John Neumeier über seinen Abschied vom Hamburg Ballett
Der Direktor des Hamburg Ballett, John Neumeier, bereut seinen Entschluss, die Leitung der weltbekannten Kompagnie im Sommer abzugeben. „Wenn ich frei nach meinem Gefühl gegangen wäre, hätte ich es wahrscheinlich nicht so entschieden“, sagt der 85-Jährige in der aktuellen Hamburg-Ausgabe der Wochenzeitung DIE ZEIT. Er wolle seine Tänzer nicht im Stich lassen. Die Entscheidung, die er zusammen mit Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD) traf, beruhe auf rationalen Überlegungen: „Es könnte sein, dass Menschen sagen: Oh mein Gott, ich wusste nicht, wie alt Sie sind. Oder dass ich eines Tages hierher käme und keine Lust hätte, in eine Probe zu gehen. Dass ich nicht choreografieren wollte.“
In seinen 51 Jahren als Leiter des Hamburg Ballett führte Neumeier die Kompanie an die Weltspitze – bis heute schuf er 172 Choreografien, darunter „Illusionen – wie Schwanensee“ (1976), die „Matthäus-Passion“ (1981), „Anna Karenina“ (2017) und „Ghost Light“ während der Corona-Pandemie. Neumeier, geboren am 24. Februar 1939 in Milwaukee, studierte Tanz in Chicago und London, trat 1963 der Kompanie von John Cranko am Staatstheater Stuttgart bei und wurde 1969 mit 27 Jahren Ballettdirektor in Frankfurt am Main. 1973 holte ihn der damalige Intendant August Everding nach Hamburg.
Mit der ZEIT spricht Neumeier auch über sein Stück Odyssee, das an der Hamburgischen Staatsoper seit dem 24. Februar wieder aufgeführt wird – Neumeiers Geburtstag und gleichzeitig Jahrestag des 2022 begonnenen Angriffskrieges Russlands in der Ukraine. „Ohne Krieg“, sagt Neumeier, „ist die Odyssee nicht denkbar“. Er deute Homers Dichtung so, dass ein Mensch nach einem Krieg wieder zu sich selber finden müsse – und dass „er aus dieser im negativen Sinn männlich definierten Machowelt aus Kampf und Krieg zu seiner Ganzheit zurückfinden und seinen femininen Teil wiederentdecken“ müsse.
ZEIT Verlagsgruppe