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Letzte Aktualisierung: 28.03.2024

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Versorgung mit medizinischem Cannabis gefährdet

Stadt Frankfurt kritisiert neue rechtliche Regelungen für die Verordnung von Medizinalcannabis

von Ilse Romahn

(08.02.2023) Mit Sorge betrachtet die Stadt Frankfurt am Main die geplanten Neuerungen bei der Verordnung von medizinischem Cannabis. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat Ende 2022 einen Entwurf zur Änderung der Arzneimittelrichtlinie vorgelegt. Darin werden zahlreiche neue Hürden für die Verordnung von Cannabis-Medikamenten vorgeschlagen, kritisiert Gesundheitsdezernent Stefan Majer:

Nur noch Fachärztinnen und Fachärzte sollen medizinisches Cannabis verschreiben dürfen. Blüten wären zukünftig gegenüber Extrakten und Fertigarzneimitteln auf Cannabis-Basis nachrangig. Weiterhin werden zusätzliche Dokumentationspflichten für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte empfohlen.

„Höhere Hürden beim Zugang zu medizinischem Cannabis setzen die Erfolge, die wir in den letzten Jahren erzielt haben, aufs Spiel“, stellt Gesundheitsdezernent Majer fest. „Hier geht es ausschließlich um medizinisches Cannabis und nicht um den Freizeitkonsum. Wir sprechen von schwerkranken Menschen, bei denen alle anderen Therapien ausgereizt sind. Zahlreiche Studien geben Hinweise darauf, dass medizinisches Cannabis bei den unterschiedlichsten Erkrankungen zu einer Verbesserung der Symptome und zu einer Steigerung der Lebensqualität führt.“ Bei einer Umsetzung der Vorschläge vom G-BA, warnt Majer, würde der Zugang zu Medizinalcannabis deutlich erschwert. „Dabei ist die Versorgungssituation schon heute unbefriedigend. Das Thema Cannabis zum Freizeitkonsum muss separat betrachtet werden“, fährt der Gesundheitsdezernent fort.

Hindernisreicher Weg zur Behandlung
Seit 2017 können die Kosten für eine Cannabis-Behandlung von den Krankenkassen übernommen werden. Das Drogenreferat der Stadt Frankfurt am Main hat seitdem mehrere wissenschaftliche Studien zur regionalen Versorgungslage veranlasst. Das zentrale Ergebnis: Der Weg zu einer Cannabis-Therapie gestaltet sich für viele Patientinnen und Patienten sehr hindernisreich.

Zunächst fällt es Betroffenen oft schwer, eine Ärztin oder einen Arzt zu finden. Teile der Ärzteschaft lehnen Medizinalcannabis generell ab. Anderen Ärztinnen und Ärzten fehlt das notwendige Wissen zu dem relativ neuen Thema. Viele scheuen auch den bürokratischen Aufwand oder sorgen sich vor möglichen Regressen.

Wenn eine Arztpraxis gefunden wurde, ist als nächster Schritt eine Genehmigung der Krankenkasse erforderlich. Rund 40 Prozent der Anträge werden abgelehnt. Aus den Studien des Drogenreferats lassen sich dafür keine medizinischen Gründe ablesen. In einer Befragung von Patientinnen und Patienten konnten keine Unterschiede hinsichtlich der Schwere der Erkrankungen oder der Symptomatik zwischen den Gruppen mit und ohne Kostenübernahme festgestellt werden.

Therapie auf eigene Rechnung oder Schwarzmarkt
Unter den Patientinnen und Patienten, die keine Kostenübernahme erhalten, bildet sich eine Art „Zweiklassensystem“: Wer es sich leisten kann, nutzt teure privatärztliche Anbieter. Die übrigen Personen setzen sich entweder den Risiken einer Selbstmedikation über den Schwarzmarkt aus oder verzichten auf eine erfolgversprechende Therapie zur Linderung ihrer Leiden.

Das Drogenreferat der Stadt Frankfurt am Main hat auf diesen unhaltbaren Zustand reagiert und eine Reihe von Maßnahmen ergriffen. Seit 2021 werden regelmäßig Fortbildungen für Ärztinnen und Ärzte zum Thema Medizinalcannabis veranstaltet. Das Angebot stößt auf großes Interesse, die Termine sind stets ausgebucht.

Weiterhin initiierte das Drogenreferat ein regionales Netzwerk von medizinischen und pharmazeutischen Fachkräften. Sie treffen sich regelmäßig, um sich über aktuelle fachliche Fragen auszutauschen. Weitere Informationen bieten eine eigene Website unter medizinisches-cannabis-frankfurt.de und ein zweimonatlich erscheinender Newsletter. Patientinnen und Patienten erhalten Beratung zu medizinischen und juristischen Fragen rund um medizinisches Cannabis in einer monatlichen Sprechstunde mit einem Arzt und einem Rechtsanwalt.

Kritik an Genehmigungsvorbehalt durch Krankenkassen
Mit vielen kleinen Schritten konnte so die Versorgungslage in Frankfurt am Main verbessert werden, sagt Gesundheitsdezernent Majer. „Durch die Änderungsvorschläge des G-BA droht diesen Bemühungen nun ein schwerer Rückschlag.“ Die Neuerungen sind zwar noch nicht beschlossen, aber ein Anhörungsverfahren mit Fach- und Interessensverbänden ist bereits beendet. Mit einer Entscheidung des G-BA ist in Kürze zu rechnen.

Für den Leiter des Drogenreferats, Dr. Artur Schroers, geht der Entwurf des G-BA in die völlig falsche Richtung: „Wir brauchen keine zusätzlichen Hürden für die Verschreibung von medizinischem Cannabis. Im Gegenteil: Wir sollten Hürden abbauen. Konkret wünsche ich mir die Abschaffung des Genehmigungsvorbehalts durch die Krankenkassen.“ Aus seiner Sicht sollte die Therapiehoheit bei medizinischem Cannabis ebenso wie bei anderen Behandlungsmethoden alleine bei den Ärztinnen und Ärzten liegen: „Das umständliche Antragsverfahren zur Kostenübernahme führt nur zu einer unnötigen Belastung aller Beteiligten: Patientinnen und Patienten, Ärztinnen und Ärzten, Krankenkassen und Gerichten.“ (ffm)