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Letzte Aktualisierung: 28.03.2024

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WGS: Theater La SentyMenti zu Gast

Schuhe machen Leute

von Alexander van de Loo

(05.05.2022) „Gib einem Mädchen die richtigen Schuhe und es wird die Welt erobern“, sagte einst die amerikanische Sängerin Bette Midler. Alter, politische Zugehörigkeit, emotionale Werte und andere wichtige Persönlichkeitsmerkmale - das alles soll man anhand der Schuhe eines Menschen erkennen können. Behaupten zumindest Forscher an der Universität Kansas. Schuhe können aber auch noch etwas ganz anderes: Personen verkörpern.

Genau das passiert in dem nach sizilianischen Märchenmotiven geschriebenen Stück „Das Glück wie das Pech”. Auf die Bühne gebracht hat es das Theater La SentyMenti mit Liora Hilb als Schauspielerin. In ihren schicken Schuhen macht sich Prinzessin Sfortuna (italienisch für Pech) auf den Weg, um ihr Glück oder Pech zu finden. Selbstbewusst ist sie auch: „Weil ich ich bin, bin ich ich.” Mit diesem Wahlspruch geht sie flott voran. Vergangene Woche folgten ihr dabei mit offenen Mündern die 5. Klassen in der Aula der Weingartenschule.

 

Fantasie ist gefragt

Da ist kein Vorhang, der aufgeht, auch eine märchenhafte Kulisse mit Schlössern und Burgen sucht man vergeblich. Gefragt ist hier in diesem Stück die Vorstellungskraft. Denn wir befinden uns im Reich der Fantasie. Das aber durchaus aktuelle Bezüge hat. „Es war einmal ein König“, erzählt Schauspielerin Liora Hilb mit goldener Krone, tänzelt barfuß über die Decke und faltet sie auseinander. Schon entstehen die Bretter, die die Welt bedeuten. „…der herrschte gütig und gerecht über sein Land“, geht es weiter im Text. Doch ein böser Nachbarstaat griff unrechtmäßig nach der Macht, überfiel den guten König und entmachtete ihn. So leben seine Frau und seine sieben Töchter - eine davon ist Sfortuna als Hauptfigur - in Armut, während der Vater und rechtmäßige König im Kerker sitzt. Denn der Nachbarkönig kennt keine Gnade. Am Ende wird Sfortuna den Sohn des bösen Königs für sich gewinnen. Das macht dieses Märchen rund. Ein glückliches Ende lockt. Auf dem Weg dahin muss sie jedoch zunächst ihr Pech loswerden, wobei ihr eine alte Amme hilft. Bis dahin spielt sich so einiges ab. 18 Rollen gibt es in diesem Stück. Gegeben werden sie alle von der virtuosen Solokünstlerin Liora Hilb. Als Unterscheidungsmerkmal für die verschiedenen Figuren dienen ihr neben Gestik, Mimik, Sprachen und Dialekten verschiedene Schuhe: Schlappen, Latschen, Treter, Stilettos und Slipper.

 

Schuhe stehen für Rollen

Denn die unterschiedlichen Protagonisten werden durch unterschiedliche Schuhe verkörpert. Diese stehen dafür am Rand der Bühne bereit. Hilb schlüpft in sie hinein wie in ein Kostüm. So kann sie Sfortuna, die siebte der Königstöchter, und gleichzeitig auch der Rest ihrer Familie, die Amme, den König, den Prinzen und noch eine Reihe anderer Charaktere darstellen. Auch ein roter flauschiger Mantel erfüllt mannigfaltige Funktionen. So ist er mal Königsmantel, mal Kaminfeuer, mal feuriges Kellermonster.

Ebenso flink wie mit den Füßen ist die Solokünstlerin auch mit der Zunge und belässt es nicht nur beim waschechten Hessisch des Krämers, einer ihrer Figuren. Amüsiert verfolgen die Kinder auch ihre italienischen Schimpfkanonaden und das Jiddisch (Hilb ist Jüdin) der Amme. Das schauspielerische Talent Hilbs erlaubt es ihr auch, mit den jugendlichen Zuschauern zu interagieren. So werden die Kinder mitten im Stück aufgefordert mitzuspielen. Auf Italienisch fragt sie das und tatsächlich ist ein Schüler italienischer Abstammung, antwortet, spielt kurz mit und übersetzt die Anweisungen Hilbs an zwei andere mitspielende Mitschüler.   

Am Ende gelingt es der Pechmarie, ihr Schicksal zu überwinden. Sie erhält einen neuen Namen: Aus Sfortuna wird Fortunata, die Glückliche. Und passend zum Namen und zum Genre gibt es ein Happy-End. Fortunata heiratet ihren Prinzen. Auch das Schlussbild wird mit Fußbekleidung verdeutlicht: Zwei Schuhpaare stehen aneinander gelehnt. Die Spitzen küssen sich.

 

Hungrig nach Kultur

Nach diesem vergnüglichen Theatererlebnis gab es so einiges Erstaunliches in der anschließenden Diskussionsrunde. Liora Hilb ließ es sich wie immer nicht nehmen, den jungen Zuschauern auf den Zahn zu fühlen. Sie fragte alle Rollen ab und – unglaublich – alle wurden von den Kindern erinnert und beschrieben. „In dem Alter sind sie erstaunlich detailverliebt und schauen genau hin“, weiß Klassenlehrer Christian Büchi zu berichten. Nur das Jiddisch konnten sie nicht so recht einordnen. Irgendwie deutsch und doch wieder nicht, hieß es, aber verstanden hätten sie es schon.

Genauso wie die Moral des Stückes, dass man niemals aufgeben soll. „Ich hätte meine Tochter nicht weggeschickt“, moniert eine Schülerin. Eine zweite fand es gut, „dass am Ende geheiratet wurde“. Amelie aus der G5a gefiel, „dass die Fantasie angeregt wurde“. Ihr Klassenkamerad Leo hatte aufgrund der vielen Rollen Orientierungsschwierigkeiten. „Mehr Schauspieler wären besser gewesen“, lautet sein Urteil.  Da wäre er nicht so durcheinandergekommen.

Dass es überhaupt zu einer Aufführung an der Weingartenschule gekommen ist, verdankt die Schule dem Engagement der ehemaligen Deutschlehrerin Gisela Franzke, die das Ereignis organisierte. Und vor allem dem spendablen Förderverein der Schule, der 1800 Euro für insgesamt drei Vorführungen gespendet hatte. „Alle sind jetzt nach Corona wieder hungrig nach Kultur“, erklärt Liora Hilb in einem Schlusssatz.