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Letzte Aktualisierung: 19.04.2024

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Schauspiel mit neuen Zielsetzungen in 2021/22

Pandemie stellt neue Herausforderungen

von Karl-Heinz Stier

(21.05.2021) Zuversichtlich sieht das Schauspiel Frankfurt einer Öffnung für die Zuschauer und Zuschauerinnen entgegen. Sie möchte zum einen die offene Gesellschaft verteidigen. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit Antise­mitismus und Rassismus wie schon in der Spielzeit davor.

Eine weitere Grundsäule des Spielplans betrifft einen anderen gesellschaftspolitischen Aspekt, den die Pandemie verschärft hat: Es geht um Prozesse von Beteiligung und Teilhabe. Die digitale Kom­munikation während des letzten Jahres hat einige Menschen vernetzt und andere abgehängt. Oft scheitert ein produktiver Austausch im Netz oder der Diskurs mündet in radikaler Ausgrenzung.

Welche Funktion  Theater in diesen Zeiten übernehmen soll, sieht Intendant und Geschäftsführer Anselm Weber so: „Theater können dieses System von außen im Innern befragen, umspielen oder einfach am grundsätzlich Menschlichen rütteln. Im (Theater-) Spiel können Menschen Welten erträumen. Sie können Bekanntes fallen lassen und Unbekanntes improvisierend erkunden“. Es sei ein Teilen von Erfahrungen, von Erinnerungen und Perspektiven – von Dingen, die durch das Teilen nicht weniger, sondern mehr werden. Man müsse Erfahrungen teilen, möglichst bald wieder Er­lebnisse, Teilhabe möglich  machen und Teile der Gegenwart immer wieder neu betrachten. Das Span­nungsfeld zwischen Privatem und der Öffentlichkeit bzw. dem Privaten, das politisch geworden ist, und das sich je nach ökonomischer, familiärer und beruflicher Situation individuell gestaltet, ist ein weiterer wesentlicher Bestandteil des Spielplans. In der Spielzeit 2021/22 werden von 13 Frauen, 8 Männern und einem Team insgesamt 22 Premieren gezeigt, davon sechs Uraufführungen und eine Deutschsprachige Erstaufführung.

Schauspielhaus und Bockenheimer Depot
Zum Auftakt der Spielzeit 2021/22 zeigt Regisseur Jan-Christoph Gockel eine Bearbeitung von Upton Sinclairs Roman »Öl!«, der unter dem Titel »There Will Be Blood« verfilmt und bekannt wurde.

Mit Heinrich von Kleists wohl bekanntester Erzählung und der Figur eines Privatmanns, der zum politisch Handelnden, zum Rächer wird und dabei auch Unrecht schafft, kehrt Felicitas Brucker nach »Die Ratten« nun mit »Michael Kohlhaas« zurück nach Frankfurt und ins Schauspielhaus.

Elfriede Jelineks Text »LÄRM.BLINDES SEHEN.BLINDE SEHEN!« ist eine Abrechnung mit flexiblen Wahrheiten und kruden Verschwörungsmärchen. Der Theaterregisseur und Intendant des Schauspiel Köln Stefan Bachmann wird in Frankfurt zum ersten Mal inszenieren und Jelineks Stück auf die große Bühne bringen.

Claudia Bauer, die mit »Mephisto« die laufende Spielzeit im Rahmen des Themenschwerpunkts »Anti­semitismus/Rassismus« eröffnete, adaptiert mit »Der diskrete Charme der Bourgeoisie« Luis Buñuels schonungslose und schalkhafte Abrechnung mit dem Großbürgertum.

Die international arbeitende slowenische Regisseurin Mateja Koležnik kehrt nach Frankfurt zurück. Sie ist für ihre präzise, tänzerisch leichte und sinnliche Bildersprache bekannt, die ihre Kraft nicht allein aus der Form, sondern auch aus der akribisch erforschten Seelenwelt der Figuren erlangt. Sie wird im Januar 2022 »Hedda Gabler« von Henrik Ibsen inszenieren.

Die Inszenierung Mateja Kolzniks von »Yvonne, die Burgunderprinzes­sin« von Witold Gombrowicz  wird  auf die  neue Spielzeit 2021/22 verlegt. Ebenso  Lisa Nielebocks für die Bühne neu bearbeitete Fassung von Goethes »Die Wahlverwandtschaften« wird im April 2022 nachgeholt, ebenso Joseph Roths »Hiob« in der  Inszenierung von Johanna Wehner..

