Letzte Aktualisierung: 31.03.2023
Sicherheitsreport 2023 - die Ängste der Deutschen
von Helmut Poppe
(13.03.2023) Die Deutschen haben zu Jahresbeginn 2023 vor allem Angst vor Inflation und Krieg. Das zeigt der aktuelle Sicherheitsreport. Ruf nach mehr Staat zum Schutz vor Inflation, gesellschaftlicher Spaltung und Gewaltverbrechen.
Der Report basiert auf einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage, die seit 2011 jährlich vom Centrum für Strategie und Höhere Führung und dem Institut für Demoskopie durchgeführt wird. 86 Prozent der Bundesbürger machen die Preissteigerungen durch Inflation große Sorgen, 85 Prozent sind über den Krieg in der Ukraine sehr besorgt. In diesem Zusammenhang ist die Sorge steil angestiegen, dass Deutschland in militärische Konflikte hineingezogen wird. Dies fürchten 63 Prozent; vor einem Jahr waren es erst 37 Prozent.
Auch andere Entwicklungen beunruhigen die Bevölkerung zunehmend. Das gilt für die immer unberechenbarere Lage in Europa und der Welt, für einen erneuten Flüchtlingsandrang nach Europa, aber auch für die Sorge über die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems. Auch in Bezug auf die politische Stabilität in Deutschland und die Handlungsstärke der Regierung sind die Bürger heute stärker beunruhigt als vor einem Jahr. Abgeschwächt haben sich hingegen die Ängste im Zusammenhang mit der Pandemie, der Stabilität des Rentensystems und in Bezug auf Cyber-Risiken.
Nur begrenzte Akzeptanz der Bündnispflichten
Das Bedrohungsgefühl in Bezug auf militärische Risiken ist steil angestiegen. Im Jahr 2021 fühlten sich lediglich 10 Prozent der Bevölkerung durch Krieg und militärische Auseinandersetzungen, in die Deutschland verwickelt ist, persönlich bedroht, ein Jahr später waren es bereits 21 Prozent, Anfang des Jahres 2023 sind es nun 47 Prozent. Eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung hält die NATO grundsätzlich für wichtig und unterstützt die Mitgliedschaft Deutschlands in der NATO. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Mehrheit auch die Bündnispflichten akzeptiert, die aus dieser Mitgliedschaft resultieren. So befürworten nur 45 Prozent der Deutschen die Beteiligung Deutschlands an einem Militäreinsatz zur Verteidigung eines anderen NATO-Staates. 35 Prozent der Bevölkerung votieren klar dafür, dass Deutschland sich in diesem Fall heraushält, weitere 20 Prozent sind unentschieden.
„Dass es unter den Deutschen kein klares Bekenntnis zu den Bündnisverpflichtungen in der NATO gibt, ist erschreckend. Die NATO-Partner, vor allem im Osten, werden mit Sorge und Unverständnis auf diese unsolidarische Haltung in der deutschen Bevölkerung blicken und von der deutschen Politik hier ein klares Bekenntnis einfordern“, betont der Mitherausgeber der Studie Professor Klaus Schweinsberg vom Centrum für Strategie und Höhere Führung. Noch zurückhaltender geben sich die Deutschen bei der Frage, ob Deutschland seinen NATO-Verpflichtungen nachkommen soll, wenn Russland die baltischen Staaten angreifen sollte. In diesem Fall votieren gerade mal 40 Prozent der Bevölkerung dafür, sich an der Verteidigung zu beteiligen, annähernd ebenso viele votieren dafür. sich aus einem solchen Konflikt herauszuhalten. Der Krieg in der Ukraine hat zwar die Unterstützung für eine Beteiligung Deutschlands erhöht, aber nur eng begrenzt.
Deutliche Unterschiede gibt es auch hier zwischen West- und Ostdeutschland: Während die Hälfte der westdeutschen Bevölkerung eine Beteiligung des Landes an der Verteidigung eines anderen NATO-Mitgliedstaates befürwortet, gilt dies in Ostdeutschland nur für 30 Prozent. In Ostdeutschland überwiegt mit Abstand das Votum, sich auch bei Angriffen auf andere NATO-Mitgliedsländer aus den kriegerischen Auseinandersetzungen herauszuhalten. Die Sorge, dass im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg von Russland Atomwaffen eingesetzt werden könnten, ist in den letzten Monaten zurückgegangen. Noch im Oktober 2022 hielten 45 Prozent dieses Risiko für eher hoch oder sehr hoch, aktuell noch 34 Prozent.
Russland und China größte Gefährder des Friedens
Als Friedensgefährder wird zurzeit vor allem Russland gesehen, mit einigem Abstand gefolgt von China und Nordkorea. 82 Prozent der Bevölkerung sehen Russland als das Land, von dem in den nächsten Jahren die größte Bedrohung für den Weltfrieden ausgeht; 60 Prozent fällen dieses Urteil auch in Bezug auf China, 52 Prozent in Bezug auf Nordkorea. Die Einschätzung von Russland hat sich in den letzten zwei Jahren völlig verändert. Noch vor zwei Jahren rechneten lediglich 32 Prozent der Bevölkerung Russland zu den Ländern, von denen große Risiken ausgehen, Anfang 2022 waren es 66 Prozent, aktuell 82 Prozent.
