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Wie Krankenkassen Patienten gefährden

Wer Medikamente einnehmen muss, verlässt sich in der Regel auf seinen Arzt: Er wägt erwünschte Effekte gegen mögliche Nebenwirkungen ab und verschreibt die am besten verträgliche Option – unabhängig von wirtschaftlichen Interessen.

Doch genau diese ärztliche Therapiefreiheit ist in Gefahr: Bei der Untersuchung mit Kontrastmitteln erhalten Patienten in vielen Fällen inzwischen nicht mehr das aus ärztlicher Sicht richtige Medikament. „Die Mittel enthalten unnötig hohe Dosen des Schwermetalls Gadolinium, das sich im Körper ablagern und krank machen kann. Obwohl andere Kontrastmittel zur Verfügung stünden, zwingen die Krankenkassen Ärzte aus Kostengründen zur Verwendung der schlechteren Option“, warnt Dr. Christoph Buntru, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der RadiologenGruppe 2020.

Auf die Dosis kommt es an
Über viele Jahre galten gadoliniumhaltige Kontrastmittel bei MRT-Untersuchungen als vollkommen unbedenklich. „Inzwischen hat die Wissenschaft allerdings herausgefunden, dass sich Gadolinium bei hoher Dosierung im Gehirn und anderen Körperregionen ablagern und zu gesundheitlichen Problemen führen kann. Infolgedessen nahm die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA Anfang 2018 sogenannte lineare gadoliniumhaltige Kontrastmittel vom Markt, in denen das in freier Form giftige Schwermetall weniger stabil an die Trägersubstanz gebunden ist“, erklärt Dr. Wolfram Schaeben, Mitglied der RadiologenGruppe 2020 und Vorstandsmitglied des Berufsverbands der Deutschen Radiologen. Sogenannte zyklische Kontrastmittel kommen derzeit noch zum Einsatz, da das Gadolinium in ihnen stabiler gebunden ist und bisher keine Komplikationen aufgetreten sind. Dennoch empfiehlt die EMA, die niedrigste mögliche Dosis für die jeweils notwendige Untersuchung zu verwenden, um die Gadolinium-Belastung möglichst gering zu halten. „An diese Empfehlung würden wir uns zum Wohle unserer Patienten selbstverständlich gerne halten, in vielen Fällen wäre es beispielsweise möglich, bis zu 25 Prozent weniger Gadolinium zu verwenden. Da die Wahl der Krankenkassen allerdings auf ein preiswerteres Mittel mit höherer Dosis fiel, müssen wir unsere Patienten aktuell unbekannten Gefahren aussetzen“, beklagt Dr. Buntru.

Ärzte im Sparzwang
Eigentlich sollen Ärzte frei entscheiden, welche Medikamente sich am besten für die Behandlung ihrer Patienten eignen – bei Kontrastmitteln ist dies jedoch in den KV-Regionen Nordrhein, Westfalen-Lippe, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein nicht der Fall. „Dort bestimmen die Krankenkassen über Exklusivausschreibungen, welche Kontrastmittel quasi ausschließlich verwendet werden dürfen. Der günstigste Anbieter gewinnt – Aspekte wie Verträglichkeit, Patientensicherheit, Umweltfaktoren, Produktionsstandort, Lieferkettensicherheit oder die Gadoliniumdosis spielen bei der Entscheidung nur eine untergeordnete Rolle“, erklärt Dr. Schaeben. Nutzen Ärzte auf eigene Faust ein besser geeignetes Mittel, bleiben sie hingegen oftmals auf den Kosten sitzen und laufen Gefahr, sich sogenannten Wirtschaftlichkeitsprüfungen unterziehen zu müssen und hohe Regressforderungen der Krankenkassen zu erhalten. „Die für die Aufsicht zuständigen Gesundheitsministerien thematisieren diese für die Patienten folgenschwere Problematik aktuell leider nicht“, so Dr. Schaeben. „Das gleiche Problem existiert auch bei der Strahlenbelastung. Bei der Wahl eines Kontrastmittels müssen Radiologen indikationsabhängig auch Aspekte des Strahlenschutzes berücksichtigen. Auch an dieser Stelle schränken die Krankenkassen mit Unterstützung der Politik die Therapiefreiheit der Radiologen durch die Exklusivausschreibungen ein, trotz der eindeutigen Vorgaben im § 8 Strahlenschutzgesetz zur Vermeidung unnötiger Strahlenexpositionen“, ergänzt Dr. Buntru.

Abschaffung der Exklusivausschreibungen
Die von den Krankenkassen durchgeführten Exklusivausschreibungen gefährden nicht nur potenziell die Gesundheit der Patienten, sondern zusätzlich die Versorgungssicherheit in den radiologischen Praxen. Denn selbst bei Lieferengpässen dürfen Ärzte nicht ohne Weiteres auf andere Kontrastmittel ausweichen. „Das hat schon 2022 für Probleme gesorgt, als internationale Lieferketten durch die Schließung des Hafens in Shanghai zusammengebrochen sind. Auf einmal konnten die von den Krankenkassen bezuschlagten Produkte nicht mehr geliefert werden und von anderen Herstellern oder Lieferanten durften die Radiologen in den betroffenen Regionen nicht ohne Einschränkungen Kontrastmittel bestellen. So entstehen dann Lieferengpässe und Medikamentenmangel, der bei vielen Erkrankungen − insbesondere Krebsleiden − eine rechtzeitige und damit lebensrettende Diagnosestellung verhindert“, erklärt Dr. Schaeben. Außerdem fördert die Praxis der Krankenkassen die Bildung von Monopolen, weil oftmals immer dieselben großen Firmen die Ausschreibungen gewinnen und anderen, heimischen Herstellern keine Chance lassen. „Wir Radiologen fordern deshalb die Abschaffung der Exklusivausschreibungen bei Kontrastmitteln! Wir wollen unsere Patienten bestmöglich betreuen und uns nicht durch wirtschaftliche Faktoren von den Krankenkassen vorschreiben lassen, welche Medikamente wir zu nutzen haben“, fordert Dr. Buntru.

Weitere Informationen unter www.rg20.org