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Letzte Aktualisierung: 19.04.2024

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Veranstaltungsbranche rüstet sich für Re-Start

Erkenntnisse des Gipfeltreffens zur Lage der Veranstaltungsbranche

von Ulrike Theis

(22.02.2021) Die Wiesbaden Congress & Marketing GmbH hatte zur ersten Stream-Conference im Rahmen der eigenen Fortbildungsreihe „Convention Wiesbaden Campus“ geladen. Mehr als 450 Teilnehmerinnen und Teilnehmer verfolgten jeweils an den zwei Veranstaltungstagen live vor den Bildschirmen ein inhaltlich breit gefächertes Programm in insgesamt 11 Themen-Panels.

Die Wiesbaden Congress & Marketing GmbH hatte über 35 hochkarätige Speaker aufgeboten, unter ihnen Li Edelkoort (Paris), eine der renommiertesten Zeitgeist-Analytikerinnen der Welt. Auf einem Scheitelpunkt der Pandemie ging es um Strategien für die Zukunft der Branche. Krisenreaktionen, Sicherheits- und Hygienekonzepte, digitale Perspektiven, Streamings und Studios wurden zwei Tage lang diskutiert, so u.a. mit dem Blick in die Zukunft von IAA und Buchmesse als wichtigen Leit-Veranstaltungen.

Dass alles so bleiben kann, wie es ist, glauben selbst die größten Optimisten nicht. Deshalb bestand großer Redebedarf und die Diskussion war erfrischend
offen: In den meisten Katastrophen, Krisen und Kriegen ist es die Kultur, die Kommunikation der Menschen untereinander und der Zusammenhalt, welche Mut und Zuversicht wieder sprudeln lassen. Veranstaltungshäuser, Kulturhallen, Konzertsäle, Messehallen, Kongresszentren, Museen und Theater sind stillgelegt, obwohl sie erfahrungsgemäß dazu beitragen, die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft zu sichern. Eines der großen Paradoxe dieser Krise. Die Wissensgesellschaft braucht Treffpunkte für den Ideenaustausch. Es braucht Kulturereignisse: Neues ausprobieren und kennen lernen, Erfahrungen teilen und das Beziehungsnetzwerk pflegen. Das ist kein lässlicher Luxus, sondern die Voraussetzung dafür, dass es insgesamt weitergehen kann.

Die komplett heruntergefahrene Veranstaltungsbranche ließ sich über Nacht ausschalten. Diesen Betrieb aber wieder hochzufahren, ist ein komplexes Projekt. Alle Termine sind durch die Verschiebungen ineinander verkeilt wie bei einem Crash. Viele Partner haben umdisponiert. Auflagen und Hygienekonzepte reduzieren die Chancen auf Refinanzierung durch Eintrittsgelder, kostenlose Streaming-Alternativen forcieren einen Preisverfall und fördern Konzentrationsprozesse. Das dicht gewebte Netzwerk reißt und bekommt täglich größere Löcher.


Die Zukunftsaussichten sind sehr gemischt. Für die einen ändert sich fast nichts bis auf die gereizte Stimmung ihnen und ihren ‚Privilegien’ gegenüber.
Für andere bricht eine Welt zusammen und sie müssen die Profession verlassen. Die meisten werden sich anpassen und ihr Heil darin suchen, digitale
Reichweiten mit der Faszination des Augenblicks am richtigen Ort zu verbinden. Wie geht es kurz- und mittelfristig weiter? Hat der gewonnen, der sich
zuerst bewegt? Derweil verschieben sich die Marktanteile und die Fähigkeiten, Standards zu setzen zwischen den Kontinenten und auch den Branchen.
Wer sich jetzt nicht um seine Kunden kümmert, wird erleben, dass es andere tun. Dadurch geraten gesetzte Selbstverständlichkeiten ins Rutschen und
müssen wieder von neuem aufgebaut werden. Wer will sich das antun? Auf diese Pandemie gibt es nicht nur eine Antwort, eine Wahrheit oder eine
Strategie, vielmehr braucht es die Bereitschaft, Scheuklappen abzulegen und das Eigene mit den Augen der anderen zu sehen. Nur so lässt sich das Denken
in Silos überwinden, in denen das Wissen und die Kreativität sortenrein verdichtet sind und zu wenig Platz haben, sich mit dem Wissen aus anderen Disziplinen zu mischen und zu gären und eine neue Normalität herzustellen. Die Krise ist eine Chance, Dinge zu tun, von denen man wusste, dass sie getan
werden müssen, die bisher immer wieder aus einer Vielzahl auch guter Gründe aufgeschoben worden sind.

In dieser aktuellen und sicherlich unübersichtlichen Situation wollte die Wiesbaden Congress & Marketing ein Zeichen setzen und hatte zu einer
Konferenz eingeladen. „Pfade in die Zukunft“ war das Thema eines Gipfeltreffens für die Veranstaltungsbranche, welches als Online
Live-Veranstaltung stattgefunden hat. Die Idee und Motivation hinter dem Gipfeltreffen ist offensichtlich: Gemeinsam über den Re-Start der Veranstaltungsbranche nachzudenken und voneinander zu lernen, wo sonst der Wettbewerb dominiert.

Es wird Zeit, Pfade in die Zukunft zu finden. Diese könnte vielleicht sogar besser werden, aber auf jeden Fall ist sie anders: Das  Gipfeltreffen war die erste Veranstaltung, die spartenübergreifend die Gemeinsamkeiten von Kulturschaffenden, Messe- und Bühnenbauern, Konzertagenturen und Kongressorganisatoren darstellte. Sie alle sind auf Resonanz und Aufmerksamkeit angewiesen, um weiter arbeiten zu können.

Über allem steht die Erkenntnis, dass die Pandemie-Krise eine Anpassung und Neuausrichtung der Veranstaltungsformate mit sich bringt. Die Attraktivität z.
B. von Kongressen wird künftig weniger von der Besucherzahl bestimmt sein als von Begegnungsmomenten und Begegnungstiefe der Teilnehmenden. Die
Terminfindung und Ausrichtung der Veranstaltung richtet sich zukünftig mehr nach den Bedürfnissen der Community. Standortfaktoren der Destinationen
und Kongresshäuser, wie Lage, Attraktivität oder Wohlfühlatmosphäre erleben eine Wiederbelebung, rücken in den Fokus, bieten einen merklichen Unterschied zum digitalen Treffen. An die Stelle der Effizienz wird die Effektivität treten, die Innovation, Inspiration und die Intensität der Erfahrung. Kreativität, Agilität und Flexibilität sind gefragt, wenn es um die Ausgestaltung digitaler Begegnungen geht. Innovative Veranstaltungsformate, die seit Jahren Frontalvorträge ablösen, werden noch mal neu definiert und müssen ins Digitale übertragen werden. Kongresse und Veranstaltungen werden auf unterschiedlichen Medien zeitgleich stattfinden, ja sogar parallel in unterschiedlichen Städten. So wird ein Kongress zentral in einer Stadt organisiert, die begleitenden Workshops oder Vorträge finden parallel an unterschiedlichen Standorten statt und werden dazu noch digital übertragen.

Die beteiligten Referenten sind sich einig: Die Digitalisierung kann den persönlichen Austausch nicht ersetzen, aber sie kann helfen, um miteinander in Kontakt zu bleiben – da, wo man sich einmal im Jahr auf Leitmessen begegnete, kommuniziert man zwischendurch in unterschiedlichen Medien, sozusagen
Crossmedial, miteinander. Es wird eine Co-Existenz geben: physische und digitale Interaktion wechseln sich ab und ergänzen sich gegenseitig. Für die Zeit
nach der Corona-Krise muss sich in der Veranstaltungsbranche ein neues Gleichgewicht aus persönlicher Präsenz und digitaler Distanz einstellen und
finden.

Stephan Grünewald, Psychologe, Gründer des Kölner rheingold-Institutes und Berater der Landesregierung NRW bilanzierte die Krise und ihre Stimmungswechsel. Er plädierte dafür, elastisch zu reagieren und meinte zum Lockdown-Fundamentalismus: „Der Lockdown darf nicht zum Knockdown werden.“ Deutschland dürfe nicht zu einem 'Land der Dichtmacher und Querdenker‘ werden. „Es braucht dringend wieder Treffpunkte und Anlässe, Ideen auszutauschen, um der Polarisierung der Gesellschaft entgegenzuwirken.“

Programmkurator Helmut M. Bien war hochzufrieden: „Wir hatten die Influencer der Branche im Stream und hoffen, dass die Veranstaltung als Anti-
Depressivum wirkt."