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Vitamin-A-Säure als Pille für den Mann?

Tests an Tieren waren erfolgreich

Verhütungsmittel für den Mann ohne unerwünschte ernste Nebenwirkungen sind jenseits von Kondomen bislang nicht vorhanden, während „die Pille“ für Frauen seit über 60 Jahren auf dem Markt ist. Doch ist die Forschung hier nun einen Schritt weiter? Nach erfolgreichen Tests an Tieren erprobt ein US-Unternehmen aktuell ein Mittel zur zeitlich begrenzten Hemmung der Spermienbildung in einer Phase-1-Studie. Bis zur Marktreife eines solchen Produktes dürfte es freilich noch Jahre dauern.

Nach erfolgreichen präklinischen Versuchen mit Retinsäure (Vitamin-A-Säure) zur Hemmung der Spermiogenese an Ratten, Hunden und nichtmenschlichen Primaten (Cynomolgus-Affen) läuft jetzt also die Phase 1 der Studien bei gesunden jungen Männern als „Pille für den Mann“. Deren Abschluss ist im Juni 2024 geplant. Im Medizinischen Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie hat jetzt Prof. Dr. med. Dr. h. c. Helmut Schatz, Bochum, Näheres dazu berichtet:

„Durch YCT-529, einen oralen Wirkstoff der Firma YourCoiceTherapeutics (YCT, ein 2018 gegründetes start-up-Unternehmen in Berkeley, Chief Scientific Officer Dr. Nadja Mannowetz) wird der Retinsäure-Rezeptor-alpha im Hodengewebe blockiert. Die  Sterilität setzt zwei bis vier Wochen nach Einnahmebeginn ein und war bei den Tierversuchen nach Absetzen von YCT-529 reversibel.

Erste umfangreichere Ergebnisse mit YCT-529 wurden auf der 47. Jahreskonferenz der American Society of Andrology in La Jolla, Kalifornien im Mai 2022 vorgestellt. Bereits am 23. März 2022 hatten Gunda Georg et al. von der University of Minnesota ihre Resultate auf der Jahrestagung der American Chemical Society auf einem Poster präsentiert: YCT-529 hatte sich bei männlichen Mäusen zu 99 Prozent als effektiv erwiesen. YCT-129 bindet mit etwa fünfhunderfach höherer Affinität an den Retinsäure-Rezeptor (RAR)-Subtyp-alpha als an RAR-beta und RAR-gamma; das Nebenwirkungsprofil war sehr günstig.

Schon sehr lange ist bekannt, dass Vitamin-A für die Spermienbildung nötig ist. Es wirkt über spezifische Rezeptoren, an welche der physiologische Metabolit all-trans-Retinsäure bindet. Bereits vor 4 Jahrzehnten fand man in Tierversuchen, dass durch eine Hemmung des unspezifischen Retinsäurerezeptors (RAR) durch niedrige Dosen des Pan-RAR-Inhibitors BMS eine reversible Infertilität ohne signifikante Toxizität erzielt werden konnte. Jetzt erfolgte die Weiterentwicklung zu einem RAR-alpha-selektiven Inhibitor, da dieser Rezeptor spezifisch im Hodengewebe exprimiert wird.

Ob bzw. wann YCT-529 als Pille für den Mann zugelassen und verfügbar sein wird ist offen. Gewiss nicht früher als in etlichen Jahren. Die Akzeptanz in unserer Bevölkerung ist auch abzuwarten: Eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov ergab bei Frauen in 76 Prozent eine positive Einstellung, bei Männern in insgesamt 63 Prozent. Allerdings war der Prozentsatz der Männer, die sich eine Einnahme grundsätzlich vorstellen können, wesentlich geringer: mit „ja“ antworteten nur 37 Prozent, mit „vielleicht“ 27 Prozent, während etwa jeder Fünfte (21 Prozent) die „Pille für den Mann“ nicht nehmen wollte.“