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Letzte Aktualisierung: 24.04.2024

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Reisefrust statt Reiselust

EU-Fluggastrechte bleiben in der Pandemie auf der Strecke

von Ilse Romahn

(16.07.2021) Die Fluggastrechte in der EU sind während der Corona-Pandemie missachtet worden. Das geht aus einem soeben veröffentlichten Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofs hervor. Wenn Fluggesellschaften Flüge annullieren, müssen sie den Passagieren nach geltender Rechtslage den Ticketpreis erstatten.

Viele Airlines hätten ihre Kunden aber stattdessen gezwungen, Gutscheine anzunehmen, was rechtswidrig sei. Die EU-Prüfer kritisieren außerdem, dass Fluggesellschaften und Pauschalreiseveranstalter staatliche Beihilfen in Milliardenhöhe erhalten hätten, ohne dass dabei Rückerstattungen an Fluggäste zur Voraussetzung gemacht worden seien.

Der Luftverkehr in der EU wurde von der Corona-Pandemie hart getroffen. Die von den Mitgliedstaaten oft unkoordiniert eingeführten Reisebeschränkungen führten im europäischen Luftverkehrsnetz zur Streichung von 7 000 Flugverbindungen. Flugannullierungen vereitelten in der EU zwischen März 2020 und März 2021 die Reisepläne von Millionen Passagieren. Nach EU-Recht haben Fluggäste im Falle einer Annullierung ihrer Flugtickets eigentlich Anspruch auf Rückerstattung oder auf alternative Beförderung. Gleichzeitig führte der abrupte Flugstopp bei Fluggesellschaften und Pauschalreiseveranstaltern zu plötzlichen und massiven Liquiditätsengpässen. Um sie vor der drohenden Insolvenz zu bewahren, reagierten viele Mitgliedstaaten schnell und kamen ihnen mit staatlichen Beihilfen in nie dagewesener Höhe zu Hilfe.

"Zu den zahlreichen Auswirkungen der Pandemie gehört auch, dass die Fluggastrechte in der EU verletzt wurden", so Annemie Turtelboom, das für den Bericht zuständige Mitglied des Europäischen Rechnungshofs. "Zwar wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um den Fluggesellschaften und Pauschalreiseveranstaltern zu helfen, doch wurde viel zu wenig getan, um die Rechte von Millionen Menschen in der EU zu schützen."

In den ersten Monaten der Krise hätten viele Fluggäste Geld verloren, das ihnen zustand, so die EU-Prüfer. Dies sei sogar mit Billigung der Mitgliedstaaten geschehen: 15 von ihnen, darunter etwa Frankreich, die Niederlande und Belgien, hätten Sondermaßnahmen ergriffen, um Fluggesellschaften und Pauschalreiseveranstalter von ihrer üblichen Rückerstattungspflicht zu befreien. Entgegen dem geltenden EU-Recht hätten sich viele Passagiere gezwungen gesehen, Gutscheine zu akzeptieren. Diese seien jedoch nicht immer gegen die Insolvenz von Fluggesellschaften abgesichert gewesen und hätten Rückerstattungen in weite Ferne rücken lassen. Ab Mitte 2020 hätten die Fluggesellschaften dann begonnen, ihren Passagieren die Ticketpreise zu erstatten. In den meisten Fällen habe dies jedoch viel länger gedauert als die gesetzlich vorgeschriebenen sieben Tage für Flugreisende oder 14 Tage für Pauschalreisende (Reisen mit Flug und Hotel). Die Prüfer stellten fest, dass Passagiere, die ihre Tickets nicht direkt bei einer Airline gekauft hatten, mit noch mehr Schwierigkeiten kämpfen mussten. Sie seien oft zwischen Vermittlern (wie Reisebüros) und Fluggesellschaften hin und her verwiesen worden. Daraufhin hätten sie ihr Geld bestenfalls nur zum Teil oder mit großer Verspätung zurückbekommen und schlimmstenfalls gar nicht.

Gleichzeitig habe die Europäische Kommission staatliche Maßnahmen zur Unterstützung von Fluggesellschaften und Pauschalreiseveranstaltern genehmigt, denen die Corona-Krise europaweit schwer zugesetzt hatte. Dies sei im Rekordtempo geschehen: 54 Beschlüsse über staatliche Beihilfen seien innerhalb von durchschnittlich 13 Tagen nach der Anmeldung angenommen worden; 23 davon innerhalb einer Woche. Die Prüfer berichten weiter, dass die Mitgliedstaaten zwischen März 2020 und April 2021 zu diesem Zweck öffentliche Gelder in Höhe von insgesamt 35 Milliarden Euro in die Hand nahmen. Air France und KLM hätten zusammen mehr als 11 Milliarden Euro erhalten, die Lufthansa mehr als 6 Milliarden Euro, TUI, TAP und SAS jeweils mehr als 1 Milliarde Euro – und das seien noch längst nicht alle. Gleichzeitig hätten die Mitgliedstaaten Rückerstattungen an Fluggäste nicht ausdrücklich zur Bedingung für den Erhalt staatlicher Beihilfen gemacht, obwohl die Kommission (die im Bereich der Fluggastrechte allerdings nur über eingeschränkte Kompetenzen verfügt) durchaus deutlich gemacht habe, dass es diese Möglichkeit gebe. Letztlich hätten die Mitgliedstaaten die Rückerstattungen an Fluggäste allein den Fluggesellschaften überlassen, die bei der Verwendung der staatlichen Beihilfen eigene Prioritäten gesetzt hätten. Die Prüfer monieren, dass Fluggäste deshalb innerhalb der EU sehr unterschiedlich behandelt worden seien.

Ausgehend von ihren Schlussfolgerungen geben die EU-Prüfer der Europäischen Kommission konkrete Empfehlungen zum besseren Schutz der Fluggastrechte.

Hintergrundinformationen: Der Schutz der Passagierrechte ist ein Bereich der EU-Politik, dem besondere Aufmerksamkeit gilt, da er sich unmittelbar auf die Bürgerinnen und Bürger in allen Mitgliedstaaten auswirkt. Passagierrechte werden auf EU-Ebene für die Beförderungsunternehmen festgelegt und von nationalen Behörden durchgesetzt. Die Verordnung Nr. 261/2004 enthält die EU-Vorschriften über Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen. Eine EU-Richtlinie bietet Personen, die Pauschalreisen buchen (z. B. einen Flug in Verbindung mit einem Hotel), ähnlichen Schutz.

2018 veröffentlichte der Europäische Rechnungshof bereits einen Bericht über Fahr- und Fluggastrechte, in dem alle Beförderungsarten behandelt wurden. Schon vor der Corona-Pandemie wurde in diesem Bericht betont, dass das EU-System zur Schutz der Passagierrechte Schwachstellen aufweist.

Der Sonderbericht Nr. 15/2021 "Fluggastrechte während der COVID-19-Pandemie: grundlegende Rechte trotz der Bemühungen der Kommission nicht geschützt" ist in 23 EU-Sprachen auf der Website des Hofes (eca.europa.eu) abrufbar.

Der Europäische Rechnungshof stellt seine Sonderberichte dem Europäischen Parlament und dem Rat der EU sowie anderen betroffenen Parteien wie nationalen Parlamenten, Wirtschaftsakteuren und Vertretern der Zivilgesellschaft vor. Der weitaus größte Teil der Empfehlungen, die der Hof in seinen Berichten ausspricht, wird umgesetzt.

www.eca.europa.eu

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