mitgehen lassen, kann auch dieses Buch nicht lösen. Das gute Stück bleibt weiterhin verschollen …. ts

Claus-Jürgen Göpfert, Bernd Messinger: Das Jahr der Revolte. Frankfurt 1968, Schöffling & Co.: Frankfurt 2017, 304 S., 22 Euro

Warum verschwindet eine junge Frau?
Während Fußball-Frankfurt gebannt den Weg der deutschen Kicker zum Weltmeistertitel 2014 verfolgt, gehen andere in und um die Mainmetropole ihren – bisweilen recht anrüchigen – Geschäften nach, kämpfen mit den Geistern einer unerfreulichen Vergangenheit oder versuchen als Neuankömmlinge aus weniger glücklichen Weltgegenden hier einen Fuß auf den Boden zu kriegen.

Als einer dieser Menschen, eine junge Frau aus Rumänien, plötzlich von der Bildfläche verschwindet und die neue Mitarbeiterin einer dubiosen Arbeitsvermittlung sich auf die Suche nach ihr macht, kommen die Dinge in Fluss, die zunächst nebeneinander verlaufenden Leben der Protagonisten kreuzen und verknoten sich. Schließlich führen die Wege aller Beteiligten in ein heruntergekommenes Haus in Sachsenhausen, das aber nicht alle von ihnen lebend wieder verlassen werden.

Auf den kühl und exakt recherchierenden Kommissar oder den gefinkelten Privatdetektiv wird man vergeblich warten; die eine Hauptperson, den „Helden“ serviert der Autor seinen Lesern nicht. Stattdessen agiert eine Anzahl von normalen bis ziemlich kaputten Typen, wie man ihnen jeden Tag begegnet, in einer zunehmend komplexen Situation, die sie an die Grenzen ihrer Möglichkeiten und bisweilen darüber hinaus treibt – und den Leser in ihr Dasein hineinzieht und immer wieder überrascht. ts

Ralf Schwob: Holbeinsteg. Frankfurt-Krimi, Societätsverlag: Frankfurt 2017, 320 S., 12,80 Euro

Was erzählt eine Schalttafel über Frankfurt?
In Museen lassen Dinge längst vergangene Zeiten lebendig werden. Freilich muss man jedes Mal dorthin gehen, wenn man einen solchen Gegenstand zum Sprechen bringen will. Dem haben die Autoren, Direktor und Kuratorin am Historischen Museum Frankfurt nun abgeholfen, indem sie Exponate ihres Hauses in „100 x Frankfurt. Geschichten aus (mehr als) 1.000 Jahren“ zum Sprechen bringen.

Da erzählt ein Regenschirm von der 1848er Revolution, eine Medaille von der Geschichte der Judengasse und die Schalttafel steht exemplarisch für ein Stück Frankfurter Industriegeschichte, nämlich für das Elektro-Unternehmen Hartmann & Braun. Natürlich kommen auch typische Frankfurter Memorabilia wie ein Apfelweinglas, die Frankfurter Küche und die einzige Deutsche Meisterschaft der Frankfurter Eintracht zu Wort.

Die Texte sind kurz, zwei bis drei Seiten, und werden durch weitere Abbildungen erläutert, so dass dieses Buch seine Qualität ganz wesentlich aus der gelungenen Kombination von Bild und eingängigem Text gewinnt.

Man kann das Buch in zeitlicher Abfolge von vorn nach hinten lesen. Muss man aber nicht. Einfach aufschlagen, stöbern, sich überraschen lassen, welche Geschichten manchmal ganz unscheinbare Gegenstände zu erzählen haben. Wer weiterführenden Wissensdurst verspürt, kann diesen mithilfe der jedem Kapitel beigefügten Literaturhinweise stillen. ts

Jan Gerchow, Nina Gorgus (Hg.): 100 x Frankfurt. Geschichten aus (mehr als) 1.000 Jahren, Societätsverlag: Frankfurt 2017, 320 S., 20 Euro