Der kluge Wickie ist seit Jahrzehnten bekannt durch die Zeichentrickserie des ZDF. Die literarische Vorlage waren die Kinderbücher des schwedischen Schriftstellers Runer Jonsson. In der Vorweihnachtszeit zeigt das Schauspiel Frankfurt die Premiere der Bühnenfassung von »Wickie und die starken Männer«.

Alexander Eisenach brachte in Frankfurt bereits mehrfach an ein bestimmtes Genre angelehnte Theaterinszenierungen zur Aufführung. Nach Western (»Der kalte Hauch des Geldes«) und Science- Fiction (»Eternal Peace«) folgt mit »Der große Kunstraub (DGKR)« im Bockenheimer Depot erneut eine Stückentwicklung, die das filmische Genre als Sprungbrett ins Jetzt benutzen wird.

Aus den Erfahrungen und Arbeitsbeziehungen des über drei Jahre angelegten kulturellen Bildungs­projekts »All Our Futures« entsteht in der Spielzeit 2021/22 das Open-Space-Projekt »SHARE!«. Gerade für Kinder, Jugendliche und deren Familien hat die Corona-Pande­mie wie ein Kontrastmittel die Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft sichtbar gemacht. An diesen Punkt knüpft das Projekt »SHARE!« an: »was können, was wollen, was müssen wir teilen, und wie?« sind Fragen und zugleich Leitfaden des Projekts. Jugendliche verschiedener Schul­formen, unterschiedliche Generationen, Communities, Ensemblemitglieder des Schauspiel Frankfurt, ExpertInnen der Stadtgesellschaft und PolitkerInnen. Es soll gesprochen, gespielt, musiziert, geges­sen, gebaut und präsentiert werden. Das Bockenheimer Depot verwandelt sich im Juni/Juli 2022 in eine »Theatopia«.

Kammerspiele
In den Kammerspielen stehen mit vier Uraufführungen und einer Deutschsprachigen Erstaufführung wieder zeitgenössische AutorInnen im Mittelpunkt. Darunter »Nach Mitternacht« ist Irmgard Keuns großer Frankfurt-Roman, den sie 1936 im Exil veröffentlichte. Die bitterböse Schilderung des Alltags im Nationalsozialismus wird inszeniert von Barbara Bürk, die in Frankfurt in der Spielzeit 2019/20 »Am Südhang« auf die Bühne brachte.

Lustig, brutal und aberwitzig erzählt Nis-Momme Stockmann in »Das Gesicht des Bösen« von einer Fahrstuhlfahrt in die oberste Etage des Kapitals. Sprachgewaltig zeigt er darin die Schrecken und Abgründe der Finanzwelt auf und erzählt von Menschen, die zwischen Anziehung und Abstoßung, zwischen Vernichtung, Sehnsucht und Verzweiflung hin- und hergerissen sind. Mit der Deutschspra­chigen Erstaufführung debütiert Lea Gockel mit dieser Arbeit an den Kammerspielen des Schauspiel Frankfurt.

Junges Schauspiel
Die Projekte und Workshops des Jugendeclubs und das theaterpädagogische Programm des Jungen Schauspiel bleiben auch in der kommenden Spielzeit inklusiv und interkulturell.

So im »Stadtlabor« des Historischen Museums Frankfurt fragen sich FrankfurterInnen, welchen Spuren der NS-Zeit sie in ihrem Leben begegnen. Das Junge Schauspiel wurde eingeladen, sich mit einer diversen Gruppe Jugendlicher zu Aspekten dieser Ausstellung in Beziehung zu setzen und eine Per­formance mit eigenen Blickwinkeln für das Stadtlabor zu gestalten. Nach »Weiße Flecken« ist »Erin­nern Verändern« die zweite Kooperation des Jungen Schauspiel mit dem Historischen Museum.

Das Stück »Was ich nicht weiß, macht mich heiß« entwickelt das Junge Schauspiel im Juni 2021 in Kooperation mit dem Jüdischen Museum Frankfurt und ist Teil des dreiteiligen Programms mit dem Titel »Young & Expert«.

Im »Jugendclub«, der inzwischen über 100 Mitglieder zählt, gibt es unterschiedliche Projekte und Pro­gramme für alle theaterbegeisterten Menschen zwischen 14 und 25 Jahren: ob durch Gespräche mit Theaterschaffenden, offene Schauspieltrainings, Workshops, in verschiedenen Labs oder im Open Stage für eigene Performances.

Vieles, was in diesem Jahr in unterschiedlichen Konstellationen mit unterschiedlichen Jugendlichen und unterschiedlichen Formaten entsteht, wird in dieser Spielzeit öffentlich geteilt werden und in »SHARE!«, dem eigens vom Schauspiel geschaffenen Open-Space-Projekt, einfließen.