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Letzte Aktualisierung: 28.03.2024

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Impfungen bei Multiple Sklerose

Fachverband sagt, was grundsätzlich zu beachten ist

von Lena Forster

(08.01.2021) In Deutschland ist die Zulassung für die ersten Impfstoffe, die wirksam und sicher vor COVID-19 Erkrankungen schützen, erfolgt. Was bedeutet das für MS-Betroffene und was gilt es grundsätzlich bei Impfungen in dieser Risikogruppe zu beachten? Das Krankheitsbezogene Kompetenznetz Multiple Sklerose, abgekürzt KKNMS, hat dazu eine ausführliche Stellungnahme erarbeitet, die wir im Folgenden wiedergeben.

1. Welche Bedeutung hat eine COVID-19 Impfung für MS-Betroffene?
Eine erfolgreiche Impfung gegen COVID-19 könnte grundsätzlich die Zahl der Menschen, die sich mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren, reduzieren und damit die Wahrscheinlichkeit verringern, dass MS-Betroffene an COVID-19 erkranken. Wird ein wirksamer Impfstoff bei MS-Betroffenen angewandt, werden diese einen direkten Schutz gegen COVID-19 aufbauen.

2. Impfungen bei MS: Was ist grundsätzlich zu beachten?
Die Diagnose MS stellt prinzipiell keine Kontraindikation gegen Impfungen dar. Durch Impfungen vermeidbare Infektionen können einerseits schwerwiegende Erkrankungen verursachen, andererseits bei MS-Betroffenen darüber hinaus Schübe auslösen und zur Krankheitsverschlechterung beitragen. Dieses Risiko ist grundsätzlich als höher einzuschätzen als potenzielle Risiken durch Impfungen. MS-Betroffene sollten daher entsprechend den allgemeinen von der Ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert Koch-Institutes empfohlenen Impfungen im Erwachsenenalter geimpft werden.

Zu Impfungen bei MS-Betroffenen, die ein Immuntherapeutikum erhalten, gibt es begrenzt Daten. Sorge ist hier ein vermindertes Ansprechen auf die Impfung. Um einen Impferfolg zu unterstützen, sollten Impfungen idealerweise mindestens sechs Wochen vor Einleitung einer Immuntherapie abgeschlossen sein. Grundsätzlich sind Impfungen mit Totimpfstoffen auch unter Therapien, die Immunzellen aus dem Körper entfernen („Zell-depletierende Therapien“) möglich, das Ansprechen auf die Impfung kann unter solchen Therapien allerdings vermindert sein. Idealerweise sollten Impfungen frühesten vier Monate nach Behandlung (gemeint ist hier die jeweilige Medikamentengabe) erfolgen.

Alle Impfstoffe basieren auf dem Grundprinzip, unserem Immunsystem Teile (Antigene) zu präsentieren, so dass das Immunsystem einen wirksamen Schutz aufbauen kann. Die meisten der bislang zugelassenen Impfstoffe sind entweder sogenannte Totimpfstoffe oder Lebendimpfstoffe. Totimpfstoffe – oder inaktivierte Impfstoffe – enthalten entsprechend ihrer Bezeichnung nur abgetötete Krankheitserreger, die sich nicht mehr vermehren können, oder auch nur Bestandteile der Erreger. Lebendimpfstoffe enthalten geringe Mengen vermehrungsfähiger Krankheitserreger, die jedoch so abgeschwächt wurden, dass sie die Erkrankung selbst nicht auslösen. Bei Lebendimpfstoffen (wie Gelbfieber, Masern, Mumps, Röteln, Varizellen) können selten verstärkte Impfreaktionen auftreten.

Die Indikation sollte bei MS-Betroffenen und insbesondere unter immunmodulatorischer Therapie streng gestellt werden. Lebendimpfungen unter Ocrelizumab, Alemtuzumab, Cladribin, Fingolimod, Siponimod, Ozanimod, Natalizumab oder Mitoxantron sind kontraindiziert. Die meisten der von der STIKO im Erwachsenenalter und für Ältere empfohlenen Impfungen sind Totimpfstoffe und können auch für MS-Betroffene uneingeschränkt empfohlen werden. Für MS-Betroffene als chronisch Kranke werden noch weitere Impfungen empfohlen, insbesondere unter einer immunsuppressiven Therapie.

