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Letzte Aktualisierung: 25.04.2024

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Vorschau auf die Spielzeit 2020/21 am Schauspiel Frankfurt

von Ilse Romahn

(29.06.2020) Im Zentrum der Spielzeit 2020/21 am Schauspiel Frankfurt steht die Auseinander­setzung mit den Themen Antisemitismus und Rassismus.

v.l.: Lukas Schmelmer, Katja Herlemann, Alexander Leiffheidt, Julia Weinreich, Katrin Spira (Dramaturg_innen), Martina Droste (Leiterin Junges Schauspiel), Anselm Weber (Intendant)
Foto: Robert Schittko
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Entstanden ist ein Spiel­plan, der gleichzeitig auch ein Plädoyer für ein gesellschaftliches Miteinander ist. In einer Zeit, in der hasserfüllte Angriffe auf eine plurale Gesellschaft immer stärker werden, braucht es kraftvolle, solidarische Gegenpositionen.

Um die inhaltliche Gestaltung der Spielzeit zu ermöglichen, wurde im April 2019 ein Beirat von Expert_innen gegründet, der bei Artikulation, Auswahl und Struktu­rierung der Spielzeitelemente mitgewirkt hat.

Im engen Austausch mit Vertreter_innen der Bildungsstätte Anne Frank, des Jü­dischen Museums Frankfurt, Fritz Bauer Instituts und der Jüdischen Gemeinde Frankfurt hat das Schauspiel Frankfurt ein Programm entwickelt, das sich über die gesamte Spielzeit hinweg auf vielfältige Weise zu Antisemitismus und Rassismus in Deutschland verhält.

Mit ganz unterschiedlichen ästhetischen und inhaltlichen Zugriffen beziehen sich zahlreiche Inszenierungen in dieser Spielzeit auf den Themenschwerpunkt.

Zudem werden partizipative Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen über die Spielzeit verteilt unterschiedliche Aspekte zum Thema diskursiv vertiefen und bie­ten Begegnungs- und Diskussionsräume. 

In der Auftaktveranstaltung am 4. Oktober spricht der renommierte österreichische Autor Robert Menasse zur Frage »Wo beginnt die Angst?« auf der Bühne des Schauspielhauses. 

Am 24. Oktober ist das Schauspiel Frankfurt Gastgeber des »Textland Literatur­fest« mit Max Czollek im Rahmen der »TdJML – Tage der Jüdisch-Muslimischen Leitkultur«. Zahlreiche Autor_innen werden in Lesungen und Gesprächen die Mög­lichkeiten und Perspektiven literarischer Formen präsentieren, in denen die Realitä­ten einer Postmigrationsgesellschaft aufgehoben sind und weitergedacht werden. 

In einem Gespräch mit der Journalistin Ferdos Forudastan wird der Publizist, Politiker und Autor Michel Friedman zu seiner Grundsatzthese »Judenhass ist Menschenhass« Stellung beziehen. 

Die Professorin für Antisemitismusforschung Yael Kupferberg beleuchtet am 21. März in einem Vortrag mit anschließenden partizipativen Expert_innenge­sprächen die Hintergründe und den Kontext wiedererstarkender antisemiti­scher und rassistischer Ressentiments. 

Die Verhinderung der Frankfurter Inszenierung von »Der Müll, die Stadt und der Tod« von Rainer Werner Fassbinder bildet den Ausgangspunkt des Sym­posiums »(Bühnen)Besetzungen«, bei dem Zeitzeug_innen, Wissenschaft­ler_innen und Künstler_innen eine Neubewertung dieses historischen Aktes zivilen Ungehorsams aus heutiger Sicht vornehmen. 

Zum Abschluss des Schwerpunktprogramms findet am 30. Mai die Konferenz »Was tun!« mit der Frage nach konkreten Handlungsmöglichkeiten und an­schließendem Konzert von Daniel Kahn und Band statt, der die Musik für die Produktion »Hiob« komponieren wird. 

Der Spielplan Schauspielhaus und Bockenheimer Depot
Etwa die Hälfte der Neuproduktionen wird sich in der kommenden Spielzeit unmittelbar auf das Spiel­zeitthema beziehen. Die Vielfalt der künstlerischen Handschriften wird von Arbeiten namhafter Regis­seur_innen bereichert, die zum ersten Mal am Schauspiel Frankfurt inszenieren.

