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Wie geht es weiter im Frankfurter Bahnhofsviertel?

Das Bahnhofsviertel in Frankfurt am Main steht schon seit vielen Jahren als sozialer Brennpunkt im Verruf. Nicht nur in den lokalen Medien, sondern auch deutschlandweit sorgen die Nachrichten über die Ereignisse und Entwicklungen dort immer wieder für Aufsehen. Sogar die englische Boulevardzeitung Sun hat kürzlich berichtet.
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Das Zentrum des Bahnhofsviertel - der namensgebende Hauptbahnhof
Foto: Pexels / Ömer Gülen

Was ist das Frankfurter Bahnhofsviertel, welche Probleme gibt es dort und wie versucht die Politik aktuell, diese zu lösen?

Worum geht es beim Frankfurter Bahnhofsviertel?

Das sogenannte Frankfurter Bahnhofsviertel bezeichnet ein Stadtgebiet im südlichen Westend von Frankfurt, unweit des Bankenviertels und östlich des Frankfurter Hauptbahnhofs gelegen. Konkret erstreckt sich das Viertel über das Viereck zwischen Taunusstraße, Niddastraße, Moselstraße und Elbestraße. Während das um 1900 entstandene Viertel ursprünglich mit seinen prächtigen Gründerzeitvillen zu den gehobenen Wohngegenden Frankfurts zählte, führten Abrisswellen und Vernachlässigungen der verbleibenden Bausubstanz nach dem Zweiten Weltkrieg immer mehr zu einer Verwahrlosung des Bahnhofsviertels. Es kam hinzu, dass sich hier im Zuge der US-amerikanischen Besatzung nach dem Krieg ein reges Nachleben mit Rotlichtmilieu herausbildete. In den 1980er und 1990er Jahren geriet das Viertel immer mehr zum Sammelpunkt der örtlichen Drogenszene. Auf dem Höhepunkt hielten sich hier auf engstem Raum über 1000 schwer Drogensüchtige auf. Es kam regelmäßig zu Todenfällen durch Überdosen und auch die HIV-Inektionen rund um das Bahnhofsviertel nahmen rapide zu.

Frühere Erfolge begannen in der Corona-Krise zu zerinnen

Zwar gelang es in den frühen 2000er Jahren, durch soziale Maßnahmen den Drogenkonsum in dieser Gegend einzudämmen, allerdings verschärfte sich die Lage Mitte der 2010er Jahre wieder. Besonders im Zuge der Corona-Pandemie ist der Drogenkonsum im Bahnhofsviertel wieder außer Kontrolle geraten. Schuld daran ist auch die Gentrifizierung des Stadtteils. Durch steigende Mieten und Aufkäufe von Immobilien wurde dem notleidenden Teil der Bevölkerung der Wohnraum genommen und viele Drogenabhängige endeten vollends auf der Straße. Konsumenten von schweren Drogen, die im Viertel reihenweise in aller Öffentlichkeit auf dem Bürgersteig lethargisch vor sich hinvegetieren, gehören heute wieder zum traurigen Stadtbild. Dealergangs aus Nord- und Ostafrika sowie dem Balkanraum haben die Drogenszene fest im Griff. Besonders verbreitet hat sich unlängst im Bahnhofsviertel die Modedroge Crack. Dieses in einer Pfeife gerauchte Kokain-Derivat ist günstig herzustellen und einfach zu konsumieren, macht allerdings sehr schnell abhängig und führt bei langfristigem Konsum zum geistigen und körperlichen Verfall.

