Letzte Aktualisierung: 11.12.2024
Sportkreis startet Bewegungs-Offensive
Sport muss sich in der Stadtplanung stärker etablieren
von Ilse Romahn
(30.09.2021) Der Sportkreis Frankfurt übernimmt eine führende Rolle, um Frankfurt zur bewegungsfreundlichsten Stadt Europas zu machen. Schon vor der Pandemie bewegten sich zu viele Menschen nicht ausreichend. Die Monate der Restriktionen haben die Lage zugespitzt. „Die Europäische Woche des Sports“, die bis Donnerstag (30. September) unter dem Motto „#BeActive Frankfurt“ ihre siebte Auflage erlebt, bringt die Menschen der Stadt und der Region in Aktion.
Doch der Sportkreis mit seinem Vorsitzenden Roland Frischkorn will mehr – nämlich übergreifend Strategien entwickeln, wie Sport als Standortfaktor zur Lebensqualität der Großstadt Frankfurt beitragen sowie seine gesellschaftlichen und sozialen Werte und auch die wirtschaftliche Bedeutung stärker herausstellen kann.
Dazu hat am Dienstag im Skyline Studio von Radio Frankfurt eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion stattgefunden, bei der sich Experten aus Politik, Stadtplanung, Umwelt- und Naturschutz sowie Sport intensiv ausgetauscht haben. Ein Fazit lautet: Sportentwicklung braucht eine mutige Vision, eine langfristige Strategie und hohe Ziele. Dabei muss der Sport gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen einerseits seine Ansprüche qualifiziert begründen, andererseits muss er seine Bedeutung für Gesellschaft und Wirtschaft selbstbewusst darstellen. Als wichtiger Teil der Stadtentwicklung muss sich der Sport in Abstimmung mit allen Stakeholdern begeben, die ebenfalls berechtigte Ansprüche auf den öffentlichen Raums erheben. Interessenausgleich statt Konkurrenzsituationen, lautet eine Formel. Teilnehmer der von Roland Frischkorn moderierten Runde waren: Christoph Holstein, Staatsrat der Behörde Inneres und Sport der Freien und Hansestadt Hamburg; Mike Josef, Sport- und Planungsdezernent Stadt Frankfurt; Jens-Uwe Münker, Leiter der Abteilung Sport im Hessischen Ministerium des Innern und für Sport; Andreas Klages, Hauptgeschäftsführer des Landessportbundes Hessen; Stefan Klos, Stadtplaner und Geschäftsführer PROPROJEKT; Vanessa Nord, Expertin für Nachhaltigen Sport; Dorothée Hock, Geschäftsführerin Büro Sichtfeld Landschaftsarchitektur und Lehrbeauftragte Universität Kassel.
Christoph Holstein stellte zum Auftakt als Best Practice-Beispiel den „Masterplan Active City Hamburg“ vor. Nachdem die Olympiabewerbung Hamburgs um die Olympischen und Paralympischen Spiele 2024 im November 2015 an einem Bürgerentscheid gescheitert war, wurde in der Freien und Hansestadt Hamburg der Wunsch laut, die Ideen, die im Rahmen der Olympiabewerbung angedacht worden waren, auszuwerten und geeignete Projekte für die Stadt weiterzuentwickeln.
PROPROJEKT aus Frankfurt wurde gemeinsam mit dem bekannten Architekturbüro AS+P von der Senatskanzlei beauftragt, die Projektideen für den Bereich Sport zu einem integrierten Planungskonzept zusammenzuführen. In enger Zusammenarbeit mit einer Vielzahl Hamburger Akteure wurde der Masterplan Active City entworfen. Er soll zum neuen sportpolitischen Leitbild Hamburgs werden und Hamburg zu einer Stadt formen, in der die Menschen sportbegeistert und aktiv sind. Der Ausbau von Sportstätten und Bewegungsräumen für Schul- und Vereinssport, Sport im öffentlichen Raum, Sport für Alle, Nachwuchsleistungssport und Spitzensport steht dabei im Fokus.
„Die Gestaltung des öffentlichen Raums bestimmt auch die empfundene Lebensqualität. Wir wollen mit dem Sport eine Strategie bieten für gute Stadtentwicklung und auch Wohnungsbau“, sagte Staatsrat Holstein. Dabei betonte er die Parallelen zwischen Hamburg und anderen Großstädten wie Frankfurt. „Wir haben in der Pandemie gesehen, wie die Menschen den öffentlichen Raum erobert haben, jetzt muss die Sportinfrastruktur nachziehen.“ Holstein wies auch darauf hin, dass etwa bei der Entwicklung der Hafen-City der Sport keine Rolle gespielt habe und dort nun Strukturen fehlten und nachträglich nicht mehr geschaffen werden könnten. Roland Frischkorn kommentierte: „Grundsätzlich muss man den Sport von Anfang an mitdenken.“ Und Planer Klos ergänzte: „Das Lebensgefühl in Städten, die in Rankings regelmäßig als besonders lebenswert an der Spitze stehen, wird bestimmt durch die Möglichkeit der Nutzung des öffentlichen Raums.“ In Frankfurt sei es verboten, kommerziellen Sport in Grünanlagen und Parks anzubieten, bei Verstößen drohten Bußgelder. In anderen Städten der Welt gebe es Konzepte, so Klos, wie nachhaltig und rücksichtsvoll die verschiedensten Interessen zusammengeführt werden könnten. Flächen müssten für Sport auch nicht weiter versiegelt werden.