Zum thematischen Auftakt der Spielzeit unter dem Motto »Antisemitismus/Rassismus« wird die viel­fach ausgezeichnete Regisseurin Claudia Bauer erstmals in Frankfurt inszenieren und Klaus Manns »Mephisto« für die Bühne bearbeiten. Der lange Zeit verbotene Roman ist auch heute noch ein ex­emplarisches Werk antifaschistischer Agitationsliteratur und stellt die Frage nach der individuellen Verantwortung, Opportunismus und Widerstand und wie sich die Kunst zu Macht verhält.

David Bösch widmet sich mit »Andorra« Max Frischs berühmter Parabel vom Judenhass als Alltäglich­keit. »Andorra« zeigt die Mechanismen der Ausgrenzung und Dehumanisierung, die am Anfang aller Gewalt stehen.

Für die Bühne hat Lisa Nielebock Goethes »Die Wahlverwandtschaften« neu bearbeitet und kehrt damit nach ihrer Inszenierung von »Siddhartha« in der Spielzeit 2018/19 nach Frankfurt zurück.

Die international arbeitende slowenische Regisseurin Mateja Koležnik gewann 2018 den österreichi­schen Nestroy-Theaterpreis. Sie wird im Januar 2021 »Yvonne, die Burgunderprinzessin« von Witold Gombrowicz inszenieren und sich mit dieser Arbeit dem Frankfurter Publikum erstmals vorstellen.

Mit »Der Theatermacher« bringt der renommierte Regisseur Herbert Fritsch eine der bekanntesten Figuren des österreichischen Schriftstellers Thomas Bernhard auf die Bühne des Schauspielhauses.

In dem Crossover-Projekt »10 odd emotions« stehen in einer einzigartigen Kooperation Schauspieler_ innen des Schauspiel Frankfurt zusammen mit Tänzer_innen der Dresden Frankfurt Dance Company, freien Performer_innen und Musiker_innen auf der Bühne. Mit einem internationalen Team wird Saar Magal die Darstellbarkeit von Antisemitismus und Rassismus mittels Bewegung, Sprache, Livemusik, Objekten und Video performativ erforschen.

Nach Sartres »Geschlossene Gesellschaft« wird Johanna Wehner in der neuen Spielzeit Joseph Roths »Hiob« für die Bühne bearbeiten und zeigt diese musikalische Produktion mit der Musik von Daniel Kahn im Schauspielhaus.

Die Hexenprozesse von Salem 1692 dienten Arthur Miller als historische Grundlage für sein Drama »Hexenjagd«. Regisseurin Laura Linnenbaum war 2014/15 Mitglied des REGIEstudio am Schau­spiel Frankfurt und nimmt sich des Stoffes im Schauspielhaus an. Ihre Inszenierungen führten sie zu den Mülheimer Theatertagen und dem Heidelberger Stückemarkt. Sie inszeniert u.a. in Berlin, Düsseldorf, Hannover und Kassel.

In der Vorweihnachtszeit wird das vom Publikum gefeierte und von Fabian Gerhardt inszenierte Familienstück »Der kleine dicke Ritter« von Robert Bolt wieder auf dem Spielplan des Schauspiels zu finden sein. 

Das Bockenheimer Depot steht auch in der neuen Spielzeit wieder unter dem Zeichen der Koproduk­tionen und Kooperationen des Schauspiel Frankfurt mit verschiedenen Partnern. 

Das Nature Theater of Oklahoma ist eine preisgekrönte New Yorker Kunst- und Performance-Gruppe unter der Leitung von Pavol Liška und Kelly Copper. Mit dem Opernexperiment »Burt Turrido. An Opera« setzen das Schauspiel Frankfurt und das Künstlerhaus Mousonturm ihre langjährige Zusam­menarbeit fort. Die Uraufführung eröffnet im Januar 2021 das Festival für neue Werke, die »Frankfurter Positionen«.

Das Stück »Der Streit« von Pierre Carlet de Marivaux entstand 1744, 250 Jahre später nahm die britische Autorin Sarah Kane in ihrem Stück »Gier« Motive von Marivaux wieder auf. Gleich zu Beginn der Spielzeit fügt Regisseur Robert Borgmann die beiden Stücke zusammen und geht in »Streit:Gier« der Frage nach der Konstitution des eigenen Selbst nach, die aus der Begegnung mit dem radikal Anderen hervorgeht. 

Durch die Pandemie bedingte Theaterschließung konnten die Proben für »Wie es euch gefällt« von William Shakespeare gar nicht erst beginnen und die Premiere im Mai 2020 nicht stattfinden. Die Produktion war mit stark reduziertem Bühnenbild die erste Produktion, die unter besonderen Hygiene- und Schutzmaßnahmen ab Mitte Mai geprobt wurde und im September 2020 in der Regie von David Bösch nachgeholt wird.

