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Letzte Aktualisierung: 19.04.2024

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Zur Walpurgisnacht in den Harz

von Karin Willen

(28.04.2022) Wohin am 30. April, um Frühlingsfreuden so richtig zu genießen? Für eingefleischte Naturmystiker gibt es in Deutschland da eine ganz besondere Region: den Harz.

Bildergalerie
Bereit für die Walpurgisnacht: Corinna und René, zwei Harzer an der Teufelsmauer
Foto: Karin Willen
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Dafür interessierte sich auch Goethe: bizarre Sandsteinformation der Teufelsmauer vor Landschaftsidyll
Foto: Karin Willen
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Von alters her fliegen die Hexen im Frühling auf den Blocksberg zum wilden Tanz ums Feuer. − So will es jedenfalls die Sage, die seit 1901 dafür sorgt, dass eine Felsklippe in Sachsen-Anhalt namens Hexentanzplatz touristisch genutzt wird. Und haben Sagen nicht immer einen historischen Kern? Der Platz mit der schönen Aussicht übers Bodetal war jedenfalls gut gewählt.

Seit Goethe den Harz bereist und Elemente der Volkssage in seinem Faust aufgegriffen hat, gilt zwar der anderthalb Autostunden entfernte Brocken als Versammlungsstätte der Hexen. Und schon in einem Gedicht von 1300 wird der oft nebelverhangene höchste Berg des Mittelgebirges als Sammelplatz von Geisterwesen bezeichnet. Irgendwie schien klar, dass der Tanz ums Feuer einst das Frühlingsfest vorchristlicher Naturreligionen gewesen sein muss, in dem nach der Überwindung des Winters die Fruchtbarkeit ausgelassen gefeiert wurde. Archäologen finden aber für den Brocken keine Belege als germanische Opferstätte. Und potzblitz! Auf dem Hexentanzplatz verläuft nordöstlich der sogenannte Sachsenwall.

Naturmystischer Kult an historischer Stätte

Diese Mauer aus Granitblöcken soll zum Befestigungssystem der Homburg gehören. Das war eine Fliehburg, die zwischen 750 und 450 vor Chr. vom germanischen Stamm der Sachsen errichtet worden war. Ausgrabungen können zumindest nicht ausschließen, dass das 454 Meter hohe Felsplateau über dem Bodetal eine germanische Opferstätte für die Göttinnen der Wälder und der Berge gewesen ist.

Man reimt sich das Ganze jetzt so zusammen: Nachdem die Franken unter Karl dem Großen die Sachsen unterworfen und zum Christentum bekehrt hatten, sollen die Einheimischen hier weiter mit ihren alten Riten die Gunst der Gottheiten angerufen haben. Fränkischen Wachen war aufgetragen, das zu verhindern. Die Wache habe die Leute dermaßen gereizt, dass sie die Soldaten als Hexen und teuflische Gestalten verkleidet foppten.

Das wilde Treiben auf dem Hexentanzplatz

Jedenfalls wurde der Hexentanzplatz im 20. Jahrhundert ordentlich mystisch aufgeladen: Mit der Walpurgishalle, das ist ein mit nordischen Tier- und Götterdarstellungen verziertes Blockhaus aus dem Jahre 1901, das als Museum fungiert. Zwei Jahre später mit dem Bergtheater unter freiem Himmel, dem ältesten Naturtheater Deutschlands, in dem ein völkischer Autor damals mit deutschen Märchen, Mythen und Sagen unterhaltend belehren wollte. Und mit einer Bronze-Figurengruppe aus Teufel, Hexen und Homunkulus aus dem Jahre 1996.

Das ist das Ambiente für fantasiesüchtige Zeitgenossen mit einem Hang zur Mystik, die bei Tanz mit Live-Musik, Lasershow und Höhenfeuerwerk den Rausch der Nacht der Nächte erleben wollen. Wenn da nicht ein ganz und gar gefährliches unsichtbares Wesen dem Feiervolk einen Strich durch die Rechnung macht! So geschehen anno 2020 und 2021. Da fielen die wilden Walpurgisnächte dem Coronavirus zum Opfer. Alle Veranstaltungen waren abgesagt, und die Seilbahn fuhr nicht hinauf.

