Letzte Aktualisierung: 07.10.2024
Verleihung des Johann Philipp von Bethmann-Studienpreises für Szenen bürgerlicher Festkultur
von Ilse Romahn
(28.05.2024) Mit dem Johann Philipp von Bethmann-Studienpreis 2023 hat die Frankfurter Historische Kommission Christina Vollmert-Boldt für ihr Dissertationsprojekt „Szenen bürgerlicher Festkultur. Theatrale Erfahrungsorte der Geschichte, nationaler Gemeinschaft und Technologie in Frankfurt a. M. um 1900“ ausgezeichnet. Ina Hartwig, Dezernentin für Kultur und Wissenschaft und Vertreterin des Magistrats in der Historischen Kommission, überreichte den 1984 gestifteten und mit 5000 Euro dotierten Preis zur Erforschung der Frankfurter Stadtgeschichte bei einer kleinen Feierstunde im Institut für Stadtgeschichte.
Die Gattin des Stifters, Bettina Freifrau von Bethmann, war bei der Preisverleihung anwesend.
„Die Preisträgerin widmet sich mit der Festkultur einem wichtigen Aspekt der Bürgertumsforschung, denn in seinen Festen zeigte sich das Bürgertum als kulturelle Gemeinschaft und stellte zugleich politische Öffentlichkeit her. Ihr methodisch innovativer Ansatz und die Qualität der Darstellung haben die Jury überzeugt“, sagte Hartwig im Namen der Jury, der neben ihr Prof. Marie-Luise Recker, Stadtrat Bernd Heidenreich und Evelyn Brockhoff angehörten.
Vollmert-Boldt entwirft in drei großen Fallstudien ein Panorama der Frankfurter Festkultur und fragt dabei weniger nach dem „Was“ als nach dem „Wie“ der Festlichkeiten. Ihr Fokus liegt auf der Inszenierung, den theatralen Strategien und performativen Praktiken des Frankfurter Bürgertums. In den Inszenierungen zeigte sich exemplarisch der Umgang mit den kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Modernisierungsprozessen im ausgehenden 19. Jahrhundert.
Im ersten Hauptkapitel nach der Einleitung widmet sich Vollmert-Boldt zunächst historischen Stadtfesten und Erinnerungsfeiern, in denen die Geschichte Frankfurts in Szene gesetzt sowie viel mehr der eigene Blick auf diese Geschichte arrangiert wurde. In aufwändigen Reenactments mit historischen Kostümen und mitunter fantasievollen Rekonstruktionen des alten Frankfurts wurde das Vergangene gefeiert und das eigene Geschichtsbewusstsein zur Schau gestellt.
Das zweite Kapitel geht auf die Inszenierung als Nation in Turn-, Sänger- und Schützenfesten um 1900 ein. In solchen Festen, so die Verfasserin, wurde für die Teilnehmer und Zuschauer nationale Gemeinschaft sinnlich erfahrbar und sie konnten sich als Teil eines aufwendig inszenierten Kollektiv-Körpers fühlen.
Im dritten Kapitel nimmt sie schließlich die für die Jahrhundertwende typischen Industrie- und Gewerbeausstellungen in den Blick und wählt dafür als Beispiele die internationale elektrotechnische Ausstellung 1891 und die internationale Luftschifffahrtsausstellung 1909, die beide in Frankfurt stattfanden. Vollmert-Boldt interessiert sich besonders für die Unterhaltungsangebote dieser Ausstellungen, in denen Technologie als Spektakel inszeniert wurde. Hier, so die Autorin, wurde den Besuchern der technologische Fortschritt und damit die Moderne erfahrbar und nachvollziehbar gemacht.
Die Quellengrundlage der Arbeit bildet ein umfangreicher Fundus mit rund 600 Objekten zu Frankfurter Festereignissen, der sich in der Theaterwissenschaftlichen Sammlung der Universität zu Köln befindet. Er umfasst Plakate, Programmhefte, Zeitungsausschnitte, Flugblätter, Lithografien und mehr und kann dem Frankfurtensien-Sammler Heinrich Stiebel (1851-1928) zugeordnet werden. Weitere zentrale Quellen der Arbeit sind Archivalien aus dem Institut für Stadtgeschichte Frankfurt wie Magistratsakten, Akten der Stadtverordnetenversammlung und die Personengeschichtliche und Ortgeschichtliche Sammlung des Instituts sowie zahlreiche Fotografien zu Festereignissen und Ausstellungen um die Jahrhundertwende. Materialen aus weiteren Archiven und zahlreiche ausgewertete Zeitschriften, Tageszeitungen und Wochenblätter ergänzen den Quellenkorpus.
Biographische Angaben zur Preisträgerin
Vollmert-Boldt ist Medienkultur- und Theaterwissenschaftlerin, Kunsthistorikerin und freie Kuratorin. Nach ihrer Ausbildung zur Gestaltungstechnischen Assistentin hat sie Medienkulturwissenschaft, Medieninformatik und Kunstgeschichte an der Universität zu Köln studiert und wurde hier im September 2023 promoviert. Derzeit vertritt sie die Juniorprofessur Kunst_Medien_Bildung am Department Kunst und Musik der Universität zu Köln. Sie forscht und lehrt an den Schnittstellen von Technik, Kunst- und Mediengeschichte des 19. Jahrhunderts sowie im Bereich aktueller Phänomene digitaler Bildkulturen.
Ihre Dissertation wird im Sommer im Metzler-Verlag unter dem Titel „Szenen bürgerlicher Festkultur. Theatrale Erfahrungsorte von Geschichte, Nation und Modernisierung um 1900 in Frankfurt am Main“ in der Verlagsreihe „Szene und Horizont“ erscheinen.
Frankfurter Historische Kommission und Bethmann-Studienpreis
Die Frankfurter Historische Kommission ist eine im Jahr 1906 vom Magistrat der Stadt Frankfurt am Main eingesetzte außerordentliche Magistratsdeputation. Sie wurde nach dem zweiten Weltkrieg durch einen Magistratsbeschluss vom 16. März 1948 wiedererrichtet und hat die Aufgabe, die systematische Erforschung der Frankfurter Stadtgeschichte durch Quelleneditionen und Publikation wissenschaftlicher Darstellungen zu fördern. Mit dem Johann Philipp von Bethmann-Studienpreis sollen junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefördert werden, die sich mit einer umfangreichen, längerfristigen Studienarbeit ausweisen, die geeignet ist, die wissenschaftliche Basis zur Erforschung der Frankfurter Geschichte zu erweitern. Vorsitzende der Frankfurter Historischen Kommission ist Prof. Marie-Luise Recker, den stellvertretenden Vorsitz hat Stadtrat Bernd Heidenreich inne und die Geschäftsführerin ist Evelyn Brockhoff. Vertreterin des Magistrats in der Historischen Kommission ist Ina Hartwig, Dezernentin für Kultur und Wissenschaft.
Weitere Informationen zur Frankfurter Historischen Kommission finden sich unter frankhistkom.de. (ffm)