In Koproduktion mit der Oper Frankfurt entstand ein drei Jahre lang geplantes Auftragswerk der ita­lienischen Komponistin Lucia Ronchetti. Mit »Inferno« hat sie eine Oper für Schauspieler_innen und Sänger_innen komponiert. Regie führen Kay Voges und Marcus Lobbes. Die Premiere war für April 2020 geplant und wird ebenfalls aufgrund der Pandemie auf Juni 2021 verschoben.

Auch der Abschluss der monodramatischen Serie »Stimmen einer Stadt« als gemeinsame Reihe mit dem Literaturhaus Frankfurt am Main e.V. musste in die neue Spielzeit verschoben werden. Jeweils drei Autor_innen schrieben in drei aufeinanderfolgenden Spielzeiten ein Monodrama, das eine Bio­grafie eines Frankfurter Lebens zum Thema hat und in den Kammerspielen zur Uraufführung kam. Die letzten drei Teile der Serie in der Regie von Intendant Anselm Weber und Kornelius Eich werden im September 2020 gezeigt. Im April 2020 erschienen die gesammelten Texte der Serie unter dem Titel »Stimmen einer Stadt. Monodramen für Frankfurt« als Taschenbuch im Fischerverlag. 

Gastspiel
Der international renommierte Choreograf Jacopo Godani präsentiert mit seiner Dresden Frankfurt Dance Company eine beispielhafte Auswahl seiner Werke, darunter eine Weltpremiere. »Anthologie« zeigt Godanis Rolle in der Weiterentwicklung des zeitgenössischen Balletts auf. Sein choreografi­scher Stil zeichnet sich durch seinen Umgang mit Spitzentanz und seinen experimentellen Ansatz aus. Mit dieser Produktion debütiert die Dresden Frankfurt Dance Company am 10. Dezember 2020 auf der großen Bühne des Schauspielhauses.

Kammerspiele
Im Kontext des Schwerpunktthemas wird auch in den Kammerspielen mit zeitgenössischen Autor_in­nen die Gegenwart mit wachem Blick betrachtet. 

Die Antifaschismus-Tragikomödie »IchundIch« der deutsch-jüdischen Dichterin Else Lasker-Schüler entstand 1940/41 im Jerusalemer Exil und setzt den thematischen Auftakt der Spielzeit in den Kam­merspielen. Regie führt Christina Tscharyiski, die u.a. am Berliner Ensemble, Burgtheater und am Rabenhof Theater in Wien inszeniert und 2017 den renommierten Nestroy-Theaterpreis gewann.

Alexander Eisenach war 2013 Teil des REGIEstudio am Schauspiel Frankfurt und ist dem Frankfurter Publikum vor allem auch durch seine Arbeit als Autor und Regisseur des Stücks »Der kalte Hauch des Geldes« bekannt, für das er den Kurt-Hübner-Regiepreis erhielt. In seiner Stückentwicklung »Eternal Peace«, einem Auftragswerk des Schauspiel Frankfurt, visioniert er eine glückliche Zeit der neuen Republik Grönland.

Michel Decar wurde als Teil des Autorenduos Nolte Decar bekannt und ist heute Regisseur, Drama­tiker und Romanautor. In seinem neuen Stück »Die Reise nach Kallisto« schickt er eine Forschungs­mission auf die Reise zum Planeten Kallisto in der Hoffnung, dort Wasser zu finden. Robert Gerloff inszenierte zuletzt am Residenztheater München, Theater Neumarkt in Zürich, Düsseldorfer Schau­spielhaus, Volkstheater Wien und nun zum ersten Mal in Frankfurt, wo er Decars Stück zur Urauffüh­rung bringt.

Mit dem Thema künstliche Intelligenz beschäftigt sich Miroslava Svolikova in ihrem Stück »ich bin ein mensch jetzt«, das als Auftragswerk im Rahmen der Frankfurter Positionen entsteht. Regie führen wird Jessica Glause, die auch den Abschlussfilm des dreijährigen kulturellen Bildungsprojekts »All Our Futures« künstlerisch verantwortet.

In seinem Rechercheprojekt und Auftragswerk des Schauspiel Frankfurt, »NSU 2.0«, liest Nuran David Calis die verdeckten, brisanten und aktuellen Spuren der Gegenwart. Der Autor und Theater­macher ist bekannt für seine semi-dokumentarischen Stückentwicklungen, in denen er im Dialog mit den Akteur_innen einer Stadtgesellschaft komplexe Themen in bildstarke, kraftvolle Theaterarbeiten verwandelt.