PROPROJEKT unterstützt als Partner das Team D, den Deutschen Behinderten-Sportverband und die Deutsche Sport Marketing. Die Planer sehen sich nicht nur als externer Berater für eine begrenzte Projektlaufzeit, sondern vielmehr als strategischer Langzeitpartner. Es geht dabei um die Vernetzung von klassischem Fachwissen des Planungs- und Bauwesens mit internationalen Erfahrungen in der Sport- und Eventplanung. Beispiele sind die erfolgreichen deutschen Bewerbungen um die Special Olympics 2023 in Berlin und die Fußball-EM 2024, die PROPROJEKT maßgeblich begleitet hat. Frankfurt biete mit der Skyline und dem Main eine einzigartige Kulisse für Bewohner und Besucher, so Geschäftsführer Klos. „Die „Stadt als Stadion“ zwischen Offenbach im Osten und Griesheim im Westen mit entsprechender Ausgestaltung (bis hin zur abendlichen Beleuchtung, um die Sicherheit zu erhöhen) haben die Frankfurter Planer schon entworfen.
Der neue Frankfurter Sportdezernent Mike Josef sieht die Chance zu Lehren aus Corona: Mehr Sport im öffentlichen Raum sei möglich und nötig. „Es ist klug und sinnvoll, Sport und Stadtplanung zusammenzubringen“, sagte Josef, der auch Planungsdezernent der Stadt ist. „Wir brauchen strategische Leitbilder, nicht nur punktuelle Maßnahmen. Sport muss sich in Innenstädten wieder etablieren.“ Frankfurt am Main hat gerade Bilanz ziehen können, was der 2010 initiierte Sportentwicklungsplan in einem Jahrzehnt bewirkt hat: Die Vereine haben viele Mitglieder gewinnen können. Gab es 2010 knapp 155.000 Sportvereinsmitgliedschaften, so zählten die Vereine kurz vor der Corona-Pandemie über 262.000 Mitgliedschaften. Für Dezernent Josef besonders wichtig: Von Mädchen und Jungen zwischen sieben und 14 Jahren sind drei Viertel in Sportvereinen aktiv. Für diese Entwicklung sind rund 250 Millionen Euro in Sportstätten und Bäder investiert worden. Josef sagte, er stehe für Lösungen, nicht für die Suche nach Problemen.
Roland Frischkorn sagte: „Beim Zeitplan für unser Ziel, bewegungsfreundlichste Stadt Europas zu werden, würde ich von minimal fünf und maximal zehn Jahren ausgehen. Ich sage das auch deshalb, weil wir jetzt die glückliche Situation haben, und das einmalig in der Bundesrepublik, dass der Sportdezernent zugleich der Planungsdezernent ist. Darauf ruhen unsere Hoffnungen, weil damit Sport einen ganz anderen Stellenwert in den Planungsprozessen bekommt. Und das Wichtigste ist, dass die unterschiedlichen Dezernate, ob für Grünflächen, für Sportanlagen, für den öffentlichen Personennahverkehr, ihre Planungen bündeln und damit eine andere Verkehrsplanungs- und Flächenplanungspolitik hinbekommen. Es muss der erste Schritt sein, dass die verschiedenen Dezernate noch besser zusammenarbeiten.“
Jens-Uwe Münker sagte als Vertreter des Landes Hessen, dass Sportförderung „weiter gedacht“ werden müsse. „Das Landesprogramm ‚Sportland Hessen bewegt‘ ist ressortübergreifend, Städtebau, Umwelt, Kultur und Sport stehen nebeneinander.“ Das Hessische Ministerium des Innern und für Sport und der Landessportbund Hessen sehen im Themenfeld „Sport und Gesundheit“ einen Schwerpunkt der nächsten Jahre. Insbesondere sollen das öffentliche Bewusstsein geschärft, die Angebotsstrukturen ausgebaut, die Qualität der Angebote kontinuierlich verbessert, sowie ein Beitrag der Vernetzung vieler gesundheitsfördernder Bemühungen in Hessen geleistet werden. Auch Andreas Klages vom Landessportbund Hessen bekräftigte, dass der Sport gestützt von mehreren Ressorts am besten zu einer positiven Stadtentwicklung beitragen könne, wie es in Hamburg positiv vorgelebt würde.
Für Vanessa Nord und Dorothée Hock als Expertinnen für Nachhaltigkeit, Klima- und Umweltfragen ist es wichtig, den „Nutzungsdruck“ auf öffentliche Flächen klug zu kanalisieren und zu moderieren. „Nachhaltigkeit heißt im Übrigen nicht nur, Umweltthemen zu berücksichtigen, es geht auch um soziale Themen“, sagte Vanessa Nord. „Die Flächen in Städten sind begrenzt, auch potenzielle Sportflächen. Daraus ergeben sich Nutzungskonflikte, die gerade im Pandemiejahr in Frankfurter Parks und am Main sichtbar geworden sind.“ Dorothée Hock meinte: „Grünflächen müssen den Menschen auch Raum und Ruhe bieten.“ Zugleich bestärkte sie Politik und Sport, Konzepte für Sport im öffentlichen Raum zu entwickeln und forderte dafür: „Sport in der Innenstadt muss für jede und jeden kostenfrei sein.“
Der Sportkreis Frankfurt e.V. ist die Dachorganisation der Frankfurter Turn- und Sportvereine und dem Landessportbund Hessen angeschlossen. Er vertritt die Interessen der rund 420 Frankfurter Turn- und Sportvereine mit über 252.000 Sportlerinnen und Sportlern nach innen und außen. Dabei unterstützt er die Vereine zum Beispiel bei Zuschüssen, Öffentlichkeitsarbeit, Mitgliedergewinnung und Weiterentwicklung von Sportangeboten.