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Letzte Aktualisierung: 24.04.2024

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OBS-Studie analysiert Framing in der Wirtschaftsberichterstattung

von Helmut Poppe

(11.03.2022) Die Wirtschaftsberichterstattung ist laut einer Studie stark von ökonomischen Paradigmen geprägt und Medien orientieren sich am paradigmatischen Mainstream

Eine dauerhaft pluralere Wirtschaftsberichterstattung sei notwendig, um einen verständigungsorientierten Diskurs zu ermöglichen. Wirtschaftswissenschaftliche Paradigmen, insbesondere die „Neoklassik“ und der „Keynesianismus“, prägen die Berichterstattung über wirtschaftliche Ereignisse erheblich und tragen dazu bei, Akteuren und ihren Positionen Rationalität zu- oder abzusprechen. Die Wirtschaftsberichterstattung folgt dabei stark der politischen Konjunktur ökonomischer Paradigmen und lässt eine eigenständige und dauerhafte Pluralität der Perspektiven vermissen. Das ist das zentrale Ergebnis der von der Otto Brenner Stiftung veröffentlichten Studie über „Framing in der Wirtschaftsberichterstattung“. Die Medien- und Kommunikationswissenschaftler Victoria Teschendorf und Kim Otto von der Universität Würzburg untersuchen darin vergleichend, wie deutsche Zeitungen über den „Haushaltsstreit“ zwischen EU-Kommission und italienischer Regierung im Jahr 2018 und über die EU-weiten Verhandlungen bezüglich der Corona-Hilfsmaßnahmen im Jahr 2020 berichtet haben.

Die Studie, für die eine quantitative Inhaltsanalyse der Berichterstattung von FAZ, Handelsblatt, SZ, Die Welt, taz, BILD und Der Spiegel durchgeführt wurde, zeichnet den „Sinneswandel“ in den Medien zwischen 2018 und 2020 nach. Dieser führte von „der Ablehnung der Idee, mittels schuldenfinanzierter Politik auch gegen die Vorgaben der europäischen Schuldenregeln ökonomische und soziale Probleme zu lösen, hin zu deren umfänglicher Rationalisierung“, wie es im Vorwort der Studie heißt. Die Würzburger Forscher kommen dabei zu ambivalenten Ergebnissen: „Einerseits haben die deutschen Journalisten die Verhandlungen über die Corona-Hilfsprogramme im Jahr 2020 adäquat und vielfältig abgebildet“, bilanziert Kim Otto, Professor für Wirtschaftsjournalismus und Wirtschaftskommunikation. 74 Prozent der Artikel übernahmen die keynesianische Sichtweise, dass die unzureichenden Möglichkeiten der europäischen Länder Schulden aufnehmen zu können, ein Problem darstellen. Rund 36 Prozent gaben hingegen (auch) die gegenteilige neoklassische Deutung wieder.

Neben dieser quantitativen Repräsentation beider Ansichten sei aber wichtig, „dass sowohl die Argumente der Befürworter als auch der Gegner erleichterter staatlicher Neuverschuldungsmöglichkeiten jeweils in einen sinnvollen Deutungsrahmen gestellt wurden“, ergänzt Otto. 2018 habe dies noch gänzlich anders ausgesehen: 95 Prozent der Artikel gaben die neoklassische Sicht auf den Konflikt zwischen EU-Kommission und italienischer Regierung wieder und problematisierten die angestrebte Neuverschuldung Italiens. „Die keynesianische Sichtweise, für die die europäischen Sparvorgaben das zentrale Problem darstellten, wurde kaum aufgegriffen. Die Forderung nach Austerität hat zu viel Raum eingenommen“, schlussfolgert Victoria Teschendorf. „Darüber hinaus wurden die südeuropäischen Länder, eben insbesondere Italien, aufgrund ihrer Position als ökonomisch unvernünftig dargestellt“, ergänzt die Studienautorin.

Dass die Medien die neoklassische Rahmung der Ereignisse übernahmen und die Perspektive der italienischen Regierung nicht als rationalen Ausdruck eines keynesianischen Wirtschaftsverständnisses darstellten, lag allerdings auch am provokanten Verhalten der damaligen italienischen Regierung, schreiben die Wissenschaftler.