Letzte Aktualisierung: 04.10.2024
Wie die Fegerflotte das Bahnhofsviertel sauber hält
von Pelin Abuzahra
(16.09.2024) Feiner Nieselregen umhüllt die drei Männer, die an diesem Morgen mit Zange und Müllsäcken ausgerüstet für Sauberkeit im Bahnhofsviertel sorgen. Am Fuße der wolkenverhangenen Hochhäuser wirkt das Viertel unbelebt, doch der Abfall auf Gehwegen, Hauseingängen und Grünstreifen zeugt davon, was tags und nachts zuvor im Bahnhofsviertel los war. Die Kehrmaschinen der FES fahren bereits durch die Straßen. Zügig und zielgenau picken die Männer mit ihren Zangen durchnässte Papiertaschentücher, Kippenstummel oder Kaffeebecher von den Gehwegen. Das ist der „harmlose“ Abfall – spezialisiert sind die Männer der Fegerflotte auf das Aufsammeln von Drogenutensilien, vornehmlich Spritzen.
Zügig und zielgenau picken die Männer mit ihren Zangen durchnässte Papiertaschentücher, Kippenstummel oder Kaffeebecher von den Gehwegen. Das ist der „harmlose“ Abfall – spezialisiert sind die Männer der Fegerflotte auf das Aufsammeln von Drogenutensilien, vornehmlich Spritzen.
Die Fegerflotten-Mitarbeiter kennen die Ecken, wo sich viel ansammelt, wo Obdachlose ihre Notdurft hinterlassen und Drogenkranke ihre Drogen konsumieren. Es sind die Ecken im Bahnhofsviertel, die versteckt oder auf den ersten Blick nicht gut einsehbar sind – gerade im Dunkeln. Am nächsten Morgen werden die Männer von der Fegerflotte Spritzen, Pfeifen, leere Plomben, also Plastikfolien, die Heroin, Kokain oder Crack enthielten aufsammeln. Jeden Tag, von Montag bis Freitag. Wer bei der Flotte mitarbeitet, wird mit einer Schulung auf die Arbeit vorbereitet. Gefördert wird die Fegerflotte von der Stabsstelle Sauberes Frankfurt der Stadt, dem Landeswohlfahrtsverband und dem Frankfurter Arbeitsmarktprogramm FRAP. Der Verein Arbeits- und Erziehungshilfe (vae) organisiert und führt das Projekt durch. Das Projekt startete im Juni 2002 als gemeinsame Maßnahme des Drogenreferats und der Stabsstelle Sauberes Frankfurt. Initiiert wurde es von Siggi Drees, Mitarbeiter im Cafe Fix, einer ehemaligen Drogenhilfseinrichtung. Das Projekt richtete sich zunächst als Arbeitsangebot an Drogenabhängige, die im Cafe Fix betreut wurden. Aufgrund der positiven Resonanz im Bahnhofsviertel wurde das Projekt über den viermonatigen Probelauf hinaus verlängert und läuft seit 22 Jahren. Der vae übernahm von Anfang an die Betreuung. Das Projekt bietet eine niedrigschwellige Arbeitsgelegenheit für Menschen mit Suchterfahrung oder für solche in Substitutionsprogrammen.
Die Fegerflotte sei ein Vorzeigeprojekt mit einer Win-win-Situation für die Beteiligten und die Stadtgesellschaft: „Die Teilnehmenden erhalten eine Tagesstruktur mit einer gesellschaftlich sehr sinnvollen Aufgabe. Sie sorgen für ein höheres Maß an Sicherheit im öffentlichen Raum, wenn die Gefahren, die von unachtsam entsorgten genutzten Spritzen und ähnlichem ausgehen können, durch sie beseitigt werden“, erklärt Claudia Gabriel. Sie leitet seit 10 Jahren die Stabsstelle Sauberes Frankfurt und ist auch für das Projekt zuständig. „Die Arbeit der Männer wird anerkannt und sie erhalten positive Rückmeldungen, dies stärkt das Selbstbewusstsein und kann Antrieb sein, sich persönlich weiterzuentwickeln“, sagt Gabriel.
Täglich stehen drei Routen auf dem Plan: Bahnhofsviertel, Taunusanlage und das Mainufer
Jährlich kommen rund 8000 Spritzen zusammen, vor 20 Jahren waren es noch weit über 10.000, weiß Mete Aydemir zu berichten. Aydemir ist Arbeitserzieher beim vae und betreut die Fegerflotte. Der 50-Jährige kennt jedes Mitglied – ihre Biographien, die Sorgen und Probleme.