Unverdrossene Naturmystiker ließen sich allerdings von solchen Widrigkeiten nicht abhalten. Corinna, zum Beispiel, die in der Hexennacht geboren wurde. Da musste die Gewissheit doch einfach in ihr Gemüt einkehren, im früheren Leben eine Waldelfe gewesen zu sein. Was das für die Harzerin bedeutet? Mit Fantasie und Spürsinn das Jahr über auf Floh-, Bau- und Trödelmärkten nach passenden Materialien für ihr Kostüm Ausschau zu halten und dann mit flinken Fingern, Latexmilch und anderen Substanzen ein Elfenoutfit zu basteln. Dazu für die Nacht der Nächte noch knorriges Holz und ein wenig frisches Moos und Efeu – fertig ist der weibliche Naturgeist.

Im Harz liebt man es mystisch und drastisch

Corinna hat ihre geistige Heimat im alten keltischen Gedankengut gefunden. Keltenstämme sollen den Frühling einst mit einer wilden Beltane-Feier begrüßt haben. Und wie feiert eine Elfe, wenn ihr Geburtstag mit der Walpurgisnacht zusammenfällt? Letztes Jahr trafen wir Corinna an der Teufelsmauer mit René, einem Fotografen, der ihren Hang zur Esoterik teilt und sich als Teufel verkleidete. Teufelsmauer? Ja im rauen Harz liebt man es mystisch und drastisch. Da heißt ein Felsen der Sandsteinformation natürlich Teufelssessel und eine Höhle dann Teufelsloch. Orte tragen auch schon mal Namen wie Elend und Sorge.

Die Teufelsmauer ist ein etwa 20 Kilometer langes hartes und zum Teil zerborstenes Sandsteingebilde aus der Kreidezeit. Es ragt schroff zwischen Ballenstedt und Blankenburg aus den grünen Ebenen des Harzvorlandes hervor. Eiszeitliche Gletscher, Flüsse und Verwitterung hatten einst die weichen Gesteinsschichten über diesen Ebenen abgetragen. Übrig blieb die Teufelsmauer. Einer der vielen Harzer Sagen nach wollte der Teufel mit dem Bau dieser Klippen sein Schattenreich zum Reich des Herrgotts abtrennen, was offenbar weniger okkulte Ahnen seit der Steinzeit nicht abgehalten hatte, brauchbare Steine aus den Felsen zu brechen.

Mit dem Teufel an der Teufelsmauer

Auch Goethe zog es 1784 zu dieser bizarren geologischen Formation. Ein Jahrhundert später wurden die Felsrippen unter Naturschutz gestellt und dienen seitdem ab und an als Filmkulisse. Wanderer genießen auf dem Panoramaweg die weite Sicht und können seltene Pflanzen wie Berg-Sandglöckchen, Sand-Thymian und Karthäuser-Nelke entdecken. Doch zurück zur Walpurgisnacht. Am 30. April könnte es sein, dass sie auf dem spektakulärsten Stück zwischen Königs-, Mittel- und Papensteinen tagsüber auf Corinna und René treffen.

Seit 2016 ist Corinna in der Nacht als Waldelfe auf dem Hexentanzplatz dabei. 2019 zählten die Veranstalter noch 10.000 Hexen, Teufel und Touristen auf dem Berg. 2020 und 2021 sorgte Corona dagegen für gähnende Leere auf dem Plateau, und Corinna und René waren allein im magischen Ring auf dem Hexentanzplatz in dunkler Nacht. Und dieses Jahr? Da steigt die Party wieder nicht auf dem Hexentanzplatz! Das liegt aber nicht allein an diesem unheimlich geisterhaften Wesen, das seine Gestalt wandeln kann, wie man es sonst nur vom germanischen Gott Odin kennt und dessen Formen wir Menschen mit griechischen Buchstaben benennen. Im 3. Corona-Jahr wird der komplette Hexentanzplatz mit dem Bergtheater erneuert. Damit die Hexen es 2023 wieder so richtig schön bunt treiben können. Doch natürlich fällt die Walpurgissnacht in Thale dieses Jahr nicht aus. Das Programm gibt es hier.

 

Weitere Informationen:

Harzer Tourismusverband e.V.
Marktstraße 45
38640 Goslar
Tel.: 05321 340 40
E-Mail: info@harzinfo.de