Zudem hat der Drogenkonsum ein weitläufiges Problem mit Beschaffungskriminalität nach sich gezogen. Diebstahl und Raub kommen im Bahnhofsviertel überproportional häufig vor. Zudem gibt es hier an fast jeder Ecke Straßenprostituierte und Escorts. Außerdem verwahrlost als Folge dieser ganzen Entwicklung auch das Stadtbild. Inhaber von Geschäften, Restaurants und Hotels beschweren sich regelmäßig über Berge von Müll, die sich auf den Bürgersteigen ansammeln. Die Stadtreinigung kann dieses Problem ohne zusätzliche Kapazitäten einfach nicht mehr bewältigten. Am Ende ist die Entwicklung im Bahnhofsviertel eine Endlosspirale, die immer steiler ansteigt. Inzwischen ist die Gegend zu einem Pilgerort für Drogensüchtige aus dem ganzen Land geworden, da bekannt ist, dass man hier an jeder Straßenecke schnell und einfach an Drogen kommt.

Welche Maßnahmen werden zur Lösung der Probleme ergriffen

Bereits Ende der 1990er Jahre hat die Frankfurter Stadtverwaltung den sogenannten „Frankfurter Weg“ in der Drogenpolitik beschritten. Diesem lag der Ansatz zu Grunde, dass die Auswirkungen des Drogenkonsums im Bahnhofsviertel nach Möglichkeit gelindert werden sollten, auch wenn es illusorisch schien, diesen in kurzer Zeit völlig zu unterbinden. Strafrechtliche Maßnahmen gegen den Drogenhandel sollten mit Hilfsangeboten für Süchtige kombiniert werden. Entgegen „härterer“ drogenpolitischer Ansätze, wie sie in anderen Ländern wie den USA praktiziert werden, sollen die Abhängigen selbst dabei nicht kriminalisiert werden.

Um den Drogenkonsum auf offener Straße zu unterbinden, hat der Frankfurter Drogennotdienst unlängst wieder sein Angebot an Drogenkonsumräumen („Druckräume“) erweitert. In diesen Einrichtungen können Süchtige von harten Drogen wie Heroin oder Crack unter medizinischer Aufsicht ihre Drogen konsumieren. Dabei wird ihnen sauberes Spritzbesteck und Desinfektionsmittel bereit gestellt. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass durch Benutzung von unhygienischem Drogenbesteck die Verbreitung von Krankheiten wie HIV und Hepatitis gefördert wird. Zudem wird dadurch die Gefahr von Überdosierung verringert. Der Drogennotdienst bietet darüber hinaus medizinische Hilfe und Beratung, um die Drogensüchtigen aus ihrer Abhängigkeit zu befreien. Nicht zuletzt wird damit die Verbreitung des Drogenkonsums eingedämmt, da vermieden wird, dass benutztes Drogenbesteck in der Gegend, zum Beispiel in Parks, herumliegen bleibt und dadurch weitere Menschen zum Drogenkonsum animiert werden. Zu guter Letzt wird auch das Stadtbild von den Drogenabhängigen „befreit“, wenn diesen Gelegenheit geboten wird, sich in spezielle Konsumräume zurückziehen zu können. Entgegen einem landläufigen Vorurteil werden in den Konsumräumen allerdings keine Drogen an die Süchtigen ausgegeben oder gar verkauft. Diese sind von den Abhängigen durchweg selbst mitzubringen. Nach dem deutschen Gesetz ist der Drogenkonsum als solcher nicht strafbar, sondern nur die Herstellung und der Handel mit diesen.

Die Einrichtung von Konsumräumen hat bei dem früher vorherrschenden Heroinkonsum auch gute Resultate gezeigt. Mit der weitläufigen Verbreitung von Crack im Bahnhofsviertel lässt aber die Wirkung nach. Denn anders als für Heroin wird für Crack kein spezielles medizinisches Besteck benötigt, da es schnell und unkompliziert inhaliert wird. Somit sinkt die Notwendigkeit, spezielle Räumlichkeiten aufzusuchen. Während Heroinsüchtige zudem durch den Rausch betäubt werden, wirkt Crack im Gegenzug aufputschend. Die Süchtigen sind aggressiv und schwer kontrollierbar.

Der „Züricher Weg“ als Alternative?