Die USA gelten als verlässlicher Bündnispartner – aber viel Skepsis in Ostdeutschland
Völlig anders ist die Entwicklung dagegen bei der Bewertung der USA: Während der Amtszeit von Donald Trump stieg der Anteil der deutschen Bevölkerung, der die USA zu den größten Friedensgefährdern rechnete, bis auf 61 Prozent an. Derzeit sehen das nur noch 23 Prozent der Deutschen so. Anders als noch vor drei Jahren werden die Vereinigten Staaten heute auch überwiegend als verlässlicher Bündnispartner gesehen. 2020 waren davon lediglich 21 Prozent der Bevölkerung in Deutschland überzeugt, aktuell 46 Prozent. Zweifel, ob die USA ein verlässlicher Partner sind, sind im selben Zeitraum von 53 auf 27 Prozent zurückgegangen. Dabei gibt es nach wie vor gravierende Unterschiede in den Sichtweisen in West- und Ostdeutschland: Während 50 Prozent der Westdeutschen die USA als verlässlichen Partner einstufen, stimmen hier nur 26 Prozent der Ostdeutschen zu. In Ostdeutschland überwiegt die Einschätzung, dass die Vereinigten Staaten kein verlässlicher Partner sind. Generell werden die USA wie auch das westliche Verteidigungsbündnis in Ostdeutschland kritischer gesehen als im Westen, umgekehrt Russland und auch China positiver.
Große Mehrheit für Investitionen in Verteidigungsfähigkeit
Die Diskussion über die Ausstattung der Bundeswehr und die Verteidigungsfähigkeit des Landes hatten in den letzten Jahrzehnten nicht nur in der Politik, sondern auch in der breiten Bevölkerung einen untergeordneten Stellenwert. Dies hat sich durch den Ukraine-Krieg grundlegend verändert. Heute fordert die große Mehrheit der Bevölkerung, dass der Staat hier auf jeden Fall mehr investieren sollte: 2017 wurde diese Forderung lediglich von 44 Prozent der Bundesbürger unterstützt, Anfang des Jahres 2023 ist die Unterstützung auf einen Rekordwert von 67 Prozent der Bevölkerung gestiegen. Immerhin die Hälfte der Bevölkerung hat auch Zutrauen, dass die Bundeswehr in den nächsten Jahren deutlich besser ausgerüstet und gestärkt wird; 33 Prozent der Bevölkerung sind hier skeptisch. Allerdings haben nur 14 Prozent den Eindruck, dass es bereits erste Fortschritte gab.
„Erstmals seit vielen Jahrzehnten erwarten die Deutschen vom Staat, dass er mehr in Sachen Bundeswehr und Verteidigungsfähigkeit tut. Und offenbar glauben sie auch, dass es Bundeskanzler Scholz mit seinen 100 Milliarden ernst meint. Was sie aber vermissen: dass endlich auch konkret und sichtbar wird, was bei der Truppe ankommt,“ sagt Professor Klaus Schweinsberg.
Deutlicher Anstieg wirtschaftlicher Ängste
Wirtschaftliche Ängste haben in den letzten 12 Monaten deutlich zugenommen. Das gilt insbesondere für die Inflation, Sorgen vor Einkommenseinbußen und begrenzt auch Altersarmut; so hat die Sorge vor Einkommenseinbußen innerhalb von 12 Monaten von 34 auf 46 Prozent zugenommen, der Anteil, der sich durch die Geldentwertung bedroht fühlt, von 51 auf 67 Prozent. Dagegen sind Sorgen vor Arbeitslosigkeit aufgrund des robusten Arbeitsmarktes nach wie vor auf einem ungewöhnlich niedrigen Niveau. Lediglich 14 Prozent der Bevölkerung fühlen sich persönlich durch Arbeitslosigkeit bedroht. Vor zehn Jahren lag dieser Anteil bei 25 Prozent, nach dem ersten Pandemiejahr bei 18 Prozent. „Die Zusammenballung von Krisen hat sich auf den Arbeitsmarkt bemerkenswert wenig ausgewirkt. Dies ist für die Stimmungslage der Bevölkerung von größter Bedeutung“, sagt Professor Dr. Renate Köcher.
Wenig Sorgen über Cyber-Risiken
Die Pandemie spielt in den Ängsten der Bevölkerung nur noch am Rande eine Rolle. Vor einem Jahr fühlten sich noch 30 Prozent der Bevölkerung durch die mögliche Ansteckung mit Corona akut bedroht, aktuell nur noch 16 Prozent. Auch das Risiko, dass es zu einer neuen weltweiten Pandemie kommen könnte, empfindet nur rund ein Fünftel persönlich als Bedrohung. Noch weniger fürchtet die Bevölkerung Datenmissbrauch, Überwachung oder Computerviren. Die große Mehrheit misst Cyber-Risiken durchaus große Bedeutung bei, empfindet sie aber nicht als persönliches Risiko.
Ruf nach mehr Staat zum Schutz vor Risiken
Generell wünscht sich die Mehrheit der Bevölkerung in vielen Feldern verstärktes staatliches Engagement, das gilt insbesondere für - die Rückgewinnung von Geldwertstabilität, - die Bekämpfung gesellschaftlicher Spaltungstendenzen, - Gewaltverbrechen, - die Eindämmung von Cyber-Risiken und der Schutz vor Überwachung durch andere Staaten und - die Sicherung der Energieversorgung. In Bezug auf Gewaltverbrechen und die Bekämpfung von Eigentumsdelikten haben sich Forderungen nach vermehrtem staatlichem Engagement verstärkt, in Bezug auf die Eindämmung von Pandemierisiken gravierend abgeschwächt. (GLH)