Wie konnte man Auschwitz überleben?
„Wie bin ich durch all das geworden? Wer wäre ich in dieser Zeit gewesen? Was hätte ich getan? Damals. Im Krieg.“ Damals im Krieg, als die elfjährige Eva ihre Heimatstadt Budapest verlassen muss, ohne Mutter, ohne Vater, ohne ihren Bruder, nur mit ihrer Puppe Erika im Arm und einer blauen Wolljacke, von der Mutter gestrickt. Die, die sich diese Fragen stellt, ist Bärbel Schäfer. Gemeinsam mit Eva Szepesi, dem Mädchen mit der blauen Strickjacke, die als einzige ihrer Familie den Holocaust überlebt, arbeitet die Autorin und Moderatorin sie auf.

Jeden Mittwochnachmittag trifft sich Schäfer mit Szepesi in deren Frankfurter Wohnung. Eindrücklich spielt die Autorin mit Gegensätzen. „Gab es da Handschuhe? Wenigstens für euch Kinder?“, fragt Schäfer an einem klirrend kalten Wintertag. „Du bist so naiv, Bärbel! Weißt du nichts, oder willst du nichts wissen?“ In Auschwitz, wohin Eva verschleppt wurde, gab es keine Handschuhe. Für niemanden. Die Finger sind dem Mädchen erfroren. In „Meine Nachmittage mit Eva“ hinterfragt Bärbel Schäfer das Schweigen ihrer Familie, setzt ihre Erinnerungen in Relation zu den Erlebnissen Eva Szepesis.

Ein halbes Jahrhundert lang konnte Szepesi, die wegen ihres Mannes nach Frankfurt und damit ins Land der Täter ging, ihre Angst, ihre Erinnerungen an Dreck, Kälte und Misshandlungen mit niemandem teilen. Vor einigen Jahren brach sie ihr Schweigen, ist seither gefragte Gesprächspartnerin und Autorin. Im April wurde Szepesi mit der Ehrenplakette der Stadt Frankfurt ausgezeichnet. Bärbel Schäfer verwebt die Erfahrungen zweier Frauen aus zwei Generationen zu einer Geschichte, die vor dem Hintergrund wieder aufkeimenden Antisemitismus aktueller denn je scheint. apr

Bärbel Schäfer: Meine Nachmittage mit Eva, Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2017, 224 S., 19,99

Wie kommt Leo zur Kaiserkrönung?
Das größte Fest der Welt war die Krönung von Kaiser Karl VII im Jahre 1742 ganz sicher. Und natürlich wollten vor allem die Kinder dieses „Megaevent“, wie man heute wohl sagen würde, nicht versäumen. Vor allem, wenn man wie Gastwirtstochter Catharina sogar das eigene Zimmer für einen schnöseligen Grafen räumen muss, der für die hochwohlgeborenen Gäste in Frankfurt Quartier machen soll. Und natürlich will auch Leo dabei sein, obwohl es ihm und seinen Glaubensgenossen dem Gesetz nach streng verboten ist, und er eigentlich den Tag daheim in der Judengasse verbringen müsste ….

Wie es den Kindern trickreich gelingt, doch noch von einem Logenplatz aus die Krönung zu verfolgen, erzählen Autor Christoper Tauber und Zeichnerin Amelie Wagner in ihrer Graphic Novel, die in Zusammenarbeit mit dem Jungen Museum im Historischen Museum Frankfurt entstanden ist. Akkurat lassen die Zeichnungen das Frankfurt des 18. Jahrhunderts wieder aufleben, Bräuche wie das Fischerstechen, die wüste Rauferei der Handwerksgesellen um den Kopf des gebratenen Ochsen werden geschildert. Im Anhang werden Hintergrundinformationen zu der spannend-vergnüglichen Handlung geliefert, ein Glossar erläutert wichtige Begriffe und ein Anachronismenrätsel schickt die jungen Leser auf die Suche nach einigen Gegenständen auf den Bildern, die es zu der Zeit noch gar nicht gab. ts

Christopher Tauber und Amelie Wagner: Das größte Fest der Welt, Bunte Dimensionen: 40 S, 10 Euro