An diesem Morgen sind Martin, Torben und Mehdi (Namen von der Redaktion geändert) gemeinsam als Team im Bahnhofsviertel unterwegs. Sie alle sind Substituierte, das heißt ihre Drogensucht wird unter ärztlicher Kontrolle mit verordneten Medikamenten und psychosozial behandelt. Sie haben früher selbst Drogen im Bahnhofsviertel konsumiert, ihr Leben auf der Straße verbracht, kennen das Viertel und wissen, wo sich der Abfall aus dem Drogenkonsum sammelt. Drei Routen läuft die Fegerflotte täglich ab: Bahnhofsviertel, Taunusanlage und das Mainufer. Aydemir sagt, dass die meisten Drogensüchtigen nie abhängig von nur einer einzigen Droge seien. „Sie nehmen, was sie kriegen können – Alkohol, Tabletten, Crack oder Heroin.“
Das kann auch Mehdi aus der Fegerflotte bestätigen. Seine Drogenabhängigkeit begann im Iran, als er 16 Jahre alt war. Der 48-Jährige wuchs nahe der Grenze zu Afghanistan auf, Drogen seien dort „normal“ gewesen, jeder habe welche genommen. „Es war nicht teuer und das Leben dort war sehr schwierig und perspektivlos.“ Während er den Müll aufsammelt, berichtet er davon, wie er früh krank wurde, dann Depressionen bekam. „Dann starb mein Bruder im Krieg…“, er verstummt und dreht seinen Kopf weg: „Ja, da fing es dann an.“ Mehdi ist seit acht Jahren bei der Fegerflotte. Er ist verlässlich und jeden Tag dabei. Für ihn sei diese Arbeit wichtig: „Es ist Spaß, Hobby und Arbeit in einem. Ich habe nette Kollegen. Es ist ein bisschen wie Familie, denn in Deutschland habe ich keine.“ Mit anderen Drogenkranken, die im Substitutionsprogramm sind, fühle er sich wohler und angenommen: „Bei normalen Menschen werde ich nervös und bin unruhig. Aber bei der Fegerflotte sind alle wie ich. Und uns wird geholfen, dafür bin ich dankbar.“ Vor 13 Jahren kam Mehdi nach Frankfurt – seit zehn Jahren macht er die Substitutionstherapie und lebt im betreuten Wohnen.
Spritzen und Nadeln sind Sondermüll – sie kommen in einen speziellen Eimer
Mehdi ist in sich gekehrt, konzentriert läuft er die Straßen im Bahnhofsviertel ab, keine Ecke entgeht ihm. Schon nach 15 Minuten ist der erste Müllsack voll. Er trägt auch den Spritzeneimer, der eine spezielle Öffnung hat, aus dem der Abfall nicht herausfallen kann. Drogenutensilien sind Sondermüll. „Mehdi, ich hab‘ eine Spritze gefunden, bring mal bitte den Eimer“, ruft Torben. Er steht am Grünstreifen auf dem Karlsplatz. Es bleibt nicht bei der einen Spritze an diesem Morgen. Allein am Karlsplatz sammeln die Männer sechs Spritzen und einige Nadeln mit ihren Zangen auf – alle werden in den Eimer geworfen.
Nadeln und Spritzen findet die Fegerflotte immer. Und das, obwohl viele Drogenkranke ihre Drogenutensilien auch in braune Metalleimer mit einer Spezialöffnung werfen können, die eigens dafür in den Straßen hängen.
„Wegen des schlechten Wetters ist heute wenig“, sagt Torben. Zudem sei es gegen Ende des Monats und da sei das Geld knapp. „Von Anfang bis Mitte des Monats bekommen alle ihre Stütze, dann hauen sie das Geld auf den Kopf und es landet mehr Müll auf der Straße“, sagt der 53-jährige Torben. Er ist seit fünf Jahren dabei und bereits seit über 20 Jahren substituiert er. Das Substitutionprogramm habe ihm das Leben gerettet.
Über die Ableistung von Arbeitsstunden zur Fegerflotte gekommen
„Morgen Jungs!“ – immer wieder wird die Truppe von Obdachlosen, Drogenabhängigen oder Ladenbesitzern gegrüßt. Die Anlieger seien dankbar für die Arbeit der Fegerflotte, sagt Aydemir. „Alle kennen uns, das macht die Arbeit leichter.“
Auch Martin macht die Arbeit gerne. Der 50-Jährige ist in der Münchener Straße aufgewachsen. Seit acht Jahren arbeitet er bei der Fegerflotte. Er versuche, jeden Tag dabei zu sein, aber an manchen Tagen mache seine Gesundheit nicht mit, erzählt er. Seit gut 15 Jahren wird er substituiert. Martin berichtet zögerlich, es fällt ihm schwer über die Gründe und die Geschichte seiner Sucht zu sprechen. Er habe bei einem namhaften Autohersteller seine Ausbildung zum KfZ-Mechaniker gemacht. „Ich stand kurz vorm Meister. Dann habe ich meine Freundin kennengelernt – sie war süchtig. Eines Tages habe ich mitgemacht. Man ist jung und verliebt. Macht sich keine Gedanken, erkennt die Warnsignale nicht und irgendwann ist man ganz unten“, sagt er. Es blieb nicht bei der Drogensucht, Martin wurde auch kriminell. Eines Tages stand er vor der Wahl: „Knast oder 2000 Arbeitsstunden.“ Er habe sich für die Arbeitsstunden entschieden. Die haben ihm das Leben gerettet. Martin sah wieder einen Sinn im Leben und nachdem er seine Arbeitsstunden abgeleistet hatte, kam er zur Fegerflotte.
