Letzte Aktualisierung: 04.10.2024
Hoffnung für Nierenkranke
Frühzeitige Erkennung durch neues Testverfahren
von Dr. Adelheid Liebendörfer
(19.09.2024) Mit zweieinfachen Tests aus Blut- und Urinproben könnte eine chronische Nierenkrankheit (CKD) frühzeitig erkannt werden. Dies gewinnt zunehmend an Bedeutung, da seit Kurzem mehrere neue Medikamente das Fortschreiten der CKD wirksam aufhalten können. Die derzeitigen Check-up-Untersuchungen in Deutschland erfassen diese Parameter jedoch nur unzureichend oder gar nicht.
Eine aktuelle Untersuchung zeigt, dass selbst bei Vorliegen von Hochrisikofaktoren für eine CKD – wie etwa ein Typ-2-Diabetes oder Bluthochdruck – häufig keine Bestimmung der Albuminausscheidung im Urin und der sogenannten geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) im Blut erfolgt. Um die Chancen einer frühzeitigen Diagnose und Therapie dieser volkswirtschaftlich bedeutsamen Erkrankung zu nutzen, fordert die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie e. V. (DGfN) im Vorfeld ihrer 16. Jahrestagung die Verankerung dieser kostengünstigen Untersuchungen in der hausärztlichen und internistischen Versorgung. Die Tagung findet vom 26. bis 29. September 2024 in Berlin (ECC) statt.
In Deutschland leiden mehr als zehn Millionen Menschen an CKD. Dabei handelt es sich um eine schwere und irreversible Erkrankung, die zu einem fortschreitenden Verlust der Nierenfunktion führt. Im Endstadium sind die Betroffenen auf eine regelmäßige Blutreinigung, etwa durch Dialyse oder eine Nierentransplantation angewiesen. Darüber hinaus steigt mit abnehmender Nierenfunktion das kardiovaskuläre Risiko stark an, also die Wahrscheinlichkeit, etwa einen Herzinfarkt zu erleiden. Diabetes mellitus und Bluthochdruck sind gleichzeitig die Hauptauslöser für eine CKD. Viele Betroffene wissen jedoch nichts von ihrer Erkrankung, auch weil bis zu 90 Prozent des Nierenfunktionsverlustes ohne Symptome verlaufen können. Gleichzeitig ist die CKD trotz bekannter Risikofaktoren oft dramatisch unterdiagnostiziert, eine leitliniengerechte Labordiagnostik wird in deutschen Hausarztpraxen nicht ausreichend durchgeführt. Dies belegt die jetzt veröffentlichte InspeCKD-Studie.
„Das ist tragisch, denn seit einigen Jahren stehen endlich wirksame Medikamente zur Verfügung, mit denen wir das Fortschreiten der CKD vor allem auch in frühen Stadien verzögern oder sogar stoppen können“, sagt Professor Dr. med. Julia Weinmann-Menke, Sprecherin der DGfN und Direktorin der Klinik für Nephrologie, Rheumatologie und Nierentransplantation (NTX) am Universitätsklinikum Mainz. „Dazu müssen wir die CKD aber rechtzeitig diagnostizieren.“
Die neuen Therapieoptionen schützen auch vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Mit den SGLT-2-Hemmern für alle Menschen mit CKD, den nicht-steroidalen Mineralkortikoid-Rezeptor-Antagonisten für Diabetikerinnen und Diabetiker mit CKD und mit der bevorstehenden Zulassung der GLP-1-Rezeptor-Agonisten für CKD bei Typ-2-Diabetes stehen erstmals Therapieoptionen zur Verfügung, die den Nierenfunktionsverlust verlangsamen. „Mit diesen Behandlungen kann auch die Prognose für Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbessert werden“, sagt Weinmann-Menke. Denn beide Erkrankungen hängen zusammen.
