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Letzte Aktualisierung: 25.04.2024

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Next Generation EU

Prüfer bestätigen ungleiche Fortschritte bei der Digitalisierung der europäischen Industrie

von Ilse Romahn

(23.09.2020) In Europa kommen die Vorteile fortschrittlicher Technologien nicht voll zum Tragen, um Innovationen zu schaffen und wettbewerbsfähig zu bleiben. 2016 brachte die Europäische Kommission die Initiative zur Digitalisierung der europäischen Industrie (DEI-Initiative) auf den Weg, um die Digitalisierung von EU-Unternehmen voranzutreiben.

Trotz der Bemühungen der Kommission, die nationalen Behörden zu unterstützen, wird die Initiative in den Mitgliedstaaten unterschiedlich schnell vorangetrieben. Zu dieser Einschätzung gelangt der Europäische Rechnungshof in einem neuen Bericht. Einige Länder verfügen noch immer nicht über nationale Digitalisierungsstrategien oder sie haben bestimmte spezifische Maßnahmen nicht ergriffen, wie etwa die Einrichtung von Digital Innovation Hubs (DIH).

Der digitale Wandel der Industrie, d. h. die Digitalisierung, bedeutet mehr als nur die Anschaffung neuer IT-Geräte und -Systeme. Es geht darum, die Möglichkeiten zu nutzen, die neue Technologien bieten, um sämtliche Aspekte des Geschäftsprozesses zu überdenken. Bei der Digitalisierung der europäischen Industrie wurden in den letzten Jahren zwar Fortschritte erzielt, jedoch je nach Land, Region und Sektor in unterschiedlichem Tempo. Ferner bestehen große Unterschiede zwischen großen Unternehmen und kleinen und mittleren Unternehmen (KMU).

"Für unsere europäischen Unternehmen ist es unerlässlich, sich die digitale Transformation zu eigen zu machen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Schätzungen zufolge könnte die Digitalisierung in der EU Einnahmen von mehr als 110 Milliarden Euro jährlich bescheren", erläuterte Iliana Ivanova, das für den Bericht zuständige Mitglied des Europäischen Rechnungshofs. "Bislang sind die Fortschritte in den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten ungleich. Ein Erfolg der DEI-Initiative hängt vom dauerhaften Engagement aller Akteure – der EU, der Regierungen und der Unternehmen – ab."

Ziel der DEI-Initiative ist es, die Wettbewerbsfähigkeit der EU im Bereich der digitalen Technologien zu verbessern und dafür zu sorgen, dass alle Unternehmen in Europa ungeachtet der jeweiligen Branche, ihrer Größe und ihres Standortes die digitalen Innovationen nutzen können. Im Rahmen der Initiative sollen in den fünf Jahren nach ihrem Start nahezu 50 Milliarden Euro an öffentlichen und privaten Investitionen mobilisiert werden.

Die Prüfer besuchten vier Mitgliedstaaten (Deutschland, Polen, Portugal und Ungarn), um sich vor Ort aus erster Hand über die erzielten Fortschritte zu informieren. Die Strategie der Kommission zur Förderung der Digitalisierung der europäischen Industrie fußte zwar auf einer soliden Grundlage und wurde von den EU-Mitgliedstaaten unterstützt, es mangelte ihr aber an Angaben über die angestrebte Wirkung. Deutschland und Portugal verfügen über Strategien, doch Ungarn und Polen hatten im Jahr 2019 noch keine umfassende nationale Digitalisierungsstrategie entwickelt. Die Kommission hatte zwar mehrere Maßnahmen ergriffen, um die Mitgliedstaaten zu unterstützen, die nationalen Behörden gaben in der Regel jedoch an, dass deren Einfluss auf die Entwicklung und Umsetzung ihrer nationalen Digitalisierungsstrategien begrenzt war. Die Prüfer weisen ferner darauf hin, dass der Gesamtfinanzierungsbedarf für die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Rahmens zur Unterstützung der Digitalisierung der europäischen Industrie nicht bekannt ist. Was die Verwendung von EU-Mitteln angeht, erhält die Initiative Unterstützung aus Horizont 2020, und in den analysierten EFRE-Programmen wurden auch Maßnahmen ermittelt, die die Umsetzung der DEI-Initiative möglicherweise unterstützen. Die Kommission hat die Mitgliedstaaten jedoch nicht ausdrücklich dazu aufgefordert, der Initiative Mittel aus dem ELER zuzuweisen.

Eines der Schlüsselelemente der DEI-Initiative ist die Einrichtung und der Betrieb von Digital Innovation Hubs (DIH), die lokale Unternehmen in Bezug auf Technologien und Vernetzung beraten. Mit Ausnahme Deutschlands ist das Konzept der DIH in den besuchten Mitgliedstaaten nicht vollständig entwickelt worden. Die Prüfer ermittelten Beispiele, bei denen begrenzte nationale öffentliche und private Mittel für DIH-Aktivitäten in unkoordinierter Weise verwendet wurden; ferner weisen sie darauf hin, dass abgesehen von den durch Horizont 2020 finanzierten Aktivitäten keine spezifische Überwachung von DIH-Aktivitäten in der EU durch die Kommission erfolgt. EFRE-Mittel können zur Finanzierung von DIH verwendet werden, wovon jedoch selten Gebrauch gemacht wurde.

Voraussetzung für die Digitalisierung ist schließlich eine gute Breitbandanbindung. Wie bereits im Rahmen einer Prüfung von 2018 betont wurde, werden voraussichtlich nicht alle Mitgliedstaaten die EU-Ziele für 2020 im Bereich der Breitbandversorgung erreichen, und die Verwirklichung der Ziele für 2025 wird eine noch größere Herausforderung darstellen. Darüber hinaus besteht bei der Nutzung schneller Breitbandverbindungen je nach Unternehmensgröße eine erhebliche Schwankungsbreite (z. B. verfügten im Jahr 2019 nur 46 % der KMU über eine schnelle Breitbandverbindung), und dies bremst unweigerlich die digitale industrielle Revolution in der EU.

Die Prüfer unterbreiten eine Reihe von Empfehlungen, in denen auch das vorgeschlagene neue Programm "Digitales Europa" 2021-2027 Berücksichtigung findet, das derzeit noch Gegenstand von Erörterungen ist. Die Empfehlungen beziehen sich darauf,

•          die Mitgliedstaaten bei der Ermittlung ihrer Finanzierungslücken zu unterstützen und sie auf die verfügbaren EU-Mittel aufmerksam zu machen;

•          die Überwachung der DEI-Initiative zu verbessern, indem geeignete Ergebnisindikatoren festgelegt und die Ausgaben verfolgt werden;

•          den Rahmen für ein Netzwerk europäischer DIH zu definieren, zu koordinieren und zu verabschieden, das alle Regionen in Europa abdeckt;

•          weitere Maßnahmen zu ergreifen, um die Erreichung einer angemessenen Breitbandanbindung zu unterstützen.

Der Sonderbericht Nr. 19/2020 "Digitalisierung der europäischen Industrie: ehrgeizige Initiative, deren Erfolg vom dauerhaften Engagement der EU, der Regierungen und der Unternehmen abhängt" ist in 23 Sprachen auf der Website des Hofes abrufbar.

Die Digitalisierung ist eines der Hauptziele der mit 600 Milliarden Euro ausgestatteten Aufbau- und Resilienzfazilität, die Teil des Aufbaupakets "Next Generation EU" zur Verringerung der sozioökonomischen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie ist. Der Hof hat vor Kurzem eine Stellungnahme zur Aufbau- und Resilienzfazilität veröffentlicht. In einem früheren Bericht untersuchten die Prüfer außerdem die Breitbandversorgung in den EU-Mitgliedstaaten.

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