Die Fegerflotten-Mitarbeiter werden für ihre Arbeit mit einem kleinen Betrag auch entlohnt – abhängig von ihren Einsatztagen. „Viele schaffen gerade mal drei Stunden am Tag, höchstens sind es sechs Stunden“, erklärt Aydemir. Neben der Drogensucht kämen bei vielen auch andere Probleme hinzu. „Obdachlosigkeit, Ärger mit der Justiz und auch psychische Probleme sind oft an der Tagesordnung. Sie haben keine intakte Familienstruktur, die sie auffängt. Oft wurden sie aufgrund ihrer Sucht verstoßen und haben keinerlei Kontakt zu Angehörigen“, weiß der Arbeitserzieher. Er möge seine Arbeit sehr und manchmal nehme er auch mal selbst die Zange und einen Müllbeutel in die Hand. „Ich bin ja auch ein Vorbild für sie und mir nicht zu fein, auch mal mitanzupacken.“ Es gehe zudem darum, Vertrauen aufzubauen und das sei der schwierigste Teil seiner Arbeit. „Ohne Empathie und Geduld funktioniert es nicht – doch wenn ich das Vertrauen gewonnen habe, kann ich auch etwas in den Menschen bewegen und Veränderungen herbeiführen“, sagt er.
Wieder einen Sinn im Leben finden, etwas leisten und zurückgeben
Auch Torben findet, dass die Arbeit Struktur und Ordnung in sein Leben bringe: „Ich brauche etwas zu tun. Momentan ist es vielleicht nicht so viel, was ich machen kann, aber ich leiste etwas.“ Der gelernte Schlosser fing bereits mit „13 oder 14“ mit dem Kiffen an. Seine Eltern ließen sich scheiden. „Es war eine schwierige Phase, ein Bruch in meinem Leben. Das Kiffen hat mich beruhigt. Aber irgendwann gibt es keinen Kick mehr und man möchte mehr, um das Gefühl vom ersten Mal zu haben. Und so kam ich dann auf Heroin“, sagt er und eilt schnellen Schrittes zur nächsten Ecke mit Abfall. Eric ist flott unterwegs, kein Abfall, keine Nadel und keine Spritze ist vor ihm sicher. „Hier haben wir eine lange Nadel, die werden für Spritzen in die Leiste benutzt“, erklärt er und hält mit der Zange eine verbogene und schmutzige Nadel hoch. Mehdi eilt mit dem Eimer herbei und die Nadel landet sicher im Behälter.
Auch die FES-Mitarbeiter sammeln bei ihren Touren täglich Spritzen. Die Fegerflotte ist aber in Bereichen wie auf Grünflächen unterwegs, für welche die FES nicht zuständig ist oder mit Kehrmaschinen schlecht herankommt. Zudem unterstützen die Männer der Fegerflotte Dritte wie Kitas oder andere Einrichtungen, wenn Sie aufgrund von Spritzenfunden oder sonstigen Utensilien Hilfe brauchen. Zwar ist das Projekt „Offensive Sozialarbeit, Sicherheit, Intervention und Prävention“ – kurz: „OSSIP“ – der Polizei ebenso vor Ort, aber gerade für die Entsorgung ist die Flotte der richtige Ansprechpartner. Sie ist zwischen der Früh- und Mittelschicht der FES unterwegs und kann entsprechend schnell handeln. Und aufgrund ihrer eigenen Drogenvergangenheit wissen die Männer der Fegerflotte, an welchen Stellen sie nachschauen müssen und wo diese Art von Abfällen liegen.
Genau in diesen Punkten liege auch der Vorteil für die Stadt Frankfurt – eine sinnvolle Aufgabe die gesellschaftlich helfe, den Teilnehmenden der Fegerflotte Anerkennung bringe, aber keine Konkurrenz zur einer extern zu beauftragenden Reinigung darstelle, erklärt Claudia Gabriel.
Martin, Torben und Mehdi sehen viel Sinn in ihrer Tätigkeit. Sie sind sich einig, dass es wichtig ist, das Bahnhofsviertel sauber zu halten – auch wenn sie jeden Tag aufs Neue Spritzen, Nadeln und anderen Abfall sammeln. In der Elbestraße angekommen, benötigen sie erneut neue Müllbeutel. Mehdi läuft auch hier ruhig und konzentriert alle Ecken ab: „Ich habe mein Gewissen, ich kann nichts liegen lassen! Die Arbeit beruhigt mich.“
Liegengelassen wird von Martin, Torben und Mehdi nichts – die Tour der Fegerflotte endet nach rund drei Stunden mit vollen Müllbeuteln, einem gefüllten Spritzeneimer und drei zufriedenen Mitarbeitern. (ffm)