Albumin im Urin ist das erste Anzeichen für eine Nierenschädigung
Zur Diagnose einer CKD reicht die Kombination eines einfachen Bluttests mit einem Urintest, bei dem die eGFR und die Proteinwerte im Urin bestimmt werden. Die eGFR kann aus dem Kreatininwert im Blut rechnerisch ermittelt, „geschätzt/estimated“ werden. Doch die Nephrologin betont: „Durch den Nachweis von Albumin im Urin ist es möglich, die Diagnose einer CKD viel früher zu stellen als durch die alleinige Betrachtung der eGFR, denn es ist häufig das erste Anzeichen für eine Schädigung der Nierengefäße.“
Selbst Risikopatienten erhalten oft kein Nierenscreening
Neben einer Vielzahl internationaler Studien zeigte zuletzt die InspeCKD-Studie auch für Deutschland: Nur bei 45,5 Prozent der Risikopatienten wurde der eGFR-Wert in der Hausarztpraxis bestimmt. Eine Albuminbestimmung mit Teststreifen erhielten sogar nur 7,9 Prozent der Patienten und die UACR (quantitative Bestimmung der Albuminausscheidung im Urin) wurde nur bei 0,4 Prozent der Betroffenen bestimmt.
Für Gesundheitschecks von Nicht-Risikogruppen sind Urinteststreifen ein guter erster Marker
Für die routinemäßige Früherkennung bei Nicht-Risikogruppen können spezielle Urinteststreifen als Screening eingesetzt werden. Präziser ist jedoch der sogenannte Albumin-Kreatinin-Quotient (UACR = Urin-Albumin-Kreatinin-Ratio). Er errechnet sich aus der Albumin- und der Kreatininmenge im Urin.
Neue Leitlinie empfiehlt Screening bei Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Wer sollte auf CKD untersucht werden? In der zuletzt aktualisierten internationalen Leitlinie KDIGO ist nun die Empfehlung enthalten, bestimmte Risikopersonen auf eine Nierenerkrankung zu untersuchen. „Dazu gehören vor allem Menschen mit Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Adipositas, bekannte Nierenkrankheiten in der Familie und eine vorausgegangene Nierenschädigung“, so Weinmann-Menke.
DGfN befürwortet Screening für alle und Aufnahme ins GHG
Die Aufnahme von Nierenerkrankungen in das Gesundes-Herz-Gesetz (GHG) wäre ein entscheidender Schritt, um die Früherkennung zu verbessern, Herzinfarkte und Schlaganfälle zu reduzieren und langfristig die Gesundheitskosten zu senken", sagt Weinmann-Menke. Bisher sind die Nieren im GHG jedoch nicht berücksichtigt, obwohl die DGfN über Stellungnahmen, Teilnahme an der Anhörung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) und mediale Beiträge intensiv auf das kritische Fehlen der CKD im GHG hingewiesen hat. Und die Nephrologin geht noch einen Schritt weiter: „Da wir nicht genug betonen können, wie wichtig die Früherkennung von CKD ist, plädieren wir für ein grundsätzliches Screening im Rahmen der von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlten Gesundheitsuntersuchungen ab dem 35. Lebensjahr.“
Weniger Dialysen durch frühes Nierenscreening
Eine Prognose zur Entwicklung der häufigsten Todesursachen aus dem Jahr 2018 zeigt, dass CKD zwischen 2016 und 2040 von der 16. auf die 5. häufigste Todesursache vorrücken könnte. „Wenn es gelingt, regelmäßige Früherkennungsuntersuchungen einzuführen, die Patienten über ein Disease-Management-Programm (DMP) zu begleiten und die medikamentösen Optionen zu nutzen, ist davon auszugehen, dass es in Zukunft weniger Patienten mit fortgeschrittener CKD und damit weniger Dialysen, Bluthochdruck, Schlaganfälle und weniger Herzinfarkte geben wird“, sagt Dr. med. Nicole Helmbold, Generalsekretärin der DGfN. Weitere und genauere Daten darüber, wie und in welchem Ausmaß Maßnahmen zur Erkennung, Risikostratifizierung und Behandlung von CKD die gesundheitlichen Ergebnisse verbessern würde, könne ein Deutsches Zentrum für Nierengesundheit erheben, so Helmbold weiter. „Auch deshalb setzen wir uns für seine Gründung ein.“