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Wenn aus großen Holzbausteinen neue ‚vier Wände‘ entstehen

Wie die ABG auf bestehenden Flächen zusätzliche Wohnungen schafft

Die Fabrikhalle auf dem Feld an der Sandelmühle im Stadtteil Heddernheim könnte in jedem beliebigen Industriegebiet stehen. Sie sieht aus wie eine zu große geratene Scheune, hat die Maße eines halben Fußballfeldes und ragt in etwa so weit nach oben wie ein typischer Bau für den Schulsport. Doch das Produkt, das hier auf der Montagestraße entsteht, ist außergewöhnlich. Denn die Feldfabrik stellt Wohnungen für die ABG Frankfurt Holding her, die auf bestehende Häuser im Stadtteil Ginnheim aufgesetzt werden.

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Wohnungsbau in Ginnheimer Platensiedlung mit Holzmodulen aus der LiWood-\'Feldfabrik\'
Foto: Stadt Frankfurt / Rainer Rüffer

Bis Ende 2019 sollen es 380 sein, mit Größen von einem bis drei Zimmern. Begonnen hat das Aufstockungsprojekt im Dezember 2018. Die Wohnungen bestehen aus einzelnen Holzmodulen, welche die Münchner Firma LiWood in ihrer „Feldfabrik“ – einer Produktionsstäte auf Zeit - in Heddernheim zusammensetzt. Tieflader transportieren die Bauteile dann in die gut fünf Kilometer entfernte Platensiedlung. Ein Kran setzt dort die Module - sie sehen wie große Holzbausteine mit Fenstern und Türen aus - auf die 19 Häuser, deren Geschosszahl von drei auf fünf wächst. In der kurzen Bauzeit liegt einer der Vorteile des Projektes. „Konventionell hätten wir die dreifache Zeit gebraucht“, weiß Frank Junker, Geschäftsführer der ABG.

Ein Blick auf die Montagestraße zeigt weshalb. Aktuell entstehen hier Bad-Module. Arbeiter fügen anhand von Bauanleitungen die vorgefertigten Wände mit großen Akkuschraubern zu ebenjenen Kisten zusammen. Aus den Böden lugen seitlich Kabel und Schläuche heraus. An der Wand hängt ein Kasten, Leitungen führen zu ihm hin – die Verteilerbox. Die serielle Bauweise mit ihren standardisierten Vorprodukten ermöglicht es, Elektro- und Sanitärarbeiten gleichzeitig zu erledigen, die sonst nacheinander an der Reihe wären. Das spart Zeit. Dazu erübrigt sich manches vollständig. „Bei einem herkömmlichen Bau müsste der Estrich mindestens sechs Wochen trocknen“, sagt Hannes Bacher, Produktionsleiter von LiWood. Hier befindet er sich bereits auf der vorgefertigten Bodenplatte.

Eine detailliert geplante Logistik sorgt dafür, dass die Montagestraße nicht stillsteht. Lastwagen bringen die vorgefertigten Bauteile nach Heddernheim. Das können Außen- oder Innenwände sein, Seitenteile für Küchen oder Schlafzimmer – quasi der Bausatz einer kompletten Wohnung. Geliefert wird, was die aktuelle Produktionsplanung verlangt. Die meisten Teile kommen aus Bobingen, einer Gemeinde bei Augsburg. Am Ende des Projekts werden 1100 Module zusammengesetzt sein, Bausteine für die beiden neuen Etagen in der Platensiedlung. „In Verbindung mit den richtigen konstruktiven Details erfüllt der Baustoff Holz alle Brandschutzanforderungen“, sagt Bacher mit Verweis auf gängige Befürchtungen. Dazu isoliere er besser als konventionelle Materialien. Junker verweist zusätzlich auf die ökologische Komponente: „Holz ist ein nachwachsender Rohstoff.“

Auf der Ausgangsseite der Feldfabrik lädt ein Gabelstapler ein Badmodul auf einen Sattelzug. Der große Legostein tritt gleich die Fahrt in die Platensiedlung an. Dort schwebt zur gleichen Zeit ein anderes Modul an einem Kranhaken. Es hatte die Feldfabrik etwa zwei Stunden vorher verlassen. Langsam setzt der Kranfahrer den großen Holzbaustein dort auf das Siedlungshaus, wo sich früher das typisch dreieckige Dach befand. Das wird er mit anderen Modulen wiederholen, bis das Gebäude um zwei Stockwerke gewachsen ist. Danach kommt wieder ein Dach drauf. Was in der Platensiedlung passiert, heißt in der Fachsprache der Wohnungswirtschaft Nachverdichtung. Bestehende Gebäude aufzustocken, ist eines ihrer Instrumente. Ein weiteres besteht darin, bisher ungenutzte Areale zu bebauen. Gerade die Ensembles der fünfziger und sechziger Jahre mit ihren weitläufigen - aber auch ungenutzten Grünflächen - bieten sich hierfür an.

