Das Online-Gesellschaftsmagazin aus Frankfurt am Main

Letzte Aktualisierung: 15.01.2025

Werbung
Werbung

In Koblenz kein Karneval ohne die Bundeswehr

von Karin Willen

(09.02.2024) „Wir sind anders“, demonstriert die Stadtführerin Marlis Weiß in ihrer szenischen Führung „Heilije, Hexen & Huckeweiwer“. Das gilt auch über die fünfte Jahreszeit hinaus

Bildergalerie
Der erste Schein trügt: Kaiser Wilhelm I. am Deutschen Eck in Koblenz
Foto: Karin Willen
***
Stadtführung "von unten": Marlis Weiß mit der Witwe Ringelstein und Schutzmann Otto
Foto: Karin Willen
***
Sie gehörte einfach dazu: Marlis Weiß erzählt die Geschichte der "Pfefferminzje"
Foto: Karin Willen
***

 

Vom Fluss aus trügt der Schein. Das Deutsche Eck mit dem monumentalen Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I., gegenüber die nicht minder übersehbare Festung Ehrenbreitstein und die vielen Standorte der Bundeswehr lassen eine strenge Garnisonsstadt erwarten. Doch weit gefehlt! In Koblenz wirkt die bodenständige Leichtlebigkeit des rheinische Naturells, das sich mit „Klüngeln“ weiterhilft, statt sich untertänig straffer Disziplin, Ordnung und Kontrolle zu unterwerfen. Hier an der Mündung der Mosel in den Rhein lässt man die Gäste auch lieber einen liebevollen Blick auf die kleinen Leute, ihre Gewohnheiten und Sprache werfen als mit den Großen und Mächtigen dieser Welt zu strunzen, die ihre Duftmarken im Laufe der Geschichte am Zusammenfluss der beiden einst wichtigen europäischen Wirtschaftsadern hinterlassen haben.

So pointiert würde Marlis Weiß das gewiss nicht ausdrücken. Doch in ihrer szenischen Stadtführung „Heilije, Hexen & Huckeweiwer“ macht die Gästeführerin im groben Gewand einer Marktfrau von gestern genau dies: Sie erzählt über das Leben der kleinen Leute, die mit ihren Schwächen, Eigenheiten – und ihrer inneren Größe – den eigenen Regeln folgten. Seit den 1980er Jahren halten Stadt und Bürgerschaft einige ihrer „Originale“ mit Denkmälern auf Plätzen und in Gassen ihres einstigen Lebensraums in Erinnerung.

Weiß, selbst ein Koblenzer Urgestein, hat es sich nach ihrem ersten Berufsleben als rechte Hand des Oberbürgermeisters 2011 mit Lust und Talent zum Volksschauspiel zur Aufgabe gemacht, Besuchern die Geschichte und Mentalität der Koblenzer nahezubringen. Nachdem sie ihren Blick für die Soziotypen ihrer Stadt in den Archiven geschärft hat, führt sie munter als „Lisbeth“ durch krumme Gassen, Hinterhöfe und die paar gerade Straßen der Altstadt. Die liegt in den Grenzen der Siedlung seit der römischen Gründung im Jahr 9 vor Christus unter dem Namen Confluentes, was nichts anderes heißt als Zusammenfluss und aus dem der Stadtname hervorging, moselfränkisch ausgesprochen „Kowelenz“.

Treffpunkt ist der Brunnen auf dem Münzplatz. Nicht ganz pünktlich biegt „Lisbeth“, das „Huckeweiw“, mit ihrem Körbchen um die Ecke und ruft: „Butter, Eier, Käs, Krombier, Kappes, Muhre!“ Leutselig stellt sie sich den Fremden vor, nicht ohne vielsagend auf ihre Haube zu deuten und zu erwähnen, dass sie verheiratet sei und dann stolz ihr Gewand zu erläutern. Nachdem das also geklärt wäre, muss sie noch schnell erzählen, was ihr just heute wieder passiert ist.

„Lisbeth“ redet frisch von der Leber weg über die „Kowelenzer Berjerschleut“ und trägt auch im Verlauf der Führung manche Anekdoten in Versform und Liedern in ihrer „Moddersproch“ vor. Nicht alles verstanden? Das ist man an dieser strategisch wichtigen Stelle an Rhein und Mosel gewohnt, schließlich musste schon die keltische Handels- und Handwerkersiedlung täglich mit den Römern zurechtkommen, denen im Laufe der Geschichte weitere Besatzer folgten.

Kowelenzer Klüngel auf dem Marktplatz

Verständnisvoll übersetzt die Marktfrau (alias Huckeweiw, weil sie tagein tagaus auf dem Markt hockt), dass sie unter anderem Kartoffeln, Kohl und Möhren verkauft und dass „Berjerschleut“ Bürger sind. Gleich an der Alten Münze stehen zwei davon in Bronze gegossen, wobei der eine streng genommen hier als Vertreter der Obrigkeit steht: Schutzmann Otto. Neben ihm sitzt die resolute Witwe Ringelstein, eine stadtbekannte Marktfrau in dritter Generation aus der Vorkriegszeit mit ihren Körben. Zwischen den beiden steht geschrieben: „Die Maatfrau sät zom Schutzmann, dat es mir jetzt zo bont. Do hat gepinkelt an mein Mann dä Nobersch ihre Hond.“ Wörtlich übersetzt hieße das: „Die Marktfrau sagt zum Schutzmann. „Das ist mir jetzt zu bunt, da hat der Hund der Nachbarin auf meinen Mann gepinkelt!“

„Lisbeth“ klärt auf, dass „Mann“ hier Weidenkorb bedeutet. Wie dieser Jargon zustande kam, liegt nahe. Vielleicht, weil viele Marktweiber früh Witwen wurden und ihr ständiger Begleiter der Weidenkorb war? In der Figur des bürgernahen Schutzmanns Otto hat der Bildhauer Fritz Berlin die Erfahrung der Marktfrauen mit der Polizei des Reviers 1 kondensiert, die von 1952 bis 1978 ihren Dienst auf diesem Marktplatz versahen – und dabei den Marktfrauen auch beim Tragen ihrer Ware halfen, die sich dafür mit Gemüse erkenntlich zeigten. So geht Koblenzer Klüngel der kleinen Leute.

Die „Schängel“ von der Truppe

Wer solche kleinen Geschichten hört, wundert sich auch nicht, dass die Bundeswehr seit 56 Jahren in der fünften Jahreszeit mit dem Carneval-Club-Korpskommando Koblenz 1968 e.V. (CCKK) beweist: „Mer sein och Kowelenzer Schängel!“. Als der Stadtkommandant vor mehr als 200 Jahren erstmals Teilen der Truppen befahl, am Karneval teilzunehmen, wollte er das Image des Militärs beim Volk aufpolieren. Der Befehl erwies sich bei der Truppe als so erfolgreich, dass Soldaten und ihre Angehörigen 1968 freiwillig einen eigenständigen Karnevalsverein in der Arbeitsgemeinschaft der 43 Karnevals- und Möhnengesellschaften gründeten. (Möhnen, ursprünglich Tanten, haben ihren großen Tag am Schwerdonnerstag, der anderswo Weiberfastnacht heißt). Jedenfalls ist der CCKK dabei, wenn die Tollitäten nicht nur dem Rathaus, sondern auch der Bundeswehr im Bundesbehördenhaus die Macht entreißen. Er hat seine eigene Prunksitzung und reiht sich am Rosenmontag mit einem eigenen Wagen in den Zug ein.

Doch „Lisbeth“ ist es wichtiger, sich mit zwei anderen Eigenheiten des lokalen Brauchtums von den Karnevalshochburgen Köln und Mainz abzugrenzen: „Wir wählen keine Prinzessin, sondern eine Confluentia, und unser Narrenspruch heißt Olau“, sagt sie eigensinnig. Was es mit den „Schängeln“ auf sich hat, zu denen sich das Bundeswehrpersonal zählt, erzählt das aufgeschlossene „Huckeweiw“ später am Rathaus vor dem Schängelbrunnen und nach einem Besuch der Originalschauplätze von „Pfefferminzje“ und Spitals Andun“.

„Berjerschleut“ mit dem Talent zum Foppen

„Vorsicht, der spuckt“, warnt „Lisbeth“, als die Gruppe vor dem Schängelbrunnen am Rathaus angekommen ist. Routiniert bringt sie ihre Leute aus der Gefahrenzone, in der ein schelmischer Lausbub alle drei Minuten einen kräftigen Wasserstrahl aus dem Mund schießt. In diese Figur kulminiert das fidele Koblenzer Naturell, das niemanden davon ausnimmt, auf die Schippe zu gelangen. Der „Schängel“ steht für die unverdrossene rheinische Lebensart mit dem Hang zur Fröhlichkeit und dem Talent zum Foppen.

Das Idiom geht auf die zwanzigjährige französische Besatzung um 1800 zurück, als viele Jungen französischer Väter „Jean“ hießen, darunter etliche unehelich. Aus dem Jean wurde im rheinischen Singsang „Schang“, in der Koseform „Schängel“ oder „Schängelsche“. Zunächst noch als Schimpfwort – dem „Bankert“ in anderen Regionen vergleichbar – avancierte er zum Inbegriff eines zu Streichen aufgelegten Bürschchens und wurde spätestens 1914 zur geschlechtsneutralen Identifikationsfigur für Einheimische.

Damals reimte der Schuster, begeisterte Karnevalist und Mundartdichter Josef Cornelius das Karnevalsgedicht „Dat Cowelenzer Schängelche“, zu dem der örtliche Musikalienhändler Carl Wilhelm Kraehmer die Melodie beisteuerte. Das Lied mit der positiven Grundstimmung schlug ein wie eine Rakete und wurde bald zur Hymne der Koblenzer, die man wohl auch als sangesfreudig bezeichnen kann. Denn als „Lisbeth“ am Brunnen anhebt zu singen, stimmt so mancher Passant mit ein.

Informationen:

Neben „Lisbeths“ szenischer Führung durch die Welt der kleinen Leute in der Altstadt können Gäste unter dem Titel „Diebe, Gauner und Halunken“ auch szenisch eintauchen in die düstere Justiz- und Kriminalgeschichte von Koblenz und erfahren, mit welchen Foltermethoden die Obrigkeit der organisierten Banden im 18. Jahrhundert Herr zu werden trachtete.

Gäste- und Buchungsservice, Bahnhofplatz 7, eMail: stadtfuehrungen@koblenz-touristik.de