Die Regisseurin Lilja Rupprecht hat Ingeborg Bachmanns »Malina« zusammen mit der Dramaturgin Ka­trin Spira für die Bühne bearbeitet und stellt sich mit ihrer Arbeit erstmals dem Frankfurter Publikum vor. 

Junges Schauspiel
Das Junge Schauspiel steht seit zehn Jahren für Theaterprojekte mit Jugendlichen zu brennenden gesellschaftlichen Themen wie Zivilcourage, Rassismus, Migration, Flucht und Inklusion. In der Spiel­zeit 2020/21 sind Jugendliche mit möglichst heterogenen Positionen eingeladen, Antisemitismus in Deutschland im Zusammenhang von institutionellem Rassismus und gruppenbezogenen Menschen­feindlichkeit mit Theatermitteln zu erfahren.

Das Stück »Was ich nicht weiß, macht mich heiß« entwickelt das Junge Schauspiel in Kooperation mit dem Jüdischen Museum Frankfurt und ist Teil eines dreiteiligen Programms mit dem Titel »Young & Expert«. Im neu eröffneten Jüdischen Museum beschäftigt sich eine inklusive Gruppe Jugendlicher mit der Frage, was jüdisches Leben in Frankfurt heißt und erarbeitet aus eigenen thematischen Zugängen eine öffentliche Performance. In »Innenansichten« untersuchen Jugendliche die Produktionsprozesse von drei Inszenierungen der Spielzeit 2020/21, die zum thematischen Schwerpunkt »Antisemitis­mus/Rassismus« unterschiedliche inhaltliche Setzungen und künstlerische Zugänge bieten. Begleitet durch theaterpädagogische und künstlerische Coaches entwickeln sie eigene Perspektiven, die sie als performative Formate als Alternative zu klassischen Inszenierungsgesprächen zur Verfügung stellen.

Auf der Grundlage der beiden »Young & Expert«-Projekte wird ein_e Autor_in ein Stück erarbeiten, das in der Spielzeit 2021/22 als Klassenzimmerstück mit dem Studiojahr Schauspiel inszeniert wird.

»Rund oder spitz. Weltordnungen« ist ein Jugendtheaterprojekt, das Bertolt Brechts Text »Die Rund­köpfe und die Spitzköpfe oder Reich und reich gesellt sich gern« zur Grundlage hat. Ein in seinen Lebenserfahrungen und Perspektiven diverses Ensemble fragt nach Möglichkeiten für ein politisches Theater von Jugendlichen für alle.

Mit selbstgebauten Vollmasken begeben sich Jugendliche ab 14 Jahren in der Performance »Bunte Vögel« auf die Suche nach unterschiedlichen, sinnvollen und absurden, lockeren, unsichtbaren und überwindbaren Grenzen.

Im »Jugendclub« gibt es unterschiedliche Projekte und Programme für alle theaterbegeisterten Men­schen zwischen 14 und 25 Jahren: ob durch Gespräche mit Theaterschaffenden, offenen Schauspiel­trainings, Workshops, in verschiedenen Labs oder im Open Stage für eigene Performances. 

Studiojahr Schauspiel
2017 startete die Kooperation von Schauspiel Frankfurt und der Hochschule für Musik und Darstel­lende Kunst mit dem »Studiojahr Schauspiel«, um angehenden Schauspieler_innen eine praxisnahe Ausbildung zu ermöglichen. In dieser Spielzeit stehen neun junge Spieler_innen gemeinsam mit den erfahrenen Kolleg_innen des Schauspiel Frankfurt auf der Bühne und ergänzen den Spielplan des Schauspiel Frankfurt auch mit eigenen Formaten – den Klassenzimmerstücken – die jeweils in der Box Premiere feiern und von Schulklassen anschließend gebucht werden können.

In »Deutschland 2020. Ein Wintermärchen« unternimmt Regisseurin Regina Wenig auf Basis von Hei­nes Versepos eine theatrale Reise durch das Deutschland unserer Zeit, und das Stück »Dschabber« des kanadischen Autors Marcus Youssef stößt einfühlsam einen Diskurs über kulturelle Identität und Vorurteile an.

In den Kammerspielen entsteht mit »ODE« von Thomas Melle in der Regie von Anne Bader die En­sembleproduktion des »Studiojahr Schauspiel«.

Der Vorverkauf für September und die ersten Vorstellungen im Oktober startet am 7. September 2020. Der Vorverkauf für Oktober beginnt am 16. September 2020.

www.schauspielfrankfurt.de