Das Online-Gesellschaftsmagazin aus Frankfurt am Main

Letzte Aktualisierung: 13.09.2024

Werbung
Werbung

Wolf Biermann: "Wagenknecht und Höcke sind das politische Brautpaar der Stunde"

von ZEIT-Verlagsgruppe

(14.08.2024) Der Liedermacher Wolf Biermann kritisiert eine gefährliche Nähe zwischen der AfD und der neuen Partei von Sahra Wagenknecht. "Wagenknecht und Höcke sind das politische Brautpaar der Stunde", sagt er in einem ZEIT-Interview mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen in Ostdeutschland. In Thüringen tritt Björn Höcke als Spitzenkandidat an. "Da wächst in der Ex-DDR zusammen, was zusammengehört: die Erben des Hitlerschen Nationalsozialismus und des Stalinschen Nationalkommunismus."

Auf ZEIT-Nachfrage, ob die Bezüge zu Hitler und Stalin nicht zu krass seien, antwortet der 87 Jahre alte Liedermacher: "Ja, das sind sie. Noch sind sie es. Die blaue AfD und die falschen Roten von Wagenknecht stehen beide aufseiten von Putin in diesem blutigen Ukrainekrieg. Echte Braune und falsche Rote verachten die Regenbogenfarben der Demokratie." 

In Ostdeutschland gibt es nach Einschätzung von Biermann mehr Bedenken gegen eine starke Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland, weil bei den Menschen eine zweifache Todesangst vor der Sowjetunion präsent sei: "Die Erinnerung an die Millionen Gefallenen gegen Stalins Sowjetarmee. Und zweitens die Angst vor den russischen Panzern, die aus rebellischen Menschen Menschenfleisch machen." Er stehe emotional auf der Seite der Ostdeutschen, sagt Biermann, der 1976 vom SED-Regime aus der DDR ausgebürgert wurde. "Die Ossis sind eben meine Leute – egal, ob ich sie zum Küssen oder zum Kotzen finde." 

Wagenknecht hat bisher erklärt, AfD-Chefin Weidel vertrete keine rechtsextremen Positionen. Hingegen sei Höcke ein Rechtsradikaler. Damit habe ihre Partei nichts zu tun. Angesprochen darauf sagte Biermann nur: "Auch falsche Liebe macht blind." Wagenknecht sei der anachronistische Kopf einer Personenkultpartei. "Das ist die typische Bauweise totalitärer Parteiapparate." 

Wolf Biermann: Merkel muss sich für Russlandpolitik nicht schämen
Obwohl der Liedermacher Wolf Biermann die Russlandpolitik der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisch sieht, muss sie sich seiner Ansicht nach nicht entschuldigen. "Irren ist eben menschlich. Aber soll sie sich nun entschuldigen? Dieses Kaspermoraltheater will ich nicht sehen", sagt Biermann, der mit Merkel persönlich befreundet ist. "Sie muss sich nicht schämen für ihre Politik. Alles hat seine Zeit. Das gilt auch für Illusionen. Und gilt auch für mich. Schämen muss sich nur, wer immerzu dieselben Fehler macht." 

Die Kanzlerin habe nach Putins Eroberung der Krim 2014 zusammen mit Frankreich das leider gescheiterte Minsker Friedensabkommen initiiert, führte der 87 Jahre alte Dichter aus. "Es hatten die meisten Staaten in Westeuropa immer noch die Hoffnung auf den friedlichen Wandel durch Welthandel. Die kapitalistische Spekulation: Wenn die Kurse steigen, müssen keine Bomben fallen. Globale Profitgier sollte stärker sein als totalitäre Machtgier. Viele hofften, dass der Westen so billig davonkommt, wie mit Gorbatschow und Kohl, als das Glück der Wiedervereinigung Deutschlands parallel mit dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion passierte. Jetzt erst, nach zwei, drei Jahrzehnten, kommt verspätet die dicke historische Rechnung." 

In anderen Fragen wie der Bewertung der friedlichen Nutzung der Atomkraft sei er mit ihr uneins, berichtet er in dem ZEIT-Interview: "Ich war immer der Meinung, dass die Menschheit erst ganz am Anfang der Nutzung der Atomenergie steht. Und unsere kluge Doktorin der Physik denkt das offenbar nicht." 
 
ZEIT-Verlagsgruppe