In der Platensiedlung kombiniert die ABG beide Vorgehensweisen. Zusätzlich zu den neuen Stockwerken entstehen neue Gebäude, welche die Siedlung an ihrem Rand einfassen. Das Ensemble mit seinem oft als gleichförmig empfundenen Muster linear angeordneter Riegelbauten bekommt so eine neue Struktur, es entsteht eine Siedlung mit neuem Gesicht. Die zusätzlichen Gebäude werden allerdings erst einige Jahre nach den 19 Riegelbauten fertig sein, deren Aufstockung gerade läuft. Das gesamte Projekt einschließlich Neubauten veranschlagt das Unternehmen auf 160 Millionen Euro.

Bauen in Bestandsquartieren stellt für Wohnungsunternehmen eine besondere Herausforderung dar. Die Arbeiten bedeuten für die Anwohner Lärm und Schmutz. Hinzu kommt die Angst vor steigenden Mieten. Um die Betroffenen von dem Vorteil des Projektes zu überzeugen, lud die ABG zu drei Mieterversammlungen mit dem Ziel zu erklären, wie sich der Zustand für alle verbessert. So entstehen in der Siedlung nicht nur neue Wohnungen, sondern auch Mietergärten, welche die Aufenthaltsqualität im Freien erhöhen. Zwei Kitas sollen die Infrastruktur verstärken. „Durch die Baumaßnahmen wird keine einzige Miete erhöht“, erklärt ABG-Geschäftsführer Junker.

Die Kommunikation mit den Anwohnern geschieht auf unterschiedlichen Kanälen. Ein Baustellenportal informiert über den aktuellen Fortschritt unter https://www.abg-fh.com/projekte/projekte-daten/platensiedlung/mieterdialog_platensiedlung_infos.php . Zugleich dokumentiert es die Ergebnisse der Mieterversammlungen und schafft so Verbindlichkeit für Bewohner und Immobilienunternehmen. Fragen lassen sich über das Portal online stellen. Wer lieber klassisch das Gespräch sucht, kann das einmal pro Woche. Denn so oft steht für drei Stunden ein ABG-Mitarbeiter Rede und Antwort. Auf diesem Weg lassen sich Lösungen für spezielle Konstellationen finden. Unter diese Rubrik fallen etwa die „Schlafwohnungen“. Diese stehen Menschen zur Verfügung, die nachts arbeiten und tagsüber wegen des Baulärms nicht in den eigenen vier Wänden schlafen können.

Die Nachverdichtung bestehender Siedlungen bringt den Vorteil mit sich, dass die Wohnungsgesellschaften keine teuren neuen Grundstücke kaufen müssen. Denn sie stocken auf, bauen Dachgeschosse aus oder errichten zusätzliche Häuser auf freien Flächen in den Ensembles. In Frankfurt sieht Planungsdezernent Mike Josef hier noch ein erhebliches Potenzial. Dabei wird eine so genannte doppelte Innenentwicklung verfolgt, also Wohnraum schaffen und Freiflächen hin zu mehr Lebensqualität entwickeln. „Diese Strategie bietet sich gerade für Siedlungen an, die über eine vergleichsweise geringe städtebauliche Dichte verfügen“, sagt Josef. Wichtig ist für ihn, dass die soziale Mischung, die Freiraumqualität und die Ausstattung mit sozialer Infrastruktur in den Quartieren stimmen und die Weiterentwicklung der Siedlung einen Mehrwert für alle Neu- und Altmieter schaffe.

Allerdings sieht er Grenzen bei der Nachverdichtung. „Wir können nicht überall etwas draufsetzen oder dazubauen, wo es technisch möglich wäre“, erklärt Josef. Denn die Anwohner müssten die Projekte akzeptieren. Auch müsse geprüft werden, ob für die erforderlichen Schulen, Kitas und andere Infrastruktur städtische Grundstücke vorhanden sind oder angekauft werden können. „Nachverdichtung ist ein Baustein von mehreren im Kampf gegen die Wohnungsnot. Ihr Einsatz stößt aber angesichts des bestehenden und erwarteten Wohnungsbedarfs vor immanente Grenzen und kann so die Stadterweiterung mit neuen Quartieren in Stadt und Region letztlich nicht ersetzen“, sagt der Stadtrat. (ffm)