Letzte Aktualisierung: 15.01.2025
Musikalisch um die Welt
Blasorchester Hoechst begeisterte beim Frühlingskonzert
von Norbert Dörholt
(30.04.2024) Bauchtanzgruppe, Zuckerpuppe und Pigalle in einem Pfarrsaal, genau gesagt in dem von St. Marcus in Nied. Geht´s noch? Ja, es ging, und wie das abging am Sonntagnachmittag, als das Blasorchester Hoechst, die große Formation des Musikvereins Unterliederbach, ein fasziniertes Publikum zwei Stunden lang zu einer musikalischen Reise durch die Welt, durch Zeiten und Genres entführte. Das war, bescheiden ausgedrückt, Kultur pur.
Das Frühjahrskonzert des Blasorchesters Hoechst verblüffte nicht nur mit seiner Bandbreite. Auch die Qualität der Spielweise erstaunte, handelt es sich doch nicht um ein in Konzertsälen gestähltes Profiteam, sondern um ein Amateurorchester. Obwohl, unter den 25 Musikern#_ //**…innen (um gendermäßig bitte gerade jetzt ja nichts falsch zu machen) befinden sich schon musikalische Großkaliber, die es durchaus mit professionellen Kollegen aufnehmen könnten, wie beispielsweise der Flügelhornist und Konzertmeister Frank Jäger mit seiner strahlenden Tonkraft, der das häufig melodietragende hohe Blech mit Trompeten und Flügelhörnern souverän in den Klangkörper einzubetten weiß. Oder Schlagzeuger Markus Williams, der variabel und mit vielen Effekten interessante Akzente zu setzen versteht, ein Glücksgriff für das Ensemble.
Da wir schon mal bei den Registern sind: Die waren alle gut besetzt, das tiefe Blech mit drei Tuben und vier Posaunen (!), ein toller Unterbau also, dann die Holzbläser mit vier Klarinetten und vier Flöten, sowie fünf Saxophone. Und wenn vorneweg dann auch noch ein Dirigent vom Format Simon Kunst (hier trifft wirklich passgenau der Ausdruck nomen est omen zu) steht und seine Mannschaft, das Steuerrad bzw. den Taktstock fest in der Hand, gefühlvoll und sicher auch durch schäumende 34stel Notenklippen und ein Meer mit Untiefen voll von Kreuzen und b´s führt, ja, dann erklärt sich, warum sich so mancher Besucher mit verklärtem Lächeln, ein Lied summend und fingerschnippend nach Konzertende auf den Heimweg machte.
Noch eine Erklärung für die Dynamik des Orchesters gab dessen Vorsitzender, der umtriebige Saxophonist Andreas Netthorn: „Wir haben ständig Neuzugänge auch von jungen Musikern, so dass wir jetzt aktive Mitglieder im Alter von 15 bis 85 Jahre zählen. Das sorgt für eine große Bandbreite mit modernen Einflüssen.“ Und – ohne Fleiß kein Preis: „Die Stücke haben wir bei einem mehrtägigen Probenwochenende im Westerwald erarbeitet, wo sich neben der musikalischen Chemie auch die für in Gruppen musizierende Menschen wichtige Vertrautheit und Gemeinsamkeit vertiefte.“
Aber halt, wir sind ja gar nicht am Ende. Es war, wie gesagt, eine musikalische Weltreise, welche die zahlreichen Besucher – die Veranstalter hatten sogar noch zusätzlich Stühle herbeischleppen müssen – erlebten. Doch warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah. Und selbst die weiteste Reise beginnt mit dem ersten Schritt von zuhause aus: Es waren die unvergesslichen Hits eines Frankfurters, einem Sindlinger Bub namens Heinz Gietz, welche die Besucher von Anfang an mitrissen, geschrieben für große Unterhaltungskünstler der Nachkriegszeit wie Catherina Valente oder Bill Ramsey, der übrigens persönlich bei der Einweihung der Gedenkplatte am Geburtsthaus von Heinz Gietz in der Neulandstraße dabei war. „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett“, „Zuckerpuppe aus der Bauchtanztruppe“, „Pigalle“ und noch viele andere bekannte Schlager der Nachkriegszeit wie „Musik liegt in der Luft“, „Bonjour Kathrin“, „Steig in das Traumboot der Liebe“ und „Tipitipitipso beim Calypso“ stammten aus der Feder dieses großartigen Unterhaltungskünstlers. 2024 wäre er hundert Jahre alt geworden. Vielen Dank und herzlichen Glückwunsch posthum, Heinz Gietz!
Neben bekannten und beliebten Schlagermelodien standen Klassik, Pop, Rock und Swing auf dem Programm, profimäßig intoniert von der Bläserfülle des Höchster Ensembles, und das alles bei freiem Eintritt (Spenden waren allerdings willkommen). Und so ist denn auch glaubhaft verbürgt, das kein Besucher sich gelangweilt hat geschweige denn eingeschlafen ist bei der Ouvertüre von Giuseppes Verdis Oper „Nabucco“, der Stadion-Rockhymne „We will Rock You“ und des Gänsehaut machenden „We are the Champions“ der britischen Band „Queen“ mit dem legendären, leider viel zu früh verstorbenen Freddy Mercury und weiteren ihrer Hits, beim Fusionsjazz-Klassiker „Birdland“ von Joe Zawinul oder beim fernweherweckenden „Pacific Grandeur“ von Joseph Olivadoti. Und das war längst nicht alles, was die Besucher zu hören bekamen. Kein Wunder, dass gleich zwei Zugaben gespielt werden mussten, der zum Mitklatschen animierende „Fliegermarsch“ und das zu Herzen gehende „Ameland“, das die Musiker übrigens erst kurz vorher ebenso kurz geprobt hatten.
Ach ja, nicht zu vergessen: Dass dieser wunderschöne musikalische Frühlingsnachmittag so kurzweilig und heiter war, ist neben der Tonkunst der Akteure auch den beiden Moderatoren Petra Bülow und Thomas Müller-Wilms zu verdanken. Sie führten mit ebenso interessanten Informationen zu den Stücken wie auch mit Charme und viel Humor durch das Programm, so dass die Besucher auch zwischen den musikalischen Stücken bei Laune gehalten wurden und die Musiker Zeit hatten, kurz durchzuschnaufen – um dann mit frischem Verve fortzufahren. – Lieber Andreas Netthorn: Wann und wo bitte findet Euer nächstes Konzert statt?