Archiv-Kultur

Maries Vermächtnis

Ein großartiger Film über ein Frankfurter Schicksal

Am 16. September feierte der neue Film der preisgekrönten Frankfurter Filmregisseurin Dr. Ina Knobloch in Frankfurt im völlig überfüllten Naxos-Kino Vorpremiere. Auf Grund des großen Andrangs wurde der Film sogar im Foyer übertragen und trotzdem mussten die Kino-Betreiber dutzende Interessierte an der Abendkasse wieder wegschicken. Zwei Tage später erfolgte die offizielle Premiere als Auftakt der Tagung über die jüdische Unternehmer-Familie Pfungst, die so viel für Frankfurt getan hatte und deren Stiftung nach dem Krieg wiederbelebt werden konnte.

Filmemacherin Dr. Ina Knobloch vor der Popup Ausstellung „100 Jahre Neues Frankfurt“ im Jüdischen Museum
Filmemacherin Dr. Ina Knobloch vor der Popup Ausstellung „100 Jahre Neues Frankfurt“ im Jüdischen Museum
Foto: Stephan Werner
Historisches Foto der Pfungst-Stiftung von den Arbeiten in der Naxos-Halle mit dem Schmirgel von der Insel Naxos
Historisches Foto der Pfungst-Stiftung von den Arbeiten in der Naxos-Halle mit dem Schmirgel von der Insel Naxos
Foto: Ina Knobloch
Endstation der Seilbahn, mit der der Schmirgel von den Mienen auf Naxos zum Hafen transportiert wurde, im Vordergrund eine Ladung dunkelgraue Schmirgelsteine
Endstation der Seilbahn, mit der der Schmirgel von den Mienen auf Naxos zum Hafen transportiert wurde, im Vordergrund eine Ladung dunkelgraue Schmirgelsteine
Foto: Ina Knobloch
Das charakteristische Ariadne Tor auf der Insel Naxos, die der Firma der Familie Pfungst ihren Namen gab
Das charakteristische Ariadne Tor auf der Insel Naxos, die der Firma der Familie Pfungst ihren Namen gab
Foto: Ina Knobloch

Knobloch ist selbst Alumni der Stiftung und setzt der Stifterin mit dem Film ein virtuelles Denkmal. Am 9. November plant der Hessische Rundfunk, den Film um 19 Uhr auszustrahlen. Drum, wenn Dein Herz den Hass der Menschen spürt, beschäme sie durch deine Güte“, war das Motto von Marie Pfungst - und eröffnet und schließt den Film. Der Dokumentarfilm „Maries Vermächtnis“ ist mehr als ein großartiges Werk über ein Frankfurter Schicksal, er ist ein Statement gegen Hass und Hetze. Er erzählt die Geschichte der Frankfurter Unternehmerin, Stifterin und Frauenrechtlerin Marie Eleonore Pfungst (1862-1943). Ein Film über das einstige Familienunternehmen Naxos-Union, die heutige Kulturstätte „Produktionshaus Naxos“ sowie die Dr. Arthur-Pfungst-Stiftung, die im Sinne der Stifterin Bildung fördert. Die Geschichte führt auch zum Jüdischen Museum Frankfurt, auf die griechische Insel Naxos und zum Ghetto-Museum Theresienstadt, wo Marie Pfungst 1943 starb.

Ein Film über eine außergewöhnliche kluge und schöne Frau, die von den Nazis brutal entrechtet, enteignet, deportiert und ermordet wurde. Marie Pfungst war eine der bedeutendsten Unternehmerinnen und Stifterinnen des frühen 20.Jahrhunderts. Sie galt als „Engel“ ihrer Firma Naxos-Union, die sie vor mehr als100 Jahren mit ihrer Mutter in eine Stiftung verwandelte und nach ihrem verstorbenen Bruder benannte: Dr. Arthur Pfungst-Stiftung.

Unterhaltend und dennoch akribisch erzählt der Film den Werdegang dieser bedeutenden Frau im Kontext ihrer Familiengeschichte, den rasanten Aufstieg einer jüdischen Familie, die längst säkularisiert war und sich für das Gemeinwohl engagierte, wie kaum ein anderes deutsches Familienunternehmen. In einer Zeit des Patriarchats, als die meisten Frauen, ausschließlich den Haushalt führen durften, leitete Marie Pfungst die Naxos-Union und führte sie an die Weltspitze der Industrie.

Regisseurin Ina Knobloch beginnt ihre Spurensuche in der Stiftung, stöbert mit Geschäftsführer Maximilian Graeve in Dokumenten und Familienalben, besucht mit ihm das ehemalige Firmengelände, das heutige Produktionshaus Naxos. Regisseur Michael Weber, Direktor des Willy-Praml-Theaters erzählt von seiner Marie-Pfungst-Inszenierung und führt durch die einstige Industriehalle und heutige Spielstätte. Animierte Fotografien und Grafiken, Ausschnitte der Theater-Inszenierung über Marie Pfungst, sowie Exkurse zur griechischen Insel Naxos und nach Theresienstadt mit Luftaufnahmen und Expeditionen in verlassene Minen bereichern den abwechslungsreichen Film. Interviews mit hochkarätigen Experten wie Prof. Nico Hofmann und Prof. Mirjam Wenzel verleihen dem Film entsprechenden Tiefgang und die Stipendiaten sprechen das junge Publikum an.

Knobloch folgt Maries Spur als Frauenrechtlerin in das Jüdische Museum Frankfurt, wo Direktorin Prof. Mirjam Wenzel die Bedeutung der damaligen Frauenbewegung und vor allem von Marie Pfungsts Wirken als Frauenrechtlerin erläutert. In der dortigen Ausstellung „100 Jahre Neues Frankfurt“ wird Marie Pfungst als eine der jüdischen Bürger gezeigt, die Frankfurt in den 1920iger Jahren prägten, gestalteten und transformierten. Ein Thema mit dem sich Starregisseur und Produzent Nico Hofmann häufig beschäftigte und heute als Mitglied des Kuratoriums gegen Antisemitismus die Gemeinnützige Hertie-Stiftung berät. Eine starke Stimme, die im Film zu Wort kommt.

Die Anfänge des Unternehmens führen Knobloch auf die griechische Insel Naxos. Von dort exportierte die nach der Insel benannte Firma, exklusiv Schmirgel, das zweithärteste Gestein nach Diamanten, ein Stoff mit dem Industrieträume vor hundert Jahren wahr werden konnten. Maries Vater hatte sich das exklusive Verkaufsrecht des Gesteins für ganz Europa gesichert und legte damit den Grundstein für den Erfolg des Unternehmens. In Griechenland war Schmirgel damals das wichtigste Exportprodukt des Landes. Unter Marie Pfungsts Unternehmensführung wurde in Griechenland die bedeutendste Industrieanlage des ganzen Balkans gebaut: Eine Seilbahn zum Export des Schmirgels. Die Regisseurin befragt Verwandte ehemaliger Minenmitarbeiter und besucht die verrosteten Relikte des gigantischen Industriedenkmals.

Unter der faschistischen Besetzung der Insel während des zweiten Weltkriegs starben hunderte Minenarbeiter und der Export wurde eingestellt. Es war die Zeit als Marie entrechtet und ermordet wurde und in der Naxos-Union Zwangsarbeiter eingesetzt wurden. Auch daran erinnert das Produktionshaus Naxos mit Gedenkschriften, die Eingang in den Film finden. Die Spur von Maries Deportation nach Theresienstadt verfolgt die Regisseurin ebenfalls, findet die Baracke, in die die schwerkranke Marie Pfungst mit fast 80 Jahren auf kalten Betonboden geworfen wurde und dort wenig später, am 8. Februar 1943, verstarb.

Nach dem Krieg konnte die Stiftung wieder teilweise restituiert werden, aber das Schmirgelgeschäft nie wieder an einstige Erfolge anknüpfen. Die von den Nazis umbenannte Stiftung konnte wieder ihren ursprünglichen Namen annehmen, verkaufte die Firma schließlich und erfüllt seither mit dem Vermögen ausschließlich den Stiftungszweck im Sinne von Marie Pfungst und ihrer Familie. Die Regisseurin war in den 1980iger-Jahren selbst Stipendiatin der Pfungst-Stiftung und ist ihr heute noch so dankbar wie die aktuellen Stipendiaten, die ebenfalls zu Wort kommen und das Wirken von Marie Pfungst und ihrer Familie in die Gegenwart holen. Denn das Vermächtnis von Marie Pfungst ist nach wie vor von großer Bedeutung. Mit dem Film wird an Marie Pfungst, ihre Familie und die Stiftung erinnert, der Frankfurt so viel zu verdanken hat und ihr damit ein virtuelles Denkmal gesetzt.

(Eine Produktion von City Media TV für die Dr. Arthur Pfungst-Stiftung,  gefördert durch die Gemeinnützige Hertie-Stiftung, Fonds für Antisemitismus-Bekämpfung und Aufklärung)