Letzte Aktualisierung: 03.12.2024
Klar und offen über HIV sprechen
Zum Welt-Aids-Tag: Respektvoll mit Infizierten umgehen
von Norbert Dörholt
(25.11.2024) HIV ist heutzutage kein Todesurteil mehr. In Deutschland leben nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts (RKI) 96.700 Menschen mit HIV/AIDS. Fast 90 Prozent der HIV-Patienten erhalten eine antiretrovirale Therapie. Bei einer erfolgreichen Therapie sind die Menschen nicht infektiös und ihre Lebenserwartung entsprich nahezu der nicht HIV-Infizierter. Die Neuerkrankungsrate 2023 ist laut RKI mit geschätzt 2.200 auf dem Niveau von 2019 (also vor der COVID-Pandemie).
Trotz stabiler Zahlen bemängeln Fachleute, dass hierzulande das Bewusstsein für HIV-Infektionen schwindet. Mehr Aufklärung über HIV sollte mit einem vorurteilsfreien Umgang mit Infizierten einhergehen und so helfen, der wieder stärker werdenden Tabuisierung von HIV und der Stigmatisierung von HIV-Infizierten entgegenzuwirken. Die Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG) und die Deutsche STI Gesellschaft weisen anlässlich des Welt-Aids-Tages am 1. Dezember darauf hin, dass zu einer guten Prävention immer auch eine offene und wertfreie Kommunikation über HIV und andere sexuell übertragbare Erkrankungen gehört.
„Angesichts der weltweiten Lage mit fast 40 Millionen an HIV erkrankten Menschen, schwindet in Deutschland das Bewusstsein für die HIV-Infektion“, sagt Prof. Dr. med. Norbert Brockmeyer, Präsident der Deutschen STI Gesellschaft. Die stabilen bis rückläufigen Neuinfektionen führen – obwohl erfreulich – zu einem negativen Effekt. „Da kann leicht der Gedanke aufkommen, es seien doch nur wenige, warum also viel darüber sprechen“, erklärt Brockmeyer. Für den Dermatologen hat dies aber gravierende negative Effekte darauf, wie eine Gesellschaft mit HIV-Infizierten und mit der HIV-Prävention umgeht.
Nur weil die HIV-Fälle nicht weiter steigen, heißt das nicht, dass die damit einhergehende Stigmatisierung ein Ende hat. „HIV ist noch immer mit Tabus belegt und Erkrankte werden in allen gesellschaftlichen Gruppen und teils auch durch Ärzte stigmatisiert“, sagt Brockmeyer. Das zeigen aktuelle Studien zum Thema Diskriminierung wie die „positive stimmen 2.0“ der Deutschen Aidshilfe 2021.
Bei der Online-Befragung berichteten 95 Prozent der Befragten von mindestens einer diskriminierenden Erfahrung in den zurückliegenden zwölf Monaten aufgrund von HIV. 52 Prozent gaben an, durch Vorurteile in ihrem Leben beeinträchtigt zu sein. Eine Folge davon ist, dass die Offenheit über die Erkrankung zu sprechen, eingeschränkt wird. Nur ein geringer Anteil der Befragten geht offen mit der Infektion um.
Aus Angst vor Zurückweisung überlegt sich ein großer Teil der Betroffenen sehr genau, wem sie von der Infektion erzählen. Drei Viertel (73 Prozent) der Befragten geben an, dass in vielen ihrer Lebensbereiche niemand oder nur wenige Menschen von der HIV-Infektion wissen. 69 Prozent halten es für sehr oder eher riskant, jemandem von ihrer HIV-Infektion zu berichten. Die eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeit ist in einer weiteren Hinsicht bedeutsam. Die Untersuchung zeigt nämlich: Je offener über die HIV-Infektion gesprochen wird, desto höher sind die Lebenszufriedenheit und die Selbstwirksamkeit. Zudem weisen Menschen, die offener über HIV sprechen, weniger körperliche und psychische Symptome auf.
„Diese Ergebnisse belegen ein Defizit unserer Gesellschaft hinsichtlich des Umgangs mit HIV-Infektionen“, bemängelt Brockmeyer. Offene Diskriminierung wie sie in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts – auch durch die mediale Berichterstattung angefacht („Schwulenseuche“) – zu erleben war sind zum Glück selten. Aber noch immer wirken negative Zuschreibungen nach.
„Wenn es nicht gelingt, vorurteilsfrei und offen über eine Infektionskrankheit zu sprechen, ist auch das Bemühen erschwert, über Prävention zu informieren“, sagt Prof. Dr. med. Silke Hofmann, Beauftragte für die Öffentlichkeitsarbeit der DDG. Initiativen wie die aktuell von BZgA, Aidshilfe und Deutscher AIDS-Stiftung gestartete Kampagne „Leben mit HIV. Anders als du denkst?“ sind sehr zu begrüßen. Anlässlich des Welt-Aids-Tages berichten Menschen mit HIV in der Kampagne von ihrem Alltag mit HIV, ihrem HIV-positiven Coming-out und ihrem Einsatz gegen Vorurteile.
„Wir möchten aber auch in die eigenen Reihen ein klares Signal senden, dass STI und vor allem HIV Themen sind, die Dermatologen in ihren Sprechstunden aktiv ansprechen sollten“, ergänzt Hofmann, Direktorin des Zentrums für Dermatologie, Allergologie und Dermatochirurgie, HELIOS Universitätsklinikum Wuppertal. Wie in vielen anderen Bereichen auch, sind es oft Wissenslücken, die zu falschem Verhalten führen wie unnötige Hygienemaßnahmen in Praxen oder Kliniken (z. B. räumliche Abgrenzung, Behandlung an Randzeiten und besondere Reinigung, unnötige Schutzkleidung). Hilfreich sind Handreichungen zum Umgang mit dieser Patientengruppe, die es beispielsweise von der Deutschen Aidshilfe oder der Bundesärztekammer gibt.
Sechs wichtige Fakten zu HIV
- HIV ist heutzutage gut behandelbar, wenn auch noch nicht heilbar.
- Moderne, hoch effektive Medikamente verhindern die Vermehrung des Virus im Körper.
- HIV-infizierte Menschen haben bei rechtzeitiger Behandlung eine fast gleiche Lebenserwartung wie nicht HIV-Infizierte und kommen nicht ins HIV-Erkrankungsvollbild AIDS.
- HIV ist unter einer antiretroviralen Kombinationstherapie (auch beim Sex) nicht übertragbar N=N (nicht nachweisbar = nicht infektiös).
- HIV kann nur durch eine tabu- und stigmatisierungsfreie Aufklärung verhindert werden: Eine offene und wertungsfreie Kommunikation ist dringend wünschenswert.
- Die Präexpositionsprophylaxe (PrEP), also die Einnahme antiviraler Medikamente vor Risikokontakten, verhindert zu 99% eine HIV-Infektion.
Über den Welt-Aids-Tag
Der Welt-Aids-Tag wurde 1988 ins Leben gerufen und findet jedes Jahr am 1. Dezember statt. Zu seinen Zielen gehört es, die Rechte der HIV-positiven Menschen weltweit zu schützen und durch Aufklärung Vorurteile abzubauen und Ausgrenzung zu verhindern. Weltweit leben etwa 40 Millionen Menschen mit HIV. Das Motto 2024 lautet: „Take the rights path“