Letzte Aktualisierung: 01.12.2023
Vor 200 Jahren gestorben: Goethes „Tante Melber“
von Ilse Romahn
(06.11.2023) Das prächtige Wohnhaus Zum Esslinger wurde als Teil der neuen Altstadt wiederaufgebaut. Auch der Johanna-Melber-Weg in Sachsenhausen erinnert noch heute an die lebenslustige Tante Melber.
Am 7. November 1823 – in diesem Jahr vor 200 Jahren – starb die warmherzige Frankfurterin Johanna Maria Melber (* 12. Februar 1734), die einem größeren Publikum als die „lebhafte und lustige“ Tante Melber von Johann Wolfgang von Goethe bekannt wurde (vgl. Dichtung und Wahrheit - I,1). Die ältere Schwester von Johanna, Catharina Elisabeth Textor, war die Mutter Goethes.
Johanna Melber heiratete Georg Adolf Melber im Jahr 1751 und bewohnte mir ihrer Familie das Haus Zum Esslinger am Hühnermarkt (zerstört am 22. März 1944, dem Todestag Goethes; wiederaufgebaut 2012 - 2018; im September 2019 eröffnete dort das Struwwelpeter-Museum). Am rekonstruierten Haus zum Esslinger befindet sich eine Gedenkinschrift mit einer Porträtplakette vom Bildhauer Alexander Kraumann (Nachguss, 2017).
Der Dichter und Denker, der Johanna Melber in seiner Autobiografie als lebhaft, warmherzig und kinder-freundlich beschrieb (sie war Mutter von 11 Kindern), pflegte eine freundliche Beziehung mit ihr bis ins hohe Alter. Während des Umbaus des väterlichen Hauses am Großen Hirschgraben im Jahre 1755 wohnte der junge Goethe zusammen mit seiner Schwester Cornelia zeitweise bei seiner geliebten Tante. An die Besuche im Haus zum Esslinger, das „mitten im lebhaftesten, gedrängtesten Teile der Stadt an dem Markte“ lag, erinnerte sich Goethe gerne: „Auch in ihrem Hause war um sie her alles bewegt, lebenslustig und munter, und wir Kinder sind ihr manche frohe Stunde schuldig geworden.“
Es war Frau Aja, die Mutter des berühmtesten Sohnes Frankfurts, die ihrem Neffen, Johann Georg David Melber, dem Sohn ihrer Schwester Johanna, das Medizinstudium ermöglichte. Schließlich wurde es jener Neffe und später in Frankfurt bedeutender Arzt – und nicht der geliebte Sohn Johann Wolfgang, der Frau Aja bis zur letzten Stunde ihres Lebens begleitete.
Sowohl das rekonstruierte Haus Esslinger als auch der Johanna-Melber-Weg und das Johanna-Melber-Haus (Pflegeheim im Quartierszentrum Bürgermeister-Gräf-Haus) in Sachsenhausen erinnern an die fürsorgliche, lebenslustige Frankfurterin evangelischen Glaubens.
Zum Gedenken an Johanna Melber: Goethe hat seiner Tante ein literarisches Denkmal in Dichtung und Wahrheit gesetzt. Und im Jahre 2023? Man erinnert sich daran, dass Tante Melber nach dem Tod ihres Mannes in Geldnot geriet; zum Glück half die ältere Schwester Catharina ihr und den unversorgten Kindern. Doch nicht jede Mutter, jedes Kind hat eine so wohlhabende Verwandte oder großzügige Freundin. So gesehen, würde man „Tante Melber“ anlässlich ihres Todestages ein sinnvolles „Denkmal“ setzen, indem man eine Spende an ein Mutter-Kind-Projekt in Frankfurt am Main machen würde. Vergelt´s Gott!
Brief von Johann Wolfgang von Goethe an Johann Georg Neuburg
Ew. Wohlgeboren haben mir vorlängst die Nachricht gefällig ertheilt, daß unsere gute Tante Melber nun auch von uns geschieden sey. Ihr heroisches Gemüth, das sie in keiner Lage verließ, hat ihr über manche rauhe Lebenspfade geholfen und sie auch zuletzt wieder unter günstigen Umständen getragen und erhalten. Man konnte sie unter die Personen rechnen, welche die Natur manchmal aufstellt, um zu zeigen, was für Vorzüge sie unter den einfachsten Bedingungen den Menschen zu gewähren vermag. Ich wünsche, daß unsere sämmtlichen werthen Familienglieder, besonders die lieben Ihrigen eines langen Lebens heiter genießen mögen ...
Mich auf's beste geneigtem Andenken empfehlend alles Gute wünschend, fortdauernde Theilnahme versichernd.
Weimar den 21. December 1823
Anm.: Dr. med. Johann Georg Neuburg war der Schwiegersohn von Johanna Melber. Neuburg wurde 1817 Mitbegründer der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft.