Das Online-Gesellschaftsmagazin aus Frankfurt am Main

Letzte Aktualisierung: 18.03.2025

Werbung
Werbung

Text & Spirit – Erleuchtungsgrafik im MAK

von Ralph Delhees

(13.03.2025) Mittelalterliche Handschriften zwischen Alltagspraxis, Luxus und Glaube - Eine Schnittstelle zwischen Stundenbüchern und Smartphones

Bildergalerie
Matthäus, Kapitel 16, das Beten als Anrufen zwischen sehen, sprechen und singen.
Foto: Ralph Delhees
***
Das verzierte Blatt mit dem Kruzifix ist einem Gebet in der vorösterlichen Zeit gewidmet
Foto: Ralph Delhees
***

Das Museum Angewandte Kunst hat sich in seinem reichen Fundus umgesehen und ist „auf eine Schatzkiste gestoßen“, wie es Direktor Prof. Matthias Wagner K beschrieb, die wissenschaftlich untersucht und digitalisiert wurde.  Dabei handelt sich, um den vollständigen Bestand spätmittelalterlicher illuminierter Handschriften, die erstmals im Museum in der Ausstellung „Text & Spirit.“, die gestern Abend eröffnet wurde, gezeigt werden. Die Ausstellung leistet eine Neupositionierung der mittelalterlichen Stundenbücher auf der Grundlage des 21. Jahrhunderts als digital-kommunizierendes Zeitalter. Es handelt sich um Bücher und Fragmente mit feinster Buchmalerei und dekorativer Ausstattung aus Gold, Lapislazuli oder Purpur.

Was können wir heute mit den Stundenbüchern aus dem Mittelalter anfangen? Text & Spirit beleuchtet verschiedene Schnittstellen zwischen damals und heute und dringt zum Vergleich zwischen den früheren Stundenbüchern mit den heutigen Smartphones vor. Es geht um die Wirkung beider Lebensbegleiter, die sowohl Kommunikationsmedien als auch Prestigeobjekte sind. Ihre Rolle steigert sich bis zu modisch-performativen Accessoires. Dabei besticht besonders die Tatsache, dass die Benutzung beider Medien dazu führt, sich aus dem unmittelbaren Hier und Jetzt gedanklich zu lösen, um sich im Geiste einzukapseln. Die Ausstellung, die bis zum 22. Juni 2025 zu sehen ist, leistet damit eine Neupositionierung der mittelalterlichen Stundenbücher auf der Grundlage des 21. Jahrhunderts als digital-kommunizierendes Zeitalter.

Digitalisierungsprojekt der Stadt Frankfurt
Im Rahmen eines Digitalisierungsprojekts des Dezernats für Kultur und Wissenschaft der Stadt Frankfurt ist die Ausstellung entstanden. Das Museum Angewandte Kunst (MAK) hat für das Digitalisierungsprojekt aus seiner Sammlung solche Kunstwerke ausgewählt, die aufgrund ihrer Empfindlichkeit sowie außergewöhnlicher Kostbarkeit bisher selten oder noch nie ausgestellt und erforscht worden sind: christliche Gebetsbücher des Spätmittelalters in der Eigenschaft von Psaltern, Brevieren und Stundenbüchern als illuminierte Handschriften.

Die Handschriften als wertvollster Museumsbestand wurden in Gänze gescannt, mit dem Ziel, sie in Gestalt von Büchern und Buchfragmenten (cuttings) auf der digitalen Museumsplattform Sammlung digital öffentlich verfügbar zu machen. Sie werden in der Ausstellung in ihrer christlichen Erleuchtungsästhetik aus Schrift, Malerei sowie kostbarem Materialaufwand aus Pergament und Gold im Original vorgestellt.

Begleitende Fragestellungen zu Alltagsritualen, Wertmaßstäben, Mode, Kunst, Restaurierung oder Religion setzen eine Auseinandersetzung mit diesen Buchwerken und ihrer Epoche frei. Die Handschriften wurden in Gänze gescannt, was sehr anschaulich in der Pressekonferenz die Kuration der Ausstellung Dr. Eva Linhart (Leiterin der Abteilung Buchkunst und Grafik des MaK) darstellte, mit dem Ziel, sie in Gestalt von Büchern und Buchfragmenten (cuttings) auf einer digitalen Museumsplattform öffentlich verfügbar zu machen.

Der Museumsbestand besteht aus bürgerlichen Privatsammlungen
Die Ausstellung ist für eine spätere selbständige Beschäftigung mit dem Thema entlang der Digitalisate mit begleitenden Videointerviews und vertiefendem Literaturangebot angelegt. Sie ist der Anlass, diesen wichtigen Museumsbestand der Öffentlichkeit zum Kennenlernen und zum Forschen zu übergeben.

Diese kamen aus den bürgerlichen Privatsammlungen der Brüder Michael (1830-1892) und Albert Linel (1833–1916) sowie Wilhelm Peter Metzler (1818–1904) an das Museum. Dabei handelt es sich um Textgestaltungen auf Pergament in Buchform, die im Rahmen christlicher Gebetspraxis aufwendig und kunstvoll ausgestattet worden sind.

Fragen und Auseinandersetzungen
Begleitende Fragestellungen zu Alltagsritualen, Wertmaßstäben, Mode, Kunst, Restaurierung oder Religion setzen eine Auseinandersetzung mit diesen Buchwerken und ihrer Epoche frei. Für eine spätere selbständige Beschäftigung mit dem Thema ist die Ausstellung entlang der Digitalisate mit begleitenden Videointerviews und vertiefendem Literaturangebot angelegt. Sie ist der Anlass, diesen wichtigen Museumsbestand der Öffentlichkeit zum Kennenlernen und zum Forschen zu übergeben.

Erleuchtungsgrafik – Stundenbücher damals
Bei illuminierten Handschriften geht es weniger um die Bilder im Buch als vielmehr um die Bildlichkeit des Buches. In der Logik ihrer Benutzung bilden alle Elemente aus Schrift, Initialen, Miniaturen und Ornamentik ein Ganzes. Alle Formen unterstehen der medialen Strategie des Übergangs, dessen Ziel es ist, sich im Diesseits des göttlichen Jenseits zuzuwenden und sich spirituell aus den Niederungen von Hier und Jetzt zur himmlischen Sphäre zu erheben. Nach dem Prinzip einer Stufenleiter setzt so ein transzendierender Prozess von Element zu Element ein. So erklärt sich auch, warum die Bilder in den Stundenbüchern nicht den Text bebildern oder seine Narrative illustrieren. Der Bezug von textlichen und bildlichen Ausdrucksformen zueinander ist nach dem Prinzip einer Frage – und Antwortspiels als Begegnung von Vorbild und Gegenbild organisiert.

Die Bücher sind Lebensbegleiter und Strukturieren
Sie stehen zugleich für eine Tradition, bei der Bücher weniger der Informationsvermittlung, sondern über den Prozess des Sich-Einfühlens die Rolle eines Mediums für eine spirituelle Lebensgestaltung übernehmen. Als Lebensbegleiter strukturierten sie den Tag, die Woche, das Jahr sowie das ganze Leben. In dem Maße, wie das Christentum eine Buchreligion ist, geschieht die Vermittlung der Heilsbotschaft über das Wort: In Form von Gebetstexten wurde es mittels Grafik und Malerei zum Leuchten gebracht, um im Gegenzug die Menschheit zu erleuchten. Die Benutzung der illuminierten Gebetbücher schließt das

Sehen als Lesen, das Lesen als Sprechen, das Sprechen als Singen oder den Gesang als ein das Diesseits übersteigendes Form- und Farbenspiel ein. In dieser Hinsicht entfalten sich die illuminierten Handschriften als Medien von performativer Qualität.

Der Begriff Erleuchtungsgrafik sucht nach einem Ausgleich zwischen Malerei und Grafik sowie zwischen freier und angewandter Kunst. Die Ornamente und grafischen Stilisierungen der illuminierten Handschriften sind keine Beiwerke zur Malerei als Hauptwerk. Vielmehr sind alle Gestaltungselemente für die Buchwirkung und ihre Medialität wesentlich. Gemeinsam teilen sie das Ziel, das Diesseits spirituell zu übersteigen. Die Frage, welche sinnlich-spirituelle Rolle die jeweiligen Elemente beim Beten übernehmen, ist für die Rezeption illuminierter Handschriften entscheidend.

Neupositionierung Heute
Was aber kann man heute mit diesen Büchern anfangen? Welche damals entwickelten Lebensstrategien wirken bis in die Jetztzeit nach – auch jenseits christlicher Glaubenspraxis? Welche Anregungen lassen sich aus diesem Sammlungsbestand für die gegenwärtige digital-interaktive und zunehmend emotionalisierte Medialität gewinnen? Und inwiefern ergeben sich Schnittstellen zwischen den damaligen Stundenbüchern zu den heutigen Smartphones?

Die Ausstellung Text und Spirit ist bis zum 22. Juni 2025 im Museum Angewandte Kunst, Frankfurt, Schaumainkai 17, von Di, Do–So 10–18 Uhr, Mi 10–20 Uhr geöffnet.  Katalog 20 Euro. Mehr unter info.angewandte-kunst@stadt-frankfurt.de: www.museumangewandtekunst.de