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Letzte Aktualisierung: 26.04.2024

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Am 22. März ist Welt-Koma-Tag

In Deutschland sind täglich rund 7.000 Menschen betroffen

von Dr. Bettina Albers

(19.03.2024) Am 22. März ist Welt-Koma-Tag. Dieser Tag soll die Öffentlichkeit für diese schwerste Form der Bewusstseinsstörung sensibilisieren und für eine verstärkte Koma-Forschung werben. In Deutschland sind täglich ca. 7.000 Menschen betroffen, die Prognose der Patienten hängt von Schweregrad, Reversibilität und Dauer der Hirnschädigung ab. Besonders schlecht ist die Prognose von Wachkomapatienten, deren Zahl in Deutschland auf 1.500 bis 5.000 geschätzt wird.

Eine verlässliche Datenbasis fehlt jedoch, weshalb die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) den Aufbau eines Nationalen Koma-Registers anmahnt. Bei einem Koma verlieren die Betroffenen das Bewusstsein und sind selbst durch starke Reize nicht erweckbar. Ursache ist eine akute Hirnschädigung, am häufigsten bedingt durch ein Schädel-Hirn-Trauma, einen Schlaganfall oder durch Sauerstoffmangel nach einem Herzstillstand. Weitere häufige Ursachen sind Vergiftungen (auch durch Medikamente, Drogen, Alkohol), Unterzuckerung, Hirnentzündungen oder -tumoren. In Deutschland sind täglich ca. 7.000 Menschen betroffen.

Der Verlauf bzw. die Prognose eines Komas hängt maßgeblich von Schweregrad und Reversibilität der Schädigung ab. Wenn z. B. eine akute Unterzuckerung schnell behandelt wird, kommen die Betroffenen wieder zu sich, das Koma klingt vollständig ab. Dauert die Unterversorgung (durch Zucker, Blut bzw. Sauerstoff) des Gehirns länger an, kann es zu bleibenden Schäden kommen. Ein Koma durch Sauerstoffmangel hat die schlechteste Prognose, denn schon nach wenigen Minuten setzt eine irreversible Schädigung von Hirnzellen ein.

Bei der Aufnahme auf Intensivstationen sind bis zu 47 Prozent der Betroffenen von einer schweren Bewusstseinsstörung betroffen. Da die Diagnostik eines unklaren Komas mit schweren Bewusstseinsstörungen („disorder of consciousness“) eine Herausforderung sein kann, hat die „European Academy of Neurology“ Leitlinien zur multimodale Beurteilung erstellt, die die neuesten Erkenntnisse und Evidenzen zu standardisierten klinisch-neurologischen Untersuchungstechniken, funktioneller Neurobildgebung (PET, funktionelles MRT) und Elektroenzephalographie (quantitative EEG-Analyse) beinhalten.

Bereits im vergangenen Jahr wurde unter Beteiligung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie eine „Leitlinie zur Rehabilitation bei Koma und schweren Bewusstseinsstörungen“ erstellt, die bereits in diesem Jahr ein Update erhalten wird. Mit systematischer Literaturrecherche wurden evidenzbasierte, diagnostische, medizinethische und therapeutische Empfehlungen erarbeitet. Zur Vigilanzverbesserung wird die medikamentöse Behandlung mit Amantadin empfohlen, einer dopaminerg wirkenden Substanz, die z.B. auch bei M. Parkinson eingesetzt wird.

Darüber hinaus kann auch ein nichtinvasives Verfahren zur Neuromodulation, die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS), zum Einsatz kommen. Dabei wird das Gehirn über zwei externe Elektroden aktiviert. Weitere Maßnahmen sind Positionierungsverfahren, d. h. passive Vertikalisierung (z. B. mittels Kipptisch oder Stehbett), aber auch die multisensorische Stimulation mit möglichst großem autobiografischen und emotionalen Bezug (mit auditorischen, visuellen, taktilen, olfaktorischen und gustatorischen Reizen).

„Für die Behandlung anhaltender Komazustände gibt die Leitlinie konkrete Empfehlungen“, konstatiert Prof. Dr. Andreas Bender, Burgau, Erst- und Korrespondenzautor der Leitlinie. „Allerdings gibt es nach wie vor zu wenige klinische randomisierte kontrollierte Interventionsstudien zur Komatherapie. Hier besteht ein großer Bedarf, um das Rehabilitationspotenzial von Patientinnen und Patienten vollständig auszuschöpfen.“

Trotz evidenzbasierter Leitlinien und modernster Medizin sterben innerhalb der ersten sechs Monate 10–26 Prozent der Betroffenen. Besonders dramatisch ist das Schicksal von Wachkoma-Patienten, deren Zahl in Deutschland auf 1.500–5.000 geschätzt wird. Eine italienische Studie mit 492 Komapatienten (in Folge von Schädel-Hirn-Traumata oder anderer Ursachen) zeigte, dass immerhin 53 Prozent der Betroffenen aus diesem Zustand erwachten. Von diesen Patienten wiesen aber 71 Prozent derjenigen, bei denen ein Schädel-Hirn-Trauma ursächlich war, und 83 Prozent derer, bei denen das Koma nicht durch Traumata verursacht worden war, schwerste Behinderungen in Folge auf.

Mit der „Curing Coma“-Kampagne zum Welt-Koma-Tag, einer globalen Gesundheitsinitiative, soll die Öffentlichkeit für diese schwerste Form der Bewusstseinsstörung sensibilisiert und auf die Notwendigkeit weiterer Therapieforschung hingewiesen werden: https://secure.qgiv.com/event/worldcomaday2024/

„Mehr Forschung ist in der Tat erforderlich“, erklärt auch Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN. „Ein erster Schritt wäre der Aufbau eines Nationalen Koma-Registers, damit wir wissen, wie viele Betroffene es gibt, wie die Verläufe und Outcomes sind und welche Therapien welche Effekte haben.“ Gleichzeitig muss nach Ansicht des Experten auch das Bewusstsein für die Prävention in der Bevölkerung erhöht werden. „Hierzu gehört das konsequente Tragen von Fahrradhelmen. Und auch eine frühzeitige Schlaganfallprävention, u. a. durch Nichtrauchen, Blutdruckkontrolle, Bewegung und gesunde Ernährung. Hier kann jeder einzelne selbst beitragen!“