Vor Beginn einer immunsuppressiven Therapie sollte immer kontrolliert werden, ob ein Schutz gegen Masern, Mumps, Röteln und Varizellen vorliegt. Bei fehlender Immunität sollte die Impfung noch mit ausreichendem Abstand zur Therapie durchgeführt werden, soweit die Therapie entsprechend verschiebbar ist. Da es sich um Lebendimpfstoffe handelt, kann eine Impfung unter Therapie nicht mehr durchgeführt werden.

Diese neuartigen Impfstoffe enthalten Teile der Erbinformation des Virus, die den Bauplan für ein Virusprotein bereitstellen. Nach der Impfung wird die mRNA von einigen wenigen menschlichen Körperzellen aufgenommen, die dann Virusproteine selbst produzieren, das Immunsystem aktivieren und damit eine schützende Immunantwort erzeugen. Die mRNA wird nicht in die DNA einer Zelle eingebaut und wird vom Körper abgebaut. Es entstehen keine kompletten, vermehrungsfähigen Viren. Die mRNA-Impfstoffe sind daher konzeptuell den Totimpfstoffen zuzuordnen.

Neben den am weitesten entwickelten mRNA-Impfstoffen gibt es unter den Impfungen gegen SARS-CoV-2 drei weitere Hauptentwicklungslinien: klassische Totimpfstoffe, Lebendimpfstoffe sowie sogenannte Vektorviren-Impfstoffe, bei denen ein abgeschwächtes Virus als Transportmittel (Vektor) für einen ungefährlichen Teil der Erbinformation von SARS-CoV-2 genutzt wird.

3. Sind die Impfungen für MS-Betroffene sicher?
Nationale und internationale Qualitätsstandards gelten wie bei allen anderen Impfstoff-Entwicklungen auch bei der Zulassung einer COVID-19 Impfung. Basierend auf den veröffentlichten Studien zu den beiden mRNA-basierten Impfstoffen, für die die Zulassung in der Europäischen Union erteilt worden ist, ist nicht davon auszugehen, dass potentielle Nebenwirkungen bei MS-Betroffenen gehäuft auftreten oder dass die Empfehlungen von denen für die Anwendung von Totimpfstoffen bei MS-Betroffenen abweichen werden. Jedoch ist erst nach Abschluss von Zulassungsverfahren geklärt, welche Nebenwirkungen bei welchen Personengruppen und in welchem Ausmaß auftreten können und wie die Anwendungsempfehlung ausgestaltet sein wird. Auch nach einer Zulassung werden potentielle Nebenwirkungen weiterhin erfasst und bewertet. Wie bei anderen Totimpfstoffen können vorübergehend, insbesondere am Folgetag, typische Impfreaktionen wie Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Kopfweh, Temperaturerhöhung oder Schmerzen an der Einstichstelle auftreten. In den Zulassungsstudien gab es keinerlei als schwerwiegend beurteilte Nebenwirkungen.

Autoren:
Prof. Dr. Jan D. Lünemann, Klinik für Neurologie mit Institut für Translationale Neurologie, Universitätsklinikum Münster
Prof. Dr. Tania Kümpfel, Institut für Klinische Neuroimmunologie, Klinikum Großhadern, Ludwig -Maximillians-Universität München
Dr. Markus Frühwein, MaHM, Facharzt für Allgemeinmedizin, Reisemedizin, Tropenmedizin, Ernährungsmedizin
Prof. Dr. Christian Münz, Institut für Experimentelle Immunologie, Abteilung für Virale Immunbiologie, Universität Zürich
Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer, Klinik I für Innere Medizin, Klinische Infektiologie, Universi-tätsklinikum Köln
Prof. Dr. Frauke Zipp, Klinik für Neurologie, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Prof. Dr. Heinz Wiendl, Klinik für Neurologie mit Institut für Translationale Neurologie, Universitätsklinikum Münster