Letzte Aktualisierung: 19.03.2024
Mannheims verlorenes Stadtbild
Ein Buch zeigt historische Fotos der Kurpfalzmetropole
von Michael Hoerskens
(07.05.2021) In seinem Buch „Archivbilder – Streiflichter aus Alt-Mannheim“ nimmt uns der Autor Volker Keller mit auf eine beeindruckende Reise in die stolze Vergangenheit der Kurpfalz-Metropole. In seiner Einleitung zeichnet Keller dazu einen interessanten historischen Abriss der Stadt.
In mehr als 200 Fotos, schwerpunktmäßig aus der Zeit zwischen 1890 und 1945, zeigt der Bildband ein pittoreskes, aber bedauerlicherweise verlorenes Stadtbild vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. Und auch die in der Nachkriegszeit einsetzende blinde Abrisswut, die ein Stadtbild mit leblosen Gebäuden einer kreativfreien Architektur hervorbrachte. Ein Schicksal, das auch andere Städte wie Frankfurt erlebte.
Lesenswert ist schon die Einführung in das Werk, welche mit dem Titel „Vom Fischer- und Bauerndorf zur Metropole“ in die reiche Historie Mannheims eintaucht. Zwar erst am 24. Januar 1607 von Kurfürst Friedrich IV. von der Pfalz mit den Stadtprivilegien versehen, wurde „Manninheim“ als Siedlung schon im Jahr 766 im Urkundenbuch des Klosters Lorsch erwähnt.
Der trinkfeste Kurfürst war es auch, der den Grundstein zur einstigen Friedrichsburg legte, so schildert der Autor. Angrenzend an das Bollwerk ließ Friedrich eine Bürgerstadt mit geometrisch verlaufenden Straßen errichten, mit den heute noch existierenden „Quadraten“, in deren Buchstaben und Ziffern die Adresse angeben.
Mannheim und die Friedrichsburg waren von einigen Zerstörungen betroffen, etwa im 30-jährigen Krieg 1622 oder im Pfälzischen Erbfolgekrieg 1989 durch die Franzosen. Im 18. Jahrhundert erlebte die wiederaufgebaute Stadt ihre Blüte als Hauptstadt der Kurpfalz. 1720 hatte Kurfürst Karl Philipp von Heidelberg nach Mannheim verlegt, es entstand ein prunkvolles Residenzschloss. Sein Nachfolger, Karl Theodor, wurde dann nach einer Erbfolge noch zum Landesherrn Bayerns und verlegte seinen Hof nach München, berichtet Volker Keller. Mannheim und die Kurpfalz wurden 1803 dem Land Baden zugesprochen.
Mannheim entwickelte sich im 19. Jahrhundert zur Stadt der Tüftler. 1817 erfand hier Freiherr Karl von Draisine Laufmaschine, Vorläufer des Fahrrads. 1878 gelang Karl Benz in seiner Werkstatt in T 6, 33 (also in den Quadraten) die Realisierung einer Kutsche mit Motor, eine Probefahrt gab es 1885. Damit stammt das erste Automobil der Welt ebenfalls aus Mannheim.
Ende des 19. Jahrhunderts siedelten sich Fabriken in der Stadt an, viele herrschaftliche Häuser wurden errichtet. Bereits 1840 war der Rheinhafen errichtet worden, welcher der Industrialisierung Schwung verlieh. Neue Stadtteile und Eingemeindungen ließen die Bevölkerungszahl zwischen 1870 und 1914 von 40 000 auf über 225 000 ansteigen. Dem Bauboom fielen noch vor dem Ersten Weltkrieg schon zahlreiche Barockgebäude zum Opfer, die Bomben des Zweiten Weltenbrands zerstörten dann große Teile vor allem der Innenstadt. Mit der Folge einer glanz- und seelenlosen Neubebauung. „Umso mehr ist es die ernstzunehmende Aufgabe der Gegenwart, das überlieferte kulturelle Erbe zu schützen und zu pflegen“, beton Autor Volker Keller.
Wie recht er hat. Wer in seinem in Kapiteln untergliedertem Bildband blättert, der sieht wunderschöne Gebäude in stolzen Straßenzügen und Stadtvierteln, gepflegte Plätze, bekommt einen Einblick in die prächtigen Innenräume von Residenzschloss, Jesuitenkirche oder Nationaltheater. Kaufhäuser in eleganter Architektur verzücken, etwa die Warenhäuser Kander, Schmoller und Wronker, wobei im letzteren der „Erfrischungsraum“ mit Gastronomie besonders stilvoll gestaltet wurde und eine zusätzliche Attraktion zum Warenangebot darstellte. Schmuckstücke der Extraklasse waren zudem die Bauten des Mannheimer Börsenvereins, oder der Darleihkasse, beide damals in den Quadraten der Innenstadt beheimatet.
Ein architektonisches Schmuckstück war ebenfalls die „Röchlingsburg“ in der Oststadt, ein 1901/1902 erbautes, schlossartiges Wohnhaus benannt nach seinem Bauherrn, dem Industriellen Heinrich Röchling. Dem Prachtbau widerfuhr ein besonderes Schicksal, berichtet Volker Keller. Die Röchlingsvilla überstand den Zweiten Weltkrieg – und wurde 1977 Opfer raffgierigen Spekulantentums. Der Rhein-Finanztreubau GmbH unter Beteiligung der Stadtsparkasse stand das optische Schmankerl deren Plänen entgegen und sollte verschwinden. Dem Anliegen der Denkmalschützer, den Bau als erhaltenswertes Beispiel großbürgerlicher Wohnkultur zu erhalten wurde nicht stattgegeben. Die Stadtverwaltung stellte die Genehmigung zum Abriss aus, bedauert der Autor.
Das sportliche Mannheim von einst lernt man auch kennen. So erblickt man wackere Turner, Tennisspieler in Aktion und Schlittschuhläufer auf verschiedenen Eisflächen. Wohl der Grundstein für die spätere „Eishockeystadt Mannheim“, mit vielen Deutschen Meistertiteln.
Im Kapitel „Religion“ erblickt man nicht nur die Jesuitenkirche, sondern auch andere imposante klerikale Gebäude wie etwa die prachtvolle Christuskirche. Auch die einstige Hauptsynagoge findet in dem Bildband Berücksichtigung, vor ihrer furchtbaren Zerstörung – und danach.
Der Bildband endet mit beklemmenden Fotos einer Stadt in Ruinen und Trümmern.
Volker Keller: Streiflichter aus Alt-Mannheim, Sutton Verlag, ISBN 978-3-89702-265-2, 17,99 €