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Letzte Aktualisierung: 25.04.2024

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Klassiker von Victor Hugo eröffnet die 71. Bad Hersfelder Festspiele

„Notre Dame“ in der Stiftsruine!

von Adolf Albus

(22.11.2021) „Notre Dame“ wird am 1. Juli 2022 die 71. Bad Hersfelder Festspiele eröffnen und das Publikum wird die Stiftsruine ganz neu erleben - so wie es sie noch nie in der über 70-jährigen Festspielgeschichte gesehen hat.

„Ich denke schon seit vielen Jahren darüber nach, den Roman von Victor Hugo in Bad Hersfeld auf die Bühne zu bringen“, sagt Festspiel-Intendant Joern Hinkel. Nun wird er gemeinsam mit dem Dramaturgen Tilman Raabke im nächsten Sommer eine eigene Fassung des weltberühmten Romans „Der Glöckner von Notre-Dame“ unter dem Titel „Notre Dame“ auf die Bühne der Stiftsruine bringen.

Victor Hugos Roman erschien 1831 unter dem Titel „Notre-Dame de Paris. 1482“ und wurde sofort ein Bestseller. Der Roman gehört mit seiner poetischen Sprache zu den bedeutendsten Werken der Weltliteratur, viele kennen den Klassiker von Victor Hugo aus dem 1956 gedrehten Film mit Gina Lollobrigida als Esmeralda und Anthony Quinn als Quasimodo, als schwülstige Liebesgeschichte inszeniert, die den Fokus stark auf das ungleiche Paar richtet. Bei den Bad Hersfelder Festspielen wird die Geschichte von Quasimodo und Esmeralda nur ein Teil der Inszenierung sein. Joern Hinkel wird mit seinem Team die romantischen, manchmal auch grotesken Szenen sowie die historischen und philosophischen Betrachtungen des Romans einbeziehen. „Die darin aufgeworfenen Fragen zu Ausgrenzung, Vorurteilen und gesellschaftlicher Stimmungsmache sind heute aktueller denn je“, betont Joern Hinkel. Quasimodo sei nicht der einzige, der um die Liebe der geheimnisvollen Tänzerin wirbt. Sein Gegenspieler, der Erzdiakon Claude Frollo, gehört zu den interessantesten und widersprüchlichsten Charakteren der Literaturgeschichte. Auch der eitle Hauptmann Phöbus und der erfolglose Dichter und Schauspieler Gringoire gehören zu den Bewerbern, jeder mit seinen ganz eigenen Interessen. „Wir werden die kühne, moderne Konstruktion des Romans mit all ihren Abschweifungen, ihren vielfältigen Verästelungen, ihren Zeitsprüngen und Perspektivwechseln und Victor Hugos mehr epische als dramatische Erzählweise in unsere Bühnenfassung einfließen lassen.“ Und natürlich wird in ,,Notre Dame“ wieder ein brillantes Ensemble mit namhaften Bühnen- und Fernseh-Stars auf der Bühne zu sehen sein.

Der Stoff habe ihn schon lange interessiert, doch wie kann man ein solches Werk, das so eng mit der weltberühmten Kathedrale Notre-Dame in Paris verbunden ist, in der Stiftsruine zeigen? An dem Ort, an dem die älteste Glocke Deutschlands hängt, an dem seit über 70 Jahren Festspiele in einer der größten romanischen Kirchenruinen der Welt stattfinden? Dazu Joern Hinkel: „Ich habe lange gezögert, weil ich mich fragte, wie ich einer der Hauptdarstellerinnen des Romans, der gotischen Kathedrale Notre-Dame gerecht werden könnte.“ Mit Hilfe des sogenannten „Mapping“ ist das möglich. „Wir wollen zum ersten Mal eine Technik zum Einsatz bringen, die mit computeranimierten Projektionen arbeitet, die direkt auf die Architektur der Stiftsruine zugeschnitten sind. Das „Mapping“ macht es möglich, dass sich die historischen Sandsteinwände zu bewegen scheinen, dass plötzlich Steine aus dem Mauerwerk fallen oder das ganze Kirchenschiff in Brand steht. Wenn Sie so wollen: eine Fortführung der „Laterna Magica“ mit den Mitteln modernster Technik.“

Das Mapping wird der Frankfurter Videokünstler, Komponist und Sounddesigner Parviz Mir-Ali entwickeln, der beispielsweise 2006 anlässlich der Fußball WM die Frankfurter Skyline zu einer gigantischen Lichtkulisse verwandelte, der beim Hessentag in Bad Hersfeld die Stiftskirche in neuem Licht erstrahlen ließ, der in diesem Jahr im Auftrag der Evangelischen Kirche den „Luther Moment“ mit Schauspiel, neu komponierter Musik und 3D-Mapping auf der Fassade der Wormser Dreifaltigkeitskirche anlässlich des großen Jubiläumsjahres „500 Jahre Wormser Reichstag“ in Szene setzte, aber auch schon bei Theaterproduktionen am Burgtheater, an den Schauspielhäusern in Hamburg, Bochum oder bei den Salzburger Festspielen tätig war.

Bürgermeister Thomas Fehling ist neuer Technik gegenüber immer aufgeschlossen und begrüßt die Pläne sehr: „Der Stiftsruine können wir aus guten Gründen kein Härchen krümmen – ihrem „digitalen Zwilling“ eventuell schon! Wenn die Verantwortlichen der Festspiele neue technische Wege gefunden haben, um bestimmte künstlerische Vorstellungen an historischem Ort trotzdem umzusetzen, finde ich das clever und spannend. Das ist nicht nur innovativ, sondern erfüllt auch meine Erwartung, dass sich die Festspiele jedes Jahr weiterentwickeln müssen. Ich freue mich auf das Ergebnis!“

 

Zum Inhalt

Beim traditionellen Narrenfest tummelt sich das Volk auf den Plätzen und in den Gassen von Paris. Wir schreiben den 6. Januar 1482. Die Stände scheinen für einen Tag aufgehoben zu sein: Bettler spielen Könige, Aussätzige karikieren Geistliche, überall wimmelt es von Menschen. Höhepunkt der Feierlichkeiten ist die Wahl zum Narrenpapst. Je hässlicher und skurriler die Bewerber, desto lauter das Geschrei der begeisterten Menge. Der entstellte und fast taube Glöckner von Notre-Dame Quasimodo wird zum Gewinner erklärt und als Papst verkleidet durch die Gassen getragen.

In diesem Schmelztiegel von Kulturen, in einer Zeit der Weltenwende, in der Kopernikus den Lauf der Himmelskörper neu beschreibt, der Buchdruck und die Reformation das Volk von seiner Unmündigkeit befreien, in der Kolumbus einen neuen Kontinent entdeckt, nimmt diese Geschichte ihren Anfang. - Erst vierhundert Jahre später wird man dieses Aufblühen einer neuen Epoche als Renaissance beschreiben.

Auf der Mitte des Platzes zieht die Tänzerin Esmeralda die Blicke der Feiernden auf sich. Auch der neue Narrenpapst Quasimodo wird auf sie aufmerksam. Aber er ist nicht der Einzige, der sich an diesem Tag unsterblich in sie verliebt. Auch der finstere Erzdiakon Claude Frollo, der erfolglose Dichter und Schauspieler Pierre Gringoire (in dem sich Victor Hugo schonungslos selbst portraitiert) und der eitle Hauptmann Phöbus fühlen sich auf magische Weise von ihr angezogen. Ist sie womöglich eine Hexe, die die Sinne betäubt? Ist sie mit dem Teufel im Bunde? Ist sie eine Zauberin?

Der Titel des Romans bekommt durch die geheimnisvolle Fremde, die die Herzen der Protagonisten im Sturm erobert, eine doppelte Bedeutung: mit „Notre-Dame“ ist zunächst die Kathedrale gemeint, aber für Quasimodo, Frollo, Pierre und Phöbus bedeutet „ihre Frau“ - Esmeralda - Erlösung und Untergang zugleich.

Esmeraldas Tanz auf dem Marktplatz setzt eine Spirale von Leidenschaft, Eifersucht, Erpressung und sogar Mord in Gang, in deren Verlauf die Ereignisse sich bis zu König Ludwig XI. herumsprechen. Die junge Tänzerin wird wegen Hexerei zum Tode verurteilt, aber Quasimodo gelingt es, sie vor dem Galgen zu retten und sie in den Mauern von Notre-Dame zu verstecken. Laut schreit er das eine Wort von den Zinnen der Glockentürme: „Asyl!“