Unlängst fordern viele Frankfurter Politiker und Drogensachverständige, den sogenannten „Züricher Weg“ zu übernehmen. Dieser ähnelt dem klassischen Frankfurter Ansatz, weist allerdings einige Unterschiede auf. Die Möglichkeit zum Drogenkonsum unter Aufsicht in entsprechenden Einrichtungen wird in Zürich mit einer Null-Toleranz-Politik im öffentlichen Raum kombiniert. Zudem ist das Hilfsangebot dezentral aufgebaut und die Einrichtungen sind mit individuellen Zeitfenstern versehen, sodass rund um die Uhr ein Hilfsangebot gewährleistet ist. Die Nutzer der Konsumräume müssen sich registrieren und nachweisen, dass sie in Zürich wohnen. Darüber hinaus patrouillieren zahlreiche Sozialarbeiter die Straßen von Zürich, um dort den Drogenkonsum einzudämmen. Außerdem konzentriert sich die Drogenpolitik dort nicht nur auf die Stadt, sondern auch das regionale Umland, wodurch von Anfang an verhindert wird, dass sich überhaupt Sammelpunkte von Drogenabhängigen in bestimmten Stadtvierteln bilden. Es liegt auf der Hand, dass eine derart personalintensive Drogenpolitik auch eine Geldfrage ist. Ob sie in Frankfurt übernommen werden kann, ist daher noch nicht sicher.

Verstärkung des Polizeiaufgebots

Derzeit wird das Ausufern des Drogenhandels im Bahnhofsviertel auch durch ein härteres Durchgreifen der Polizei unterstützt. Es ist von einer regelrechten „Innenstadtoffensive“ die Rede. Bei einer Großrazzia wurden zuletzt Ende Februar 2024 über 175 Personen im Bahnhofsviertel kontrolliert und 13 von ihnen wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz festgenommen. Auch einige gesuchte Taschendiebe bekam die Polizei bei dieser Gelegenheit in die Finger. Aber auch abseits von solchen Aktionen wurde seit zwei Jahren die permanente Kontrolle des Viertels durch Polizeistreifen erhöht. Regelmäßig werden auch Bars, Nachtclubs und Bordelle auf kriminelle Aktivitäten untersucht. Durch die vermehrte Polizeipräsenz soll auch dem Eindruck entgegen gewirkt werden, dass das Bahnhofsviertel einen rechtsfreien Raum darstellen, aus welchem sich der Staat zurückgezogen habe. Das Gegenteil ist der Fall.

Zu den Maßnahmen zur Eindämmung der Kriminalität im Bahnhofsviertel gehört auch eine Ausweitung der öffentlichen Videoüberwachung und einer Verschärfung des Waffenverbots, zum Beispiel bei Stichwaffen. Die Erfolge ließen nicht lange auf sich warten, mehrere Drogenhändler sind der Polizei durch Videoaufnahmen schon ins Netz gegangen.

Allerdings liegt es auf der Hand, dass mit Polizeimaßnahmen allein das Drogenproblem im Bahnhofsviertel nicht zu lösen ist.

Das Bahnhofsviertel auf dem Weg der Besserung?

Nachdem sich die Situation im Frankfurter Bahnhofsviertel in den letzten Jahren verschlechtert hat, scheint nun langsam Besserung in Sicht. Allerdings müssen die vorhandenen Ansätze auch konsequent weiterverfolgt werden. Das Hilfsangebot für Abhängige muss weiter ausgebaut und auf die spezifische Herausforderung der Crackwelle angepasst werden. Gleichzeitig muss die Polizei für die Kontrolle des Viertels weiter gestärkt werden. Letzten Endes muss die Politik Wege finden, wie diese Maßnahmen zu finanzieren sind. Nur durch entsprechende Investitionen kann dem Bahnhofsviertel auf lange Sicht eine bessere Zukunft gesichert werden.