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Letzte Aktualisierung: 24.04.2024

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Mythos Handwerk. Zwischen Ideal und Alltag

Ausstellung im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt

von Karl-Heinz Stier

(28.04.2022) Wenn über „das Handwerk“ gesprochen wird, ist meistens eine Abfolge von erlernten Handlungen und Techniken gemeint, die im Idealfall mit der Hand oder dem von der Hand geführten Werkzeug ausgeführt werden; seltener kommen Maschinen zum Einsatz.

Bildergalerie
Erläuterungen gaben bei der Pressekonferenz (v.l.n.r.): Natali-Lina Pitzer (Presse), Prof. Matthias Wagner K (Direktor Museum), Dr. Julia Cloot (Kulturfonds Rhein-Main) und Grit Weber (Kuratorin Museum Angewandte Kunst)
Foto: Karl-Heinz Stier
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Der HandWERKkraum inmitten der Ausstellung
Foto: Karl-Heinz Stier
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Die Fotowand zur Ausstellung
Foto: Karl-Heinz Stier
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Dabei orientiert sich die handwerkliche Produktion an überlieferten Handwerkstechniken und folgt meist einer festen Reihenfolge von Arbeitsschritten. Handwerkerinnen und Handwerker entwickeln oft Einzellösungen oder produzieren nur kleine Stückzahlen. Daher gilt „Handwerk“ auch als Gütesiegel für Qualitätsarbeit.

Im Mittelpunkt der Ausstellung steht das Handwerk im Spannungsfeld zwischen Ideal und Alltag. Wie ein Raster zieht sich die Frage nach dem Mythos durch die gesamte Ausstellung. Tradition, Ehrlichkeit, Schlichtheit – oft wurde und wird das Handwerk mit solchen universellen Werten in Verbindung gebracht.

Die Ausstellung hinterfragt gängige Vorstellungen und entblößt sowohl Romantisierungen als auch Ideologien und zeigt auf, welche Gefühle und Affekte,
Vorstellungen und Wünsche rund um das handwerklich hergestellte Objekt an das Individuum und die Gesellschaft transportiert werden. In ihr werden zahlreiche zeitgenössische Debatten und die gesellschaftliche Dimension von Gestaltung verdeutlicht und neu angeregt. Die Ausstellung umfasst dabei eine Fülle von Objekten, Filmen, Bildern, Fotografien und Kunstwerken.

Mythos Handwerk gliedert sich in sechs Ausstellungs-Cluster: Einzelstück/Serie, Hand/Kopf,Lokal/Global, Luxus/Notwendigkeit, Meisterschaft/Do-it-yourself und Tradition/Fortschritt
Hier können sich Besucher zum Beispiel  mit folgenden Fragestellungen auseinandersetzen: Ist Handwerk immer einzigartig? Ist das Handwerk oder Design? Wie viel Kopfarbeit steckt im Handwerk? Schafft Handwerk Identität? Schafft Handwerk Heimat? Was macht Handwerk zu Luxus? Was unterscheidet Profis von Laien? Wie viel Neues steckt im Alten? Viele Fragen zum Handwerk durchziehen die Ausstellung, tauchen in den Interviews auf.

Ein weiteres Element ist der HandWERKRaum inmitten der Ausstellung, in dem Besucher  die Möglichkeit haben, selbst aktiv zu werden. Sechs Stationen laden ein, durch Zeichnen, Konstruieren, Flechten, Bauen, Messen und Stöbern Kernkompetenzen des Handwerks zu entdecken und auszuprobieren. Es können eigene Ideen entwickelt und mit anderen an einer Pinnwand geteilt werden.

Die Ausstellung reagiert damit auf das gestiegene gesellschaftliche Interesse am Handwerk. Zum einen lässt sich ein neokonservatives Qualitätsbewusstsein auf der Seite der Konsumenten festmachen, das mit dem Kauf von gehobenen handwerklichen Gütern einhergeht. Zum anderen gibt es die DIY-Bewegungen, die in unterschiedlichen Konjunkturen schon seit den 1970er Jahren das handwerkliche Selbermachen mit einem politischen Verständnis von Selbstermächtigung und Konsumkritik verknüpft. Doch für 13 Prozent der Bundesbürge ist das Handwerk Berufs- und Einkommensgrundlage. Etwa ein Drittel aller Auszubildenden ist in Deutschland im Handwerk tätig. Nicht statistisch erfasst ist die große Zahl an Hobby-Handwerker, an die sich die Werbekampagnen verschiedener Baumarktketten richtet. Ganz grundsätzlich zeigt das Interesse an handwerklichen Verfahren und Fertigungstechniken, an Material und Materialität, die Bedeutung und Wertschätzung des Handwerks als wesentlicher Bestandteil materieller Kultur, kultureller Identität und Gemeinschaft. Die Wertschätzung des Handwerks ist dabei eine Seite der Medaille, auf der anderen finden sich die problematischen Aspekte: politische Instrumentalisierungen von Tradition, Heimat und Volkszugehörigkeit, aber auch die teils prekären Lebensverhältnisse von Handwerker, die niedrigen Ausbildungslöhne mancher Sparten, der mangelnde Nachwuchs, die erhöhte Gefahr für Arbeitsunfälle und körperliche Versehrtheit.

Zur Ausstellung erscheint im Verlag für moderne Kunst ein umfangreicher Katalog. Mit dem gesammelten Wissen dreier Museen und differenzierten Beiträgen spüren Autorinnen und Autoren unterschiedlicher Professionen dem handwerklichen Mythos in all seinen Facetten nach. Sie beleuchten fachkundig und abwechslungsreich Aspekte des Handwerks. Der Katalog kostet 24 Euro und ist an der Museumskasse erhältlich.

Die Ausstellung entsteht in Kooperation mit dem Kunstgewerbemuseum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden und dem vorarlberg museum in Bregenz und wird an den beiden Standorten in den Jahren 2023/24 zu sehen sein.

Öffnungszeiten: DI,DO-FR von 12-18 Uhr, MI von 12-20 Uhr SA-SO von 10-18 Uhr, MO geschlossen. Eintritt:  12 Euro, ermäßigt 6 Euro

Infos: Tel. (069921231286 und info.angewandte-kunst@stadt-frankfurt.de

Museum Angewandte Kunst, Schaumainkai 17, Frankfurt/M.   www.museumangewandtekunst.de