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Letzte Aktualisierung: 24.04.2024

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Nach Corona - Was vom digitalen Wandel in Schulen bleibt

von Helmut Poppe

(14.05.2021) Warum soll es anders ablaufen als absehbar in vielen Branchen und Berufen? Alles wieder zurück auf das alte ‚Normal‘? Was hat das System Schule gelernt, was können Schulen mit hinübernehmen in die Zeit nach Corona?

Tablets sind leichter
Foto: frankfurtlive, Poppe
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In zurückliegenden Artikeln beschäftigten wir uns mit den gesundheitlichen und psychischen Problemen, mit denen viele Schüler bedingt durch die Pandemie zu tun haben. Auch stellte sich die Frage, wie mit der stark angestiegenen Anzahl von Schulverweigerern umgegangen werden kann und ob pensionierte Lehrer und Lehrerinnen hier helfen können. Wo und welche Institutionen wirkten bei dem Versuch als Hemmschuhe, bestmöglichen Unterricht zu gewährleisten trotz der großen Herausforderungen bedingt durch die Gesundheits-krise?

Auch wenn Schülerinnen und Schüler wieder in die Schulen zurückkehren nach monatelangem Aussetzen des Regelunterrichts und jetzt zumindest in sogenanntem Wechselunterricht beschult werden, die Inzidenzzahlen erfreulich nach unten gehen und vermutlich in einigen Wochen wieder normaler Schulunterricht stattfinden kann, stellt sich die Frage, ob die teilweise mit großem Echo betriebenen neuen Lehrverfahren weiterhin Bestand haben werden. Diese haben ein wirkungsvolles Element gemeinsam, nämlich digitale Verfahren, ob sie sich Videokonferenzen, Onlinechats oder geteilte Web-Schultafeln nennen. Diese Methoden werden noch wenig in den einschlägigen Fachdidaktik-Disziplinen der Hochschulen gelehrt. In Schulen selbst erfordern sie einen erheblichen Technik- und Organisationsaufwand und bedürfen einer intensiven Schulung der Unterrichtenden. Eine Tatsache hat sich in den letzten vierzehn Monaten, die bestimmt waren durch teilweise oder vollständige Schulschließungen herausgestellt: digital gestützte Lern – und Lehrverfahren bieten Vorteile, die klassischer Unterricht so nicht leistet. Sie lauten intensiveres Erkennen und Eingehen auf Lerndefizite und – Stände von Lernenden, höhere Wirksamkeit bei dem Verständlichmachen von Regeln und Phänomenen, intensivere Selbstlernphasen. Ganz zu Schweigen von der Zukunftsorientierung solcher Verfahren, denn die Berufswelt wird immer mehr bestimmt durch Distanzlernen und konstanter Fortbildung.

Woher stammte die Dysfunktionalität, das Nichtfunktionieren schulischer Abläufe, in den zurückliegenden Monaten?

Ein Blick auf die einzelnen Entscheidungshierarchien zeigt, wo es haperte
Nummer 1: Die Kultusministerien übertragen die Auswahl der verwendeten Verfahren an die Schulen. Der Schulträger als Nummer 2 – sprich die Kommunen und Kreise – kümmern sich dabei um Infrastruktur und Hardware. Hier wurden in den letzten Monaten beachtliche Erfolge erreicht. Staatliche Schulämter als Nummer 3 sorgen für die rechtliche Absicherung, setzen allerdings auch gerne Personalentscheidungen in Sachen Digitalisierung durch. Sie befinden sich damit in dem Dilemma, mit dem sich die folgenden fünf Instanzen auseinandersetzen müssen: Didaktik und Methodik einzelner Unterrichtsfächer ins Digitale übersetzen „können“ bisher nur die wenigsten Lehrer. Sie sind dafür bisher oft nicht ausgebildet.

Ausbildungsstätten wie Lehrerakademien, private Anbieter und auch Medienzentren als Nummer 4 in der Folge der Schaltzentralen sind ebenfalls besetzt von Fachlehrern, die möglicherweise digitale Lehrszenarien verstehen und einsetzen. Geht es aber um die weiteren zwanzig bis fünfundzwanzig fachfremden Fächer, müssen sie passen. Oft fehlt auch der direkte Kontakt pädagogischer Forschungsinstitute zu Schulen, auch wenn Bund und Länder mit der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ bereits seit 2013 daran arbeiten Schulen und Ausbildungslehrstätten stärker zusammenarbeiten zu lassen. So soll nicht nur der gesamte Prozess der Lehrerbildung verbessern werden, sondern auch das Studium, der berufliche Einstieg und die Weiterbildung an moderne Anforderungen angepasst werden.

Nummer 5 sind die Schulleiter, die Handlungsanweisungen ihren Mitarbeitern geben. Sie befinden sich in einer ähnlichen Zwangslage und geben die Entscheidung über Wahl der Technik, der Einsatzverfahren, Apps und digitale Lehrwerksangebote an ihre Fachbereichsleiter ab. Diese müssen fast am Ende der Entscheidungsskala als Nummer 6 die Verfahren, Unterrichtsentwürfe und Technologien bei Fachkonferenzen vorstellen und den Kolleginnen und Kollegen empfehlen. Diese Empfehlungen sind wegen der pädagogischen Gestaltungsfreiheit jedoch keine verpflichtenden Vorgaben. So nutzten laut der International Computer and Information Literacy Study (ICILS) 2018 lediglich rund 23 Prozent der Lehrkräfte als Nummer 7 digitale Medien täglich im Unterricht. Der Weg Richtung E-Learning ist, wie man sieht, durch viele hierarchische Hürden versperrt.  Und auch die deutschen Schulbuchverlage als Hürde Nummer 8 nähern sich dem Thema nur zurückhaltend, zum Teil aus Furcht vor Raubkopien. 

Wer die hier einzelnen vorgestellten Entscheidungsträger durchzählt, wird die Erwähnung einer weiteren Entscheidungsstufe vermissen: Es liegt auch an den Eltern, zumal bei denen, die in ihren Berufen ‚Digital Change‘ betreiben, Schulen wirksame Impulse zu geben. Sie sind also nicht das 9. Rad am Wagen, sondern könnten verstärkt Druck auf die Verantwortungsträger ausüben. Der aufmerksame Leser wird gemerkt haben, dass aus den sieben ursprünglich sieben im vorherigen Titel genannten Hürden deren acht wurden. Hier soll keine „Abrechnung“ vorgenommen werden, ein Erkennen von Defiziten und Möglichkeiten, wie man es anders hätte machen könne, ist aber sicherlich berechtigt. Gut möglich ist ja auch, dass uns irgendwann wieder eine nationale Katastrophe trifft, Gelerntes und hoffentlich Weiterentwickeltes dann ohne Verzögerung zum Einsatz kommt.

(Beitrag teilweise aus einem Artikel des Autoren in Bildungsklick.de)
Die beiden vorherigen Beitrage kann man hier nachlesen.

Förderung von Schülern in Corona-Zeiten - 28.04.2021
 
Bildungspolitik und Schulen - die sieben Hürden - 06.05